Ende der Sprachapokalypse

Obwohl laufend Sprachmuseen errichtet und die österreichischen Dialekte zu Grabe getragen werden, sollte man sich davon nicht vorschnell in Panik versetzen lassen.

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Die Angst um das österreichische Deutsch geht um. Wie in der Dominokette fallen Wörter wie Lavoir, Stanitzl und Paradeiser. Das meint und bedauert jedenfalls der Grazer Sprachwissenschaftler Rudolf Muhr. Im Kurier erzählt er von »Wörtern, die wir vermissen«. Um das Häferl und das Regal wäre es schade. Man trifft sich an der Bassena, flaniert über das Trottoir. Dabei sind diese urösterreichischen Wörter erst durch die Wandelbarkeit der Sprache in unsere Münder gekommen. Denn Trottoir, ebenso wie Plafond, Lavoir und Fauteuil stammen aus der Welt des (Wiener) Adels bzw. aus dem seinerzeit besonders schicken Französisch. Jene Wörter hingegen, die das österreichische Beamtendeutsch ausmachen, entwickelten sich meist aus dem Lateinischen. Und überhaupt ist speziell das Wienerische stark vom Jiddischen und den Sprachen der ehemaligen Kronländer geprägt. Nur deshalb sind wir auf Lepschi mit dem G’spusi und auf Powidltascherl im Beisl.

Diese Lehnwörter unterscheiden den Wiener vom Berliner. Sie sind damals in unsere Sprache gerutscht wie heute die englischen Begriffe. Was manche Sprachpolizisten aber jetzt beschützen wollen, ist die Sprache vor der Zeit selbst. Ist es dramatisch, dass Sprache sich wandelt? Ohne sich diese Frage wirklich zu stellen, lassen sich derzeit Medien quer durchs Land wieder einmal zur leidigen – weil unkritisch und immer wieder gleich aufgerollten – Debatte über das österreichische Deutsch hinreißen. Wehmut ist hier aber umsonst, apokalyptische Verschwörungen sind voreilig. Vielmehr könnte man den Nutzen davon sehen: »Dass Österreicher mit vielen Erscheinungsformen der deutschen Sprache leben, dass sie auch bundesdeutsches Deutsch verstehen und zum Teil verwenden, ist ein großer Vorteil«, streicht der Linguist der Uni Wien Manfred Glauninger hervor. Er erklärt weiter, dass Sprachvarietäten eine kommunikative Funktion hätten. Sie könnten den Kontext verändern. Sie sind Zeichen, die eingesetzt werden, um zum Beispiel Nähe, Autorität, Distanz oder Regionalität zu vermitteln.

Fehlende Dialektkompetenz

Deswegen spricht man in der Bio-Lebensmittel-Werbung Dialekt, bewirbt die Kosmetikartikel mit französischem Akzent und Autos mit bundesdeutschem Hochdeutsch. Österreicher sind besonders geschickt im Einsatz der unterschiedlichen Varietäten und können zum Beispiel blitzschnell zwischen Standardsprache und stark regionalem Dialekt hin- und herspringen. Zur Mundart nämlich hat der Österreicher ein enges Verhältnis. Ähnlich ist das auch bei den Bayern. Dass im bairischen Sprachraum – der ja Teile Süddeutschlands und den Großteil Österreichs umfasst – die Bindung der Menschen an ihren Dialekt weit stärker ausgeprägt ist als in Norddeutschland, zeigt: Die Dialektgrenzen verlaufen nicht zwischen zwei Staaten, sondern zwischen Regionen. So ist ein Steirer einer Bayerin sprachlich näher als ein Niedersachse den Schwaben. Der Unterschied ist nur, dass bei den Bayern der stark ausgeprägte Dialekt auf »zwoa kräftige Wadln« steht. Die Österreicher, zumindest die im Osten des Landes, sind da zwiespältiger. Es geht also nicht eine bestimmte Sprache verloren, sondern schon eher die »innere Mehrsprachigkeit«. Da Dialekt weniger mit Prestige und mehr mit Bäuerlichem in Verbindung gebracht wird, haben manche Österreicher – vor allem junge Wiener – keine Dialektkompetenz mehr. Sie können daher auch das Switchen zwischen den Idiomen nicht mehr als Ressource der Kommunikation nutzen. Dabei bieten gerade diese unterschiedlichen Facetten viele Möglichkeiten. Nur gelegentlich verirrt sich eine Dialektphrase. – So: Oida, Deppeter!

Bild(er) © Thomas Albdorf / Håkon Ohlgren
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