Ein ordentlicher Geschäftsmann braucht dicke Eier. Ob ich da mitgemeint bin?
Es ist 23:30 Uhr, ich schreibe meiner Steuerberaterin eine Mail: »Du, können wir den Gesellschaftsvertrag noch gendern?« Am 25. August 2017 ist es so weit, nach 23 Monaten Selbstständigkeit, zwei hart abgefangenen Burn-outs, massiven Liquiditätsproblemen und Überforderung mit der Administration des eigenen Unternehmerinnentums gießen wir unsere Firma endlich in Form. Wir gründen eine GmbH, und weil ich meiner Steuerberaterin am Vorabend um 23:30 Uhr vollkommen zeitgerecht die Gender-Frage gestellt habe, sind wir mit 25. August laut Vertrag ordentliche Geschäftsmänner.
Der Notar liest wiederholt den »ordentlichen Geschäftsmann«, wir kichern, und der Geschäftsmann zieht in meine Identitätsmatrix ein. Hierzulande wird mit einem Unternehmerbild gearbeitet, das ganz klar männlich konnotiert ist. Die jungen Wilden, das sind die jungen Buben, die mit ihren Start-ups und Agenturen und innovativen Dienstleistungen aufmischen, und das sind die alten, erfolgreichen, die im Engländer sitzen und konspirativ gestikulieren. Hier trifft eine konservative und wenig zeitgemäße Vorstellung von UnternehmerInnentum auf ein Bullshit-Bingo, das der Szene inhärent ist. Als weiblicher Geschäftsmann müsste ich mich auf dieses Spielchen einlassen. Also sinnlose Apps bei Ausschreibungen einreichen, in jedem Zusammenhang von Innovation sprechen, auch wenn es keine gibt, irgendwas mit Digitalisierung anbieten und öffentlich immer betonen, dass man einfach nur dranbleiben muss, dann wird’s sicher was.
Ich bin aber ein pragmatischer Geschäftsmann: Ich weiß, was wir anbieten, und ich weiß, dass es niemals einen Punkt geben wird, an dem die Selbstständigkeit reiner, purer, wunderbarer Erfolg sein wird, sondern zu jedem Zeitpunkt zehrender Kampf, mit durchaus lohnenden gewonnenen Schlachten. Ich fokussiere mich in Alpbach darauf, unser politisches und wirtschaftliches Erbe besser zu verstehen, um es möglicherweise positiv mitgestalten zu können. Teile also nicht wahllos Visitenkarten aus und mag auch nicht lose Gespräche mit Netzwerk-Pflege gleichsetzen – arbeiten will ich sowieso nur mit den Menschen, die mir sympathisch sind. Ich will nicht sagen, dass alle Männer, die sich fürs Selbstständigsein entscheiden, dieses furchtbar anstrengende Bild reproduzieren, aber die, die es tun, sind vor allem Männer. Und dieser Habitus, die ständige Selbstüberschätzung, das ständige Selbst-Anpreisen und Selbst-Verkaufen und große Herumgerede, das die Probleme der Selbstständigkeit unter den Tisch kehrt, wird dann oftmals auch noch belohnt, mit Anerkennung in ihren unterschiedlichsten Formen.
Als wäre das Leben nicht schon anstrengend genug, es wird also auch von mir erwartet, dass ich wie ein zur Selbstreflexion unfähiger Affe ständig allen erzähle, wie erfolgreich ich nicht wäre, damit ich ebenso wahrgenommen werde wie viele meiner männlichen Kollegen. Das mache ich aber nicht, weil ich mir dabei dumm vorkommen würde und weil es einfach nicht stimmt ‒ und weil es eine Lüge ist, die vielen anderen zum Verhängnis wird. Wenn wir weiterhin allen erzählen, dass alles möglich ist, dann wird der Druck, den wir uns selbst und gegenseitig machen, nur noch größer. Und wenn wir ein Unternehmerbild propagieren, das auf Selbstüberschätzung und dicken Eiern basiert, dann schicken wir uns alle selbst ins nächste Burn-out.
Eine der wenigen groß angelegten europäischen Studien zum Thema Female Entrepreneurship des Europäischen Parlaments kommt zum Schluss, dass Frauen mit weniger Risikobereitschaft gründen als Männer und seltener Wachstumsbestrebungen haben – also Einzelunternehmen bleiben. Frauen nehmen seltener und geringere Kredite auf als Männer und bekommen geringere Kredite als Männer. Der Weg zu mehr Chancengerechtigkeit ist wohl nicht ausschließlich, Frauen dazu zu bringen, risikofreudiger zu agieren.
Ja, Selbstständigkeit bedeutet Risikobereitschaft, und ja, es muss der Wille da sein, auch mögliches Scheitern mit Würde anerkennen zu können, und ein bisschen Größenwahn gehört auch dazu. Was aber für alle Sinn machen würde: dieses – empirische und sozialisierte – weibliche Unternehmerinnentum nicht mehr geringzuschätzen, sondern anzuerkennen, dass es ebenfalls eine Leistung ist, zu wissen, wo die eigenen Grenzen sind. Unternehmen, die von Frauen geführt werden, gehen seltener in Konkurs. Unternehmerinnentum ist kein kleiner frecher Lausbube und kein grober Patriarch – solche Bilder sind schädlich und haben nichts mit der Realität zu tun.
Wenn wir also den ordentlichen Geschäftsmann ins 21. Jahrhundert übersetzen wollen, dann propagieren wir doch fortan das Bild eines risikofreudigen, reflektierten Menschen, für den Unternehmerinnentum nicht nur höchstmöglichen monetären Erfolg bedeutet, sondern womöglich das Entstehenlassen eines kleinen Mikrokosmos für die eigenen Ideen, ein Ort, an dem man darauf achtet, Ungerechtigkeitserfahrungen der eigenen Erwerbsbiografie nicht zu wiederholen. Ein Bild, mit dem wir uns alle identifizieren können und wollen, um wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen einzufordern, die nicht nur Mut belohnen, sondern auch einen verantwortungsvollen und erwachsenen Umgang mit den eigenen Ressourcen. Namaste.
Therese Kaiser ist Co-Geschäftsführerin des feministischen Business Riot Festivals sowie Geschäftsführerin des Konzeptbüros Kathe und als thereseterror auf Instagram anzutreffen. Für unserer Kolumne »Gender Gap« beschäftigt sie sich mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus.