Gender Gap: Nehmt den Männern das Internet weg

Es ist nur zu ihrem eigenen Besten. Wenn sich frustrierte Heteromänner im Internet radikalisieren, weil sie keine Partnerinnen finden, suchen sie die Ursache nicht bei sich selbst, sondern geben pauschal Frauen die Schuld. Im schlimmsten Fall verüben sogenannte Incels aus Frauenhass gar Terroranschläge.

© Michael Exner

Nach 21 Kolumnen an dieser Stelle ist es an der Zeit, auch einmal an die Männerquote zu denken. Im Feminismus sind Männer natürlich immer mitgemeint – eine feministische Lebenspraxis befreit schließlich auch sie von festgefahrenen Mustern und Zwängen. Diesmal widme ich mich ihnen ganz explizit. Dazu habe ich eine Online-Expedition in die Untiefen der toxischen Männlichkeit gewagt. Und alles hat damit begonnen, dass die Autorin Stefanie Sargnagel auf Twitter den Screenshot einer Nachricht geteilt hat, die eine Leserin auf einer Datingplattform bekommen hatte.

Es ist so eine Sache mit dem Daten während dieser Pandemie: Zufällig neue Menschen kennenzulernen, ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit. Was bleibt Einpersonenhaushalten auf der Suche nach Gesellschaft also anderes übrig, als auf Dating-Apps auszuweichen? Während die geneigte Daterin vor Corona durch die Wahl der Aufrisslocation oder des Freundeskreises grob vorselektieren konnte, mit wem sie es zu tun haben wollte, konfrontiert Tinder sie mit einem Querschnitt der Bevölkerung. Abhilfe schaffen Erkennungsmerkmale wie »Swipe links, wenn du rechts bist«. Die anonyme Urheberin des eingangs erwähnten Screenshots hat zum Beispiel ihr Profil mit einem Sargnagel-Zitat versehen und sich damit einer spezifischen Subkultur zugeordnet.

Subjekt und Objekt zugleich

Das nahm ein Ok-Cupid-User namens Christof, 28, zum Anlass, sich bei der Frau mit seinem Urteil über Sargnagel vorzustellen: »Als ob die unattraktive, talentlose, niveaulose, pseudointellektuelle Narzisstin sich die Männer aussuchen könnte.« Ob er sich erhofft hat, mit diesem Einstieg sympathisch rüberzukommen? Christof kennt die Autorin aus der Tageszeitung Der Standard, »weil der sie auf penetrante Art und Weise dauernd unterstützt, sodass die gesamte Leserschaft schon das Kotzen kriegt«. Ich möchte Christof an der Hand nehmen, sanft seinen Browser-Tab mit dem Standard-Forum wegklicken und ihm ins Ohr flüstern, dass er auf Datingplattformen nicht nur Subjekt, sondern immer auch Objekt ist. Dass er zwar über Frauen und ihren Geschmack richten kann, aber im Umkehrschluss auch selbst bewertet werden wird. Und in diesem Fall eher nicht positiv.

Im Standard-Forum kann man zwar den Glauben an die Menschheit verlieren, wenn man fälschlicherweise annimmt, hier versammle sich die intellektuelle Elite des Landes. Über Christof, 28, können wir milde lächeln. In anderen Internet-Communitys bleibt uns das Lachen aber wie ein unangenehmer Covid-Schnelltest im Hals stecken. Online-Filterblasen unterstützen die Abkapselung und Radikalisierung ihrer User*innen. Wer in so einer Bubble gefangen ist, wird immer stärker in eine Parallelwelt hineingezogen und verliert die gemeinsame Basis mit den Mitmenschen. Wir sehen das bei Corona-Leugner*innen, Impfgegner*innen und anderen Verschwörungstheoretiker*innen. Und, um bei Männern auf der Suche nach Liebe zu bleiben, auch bei den sogenannten Incels.

Incel ist ein Kofferwort, das die englischen Begriffe »involuntary« und »celibate« miteinander verschmilzt. Es handelt sich also um einen unfreiwillig sexuell enthaltsamen Menschen, oder wie das flapsige Urban Dictionary es formuliert: »A frustrated virgin who feels as if the world owes them sex.« Die allermeisten von ihnen sind heterosexuelle Cis-Männer. Wie so manch genervter User auf Datingplattformen machen sie für ihre eigenen zwischenmenschlichen Defizite pauschal andere verantwortlich – eine klassische Täter-Opfer-Umkehr und narzisstische Kränkung. Incels suchen einfache Antworten auf komplexe Probleme und landen dabei beim naheliegenden Sündenbock Frauen. Die sind das ja schon gewohnt. Die moderne Hexenverfolgung spielte sich lange im Subreddit »r/Incels« ab, das 2017 mit über 40.000 Mitgliedern gesperrt wurde. Heute trifft sich die Community auf Wikimannia und ähnlichen Foren. Trauriger bisheriger Höhepunkt: 2018 verübte ein bekennender Incel in Toronto einen Terroranschlag mit zehn Toten, darunter acht Frauen.

Laut der Incel-Expertin und Autorin Veronika Kracher glauben Incels, dass keinen Sex zu haben das Schlimmste ist, was ihnen passieren kann. Anstatt jedoch an ihrem Charakter zu arbeiten, sehen sie das Problem nur in Äußerlichkeiten und versteigen sich in Theorien von triebgesteuerten Frauen (»Stacys«), die im Tunnelblick der Incel-Fantasie kaum menschliche Züge haben und nichts als Sex mit gutaussenden »Chads« wollen. Den Widerspruch, dass sie Frauen verachten und gleichzeitig von ihnen geliebt werden wollen, sehen sie nicht.

Nährboden für Selbsthass

Die wahren Gründe für ihre Situation liegen freilich woanders. Dass es Incels aufgrund ihrer eigenen Beziehungsunfähigkeit nicht schaffen, auf ein Gegenüber einzugehen, hat mit patriarchalen Strukturen und gelernten Stereotypen zu tun, so der Psychotherapeut Helmut Tesarek 2019 im Kurier. Dazu kommt, dass neoliberale Verhältnisse junge Männer zu Systemverlierern machen. Wenn es – wie etwa auf Instagram (vgl. The Gap 183) – um eine Inszenierung von Attraktivität und Erfolg geht, ist das ein Nährboden für Selbsthass, erklärt Kracher immer wieder. Statt das System an sich als Ursache zu erkennen, wird das Problem aber fälschlicherweise im Feminismus verortet.

Was hilft gegen diese toxische Situation? Kracher glaubt an eine Mischung aus Aussteigerprogrammen und Präventionsarbeit mittels gendersensibler Pädagogik. Außerdem wird es therapeutische Prozesse brauchen, die Incels ermöglichen, ihre eigene Rolle in ihrem Dilemma zu erkennen. Und schließlich gilt es, wie bei vielen anderen Verschwörungstheorien der letzten Jahre, die unregulierten Internetplattformen in die Verantwortung zu nehmen.

Astrid Exner ist per Mail unter exner@thegap.at sowie auf Twitter unter @astridexner zu erreichen.

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