"Ich bin ja kein Bekehrfilmer"

Ulrich Seidl nimmt uns in seinem neuen Film auf Safari mit. Wir haben den Regisseur zum Interview gebeten.

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In Safari begleitet Ulrich Seidl Touristen, die in Afrika auf Jagd gehen. Die Kamera folgt dabei dicht den Akteuren, beinahe glaubt man selbst mit ihnen in der Wildnis zu stehen. Seidl begleitet sie beim Jagen, er fängt ein, was die Protagonisten vor und beim Abschuss empfinden. Dazwischen lässt er in Interview-Szenen die Jäger selbst zu Wort kommen. Im Interview mit The Gap erklärt Seidl den Umgang mit seinen Darstellern, warum er sich keine Gedanken über Tabus macht und wieso ihn gerade das Thema Urlaub interessiert.

Sie haben versucht, sich dem Filmthema Jagd und ihren Darstellern objektiv zu nähern, vorab keine Stellung zu beziehen. Die Interview-Szenen in den Filmen wirken entspannt, die Menschen erzählen recht frei und offen. Wie gehen Sie da als Filmemacher vor, um so eine Atmosphäre zu kreieren? Wie sehr interagieren Sie auch mit ihren Darstellern vor und beim Dreh?

Das ist meine Aufgabe, das zu können. Ich habe auch genug Erfahrung damit gemacht, mit Menschen Verhältnisse einzugehen aufgrund dieser Arbeit, die man vorhat. Vieles kann davon auch nicht beschreiben. Es geht nicht um die Methode, sondern es ist – meines Wissens nach – der menschliche Zugang zu jemand. Ich suche mir die Protagonisten natürlich danach aus, von denen ich meine, dass sie erstens für den Film geeignet sind und zweitens ehrlich sind, in dem Sinne, dass sie das, was sie sagen, was sie tun, was sie denken, vor der Kamera auch so präsentieren, natürlich nach meinen Anweisungen, das ist klar. Aber so grundsätzlich möchte ich niemanden vor der Kamera haben, den ich zu etwas zwingen muss.

Man braucht einfach die richtigen Leute.

Genau In dem Fall habe ich Jäger gesucht, die überzeugt sind, von dem was sie tun. Die auch in ihrer Darstellung interessant sind für den Film. Natürlich war die Familie dann besonders interessant, weil sich da die Beziehungen der Menschen zueinander auftun.

Wie sind Sie beim Casting vorgegangen? War es schwierig, Leute zu finden, die sich beim Jagen filmen lassen?

Man sucht unter Jägern, ganz einfach. Man geht zu Jägervereinen, zu Jagdveranstaltungen. Und dort sucht man. Das ist viel, viel einfacher als es bei meinem vorigen Film „Im Keller“ war – denn wo geht man da hin? Wie findet man da Leute, die ihre Abgründe im Keller präsentieren? Das war schwierig.

In einem Interview meinten Sie: „Man muss die Leute mit dem Grauen konfrontieren, um etwas in ihnen auszulösen.“ Geht es Ihnen also darum, etwas auszulösen oder wünschen Sie sich, dass die Menschen ihre Meinung auch ändern?

Die Jäger haben ihre Meinung bestimmt nicht geändert. Das versuche ich auch nicht. Ich bin ja kein Bekehrfilmer. Ich will ja niemanden bekehren, das ist auch nicht meine Aufgabe. Ich finde, ich muss Filme machen, die anhand von Protagonisten und Umständen etwas thematisieren, das für uns alle gilt. Für uns Zuschauer und für unsere Gesellschaft. Und damit gilt es sich auseinanderzusetzen. Es geht mir nicht darum, einzelne Leute zu brandmarken.

In einem Interview meinten Sie, dass Sie deswegen Interesse an dem Thema Jagd haben, da es etwas über Menschen an sich sagt und auch über den Umgang der Menschen mit der Natur. Im Film zeigen sich auch Verhältnisse zwischen Weißen und Schwarzen, es geht um Macht und Moral. Welche Themen gibt es mitunter noch, die so viel über die Spezies Mensch aussagen?

Da gibt es unendlich viele. In „Safari“ wird das gezeigt am Verhältnis Mensch und Tier oder am Verhältnis Weiß und Schwarz. Da spielt ja vieles auch hinein, die ganze koloniale Vergangenheit zum Beispiel. Und auch das Thema Urlaub. Das Thema töten und jagen. Das ist ein Komplex. Da finde ich es immer spannend bei so einem Thema so eine Komplexität herauszuholen. Und das ist auch immer ambivalent, es gibt nicht immer nur das Eine.

Viele ihrer Filme sind Dokumentationen bzw. bedienen sie sich einem Dokumentationsstil. Was denken Sie können Dokus für das Publikum leisten, das gänzlich fiktive Geschichten nicht können?

Also ein fiktiver Film kann alles, finde ich. Es gibt immer Vor- und Nachteile. Eine Doku hat ja auch Grenzen. Die Doku hat möglicherweise den Vorteil, da sie den Menschen näherkommt, weil das Publikum weiß: Das ist die Wirklichkeit. Wobei darüber kann man natürlich auch streiten, denn man kann vieles zeigen in einer Doku, das gar nicht der Wirklichkeit entspricht. Der Dokumentarfilm hat insofern Beschränkungen, weil er sich anhand der dargestellten Menschen, die vorkommen, orientieren kann. Er kann jetzt nicht irgendjemanden sterben lassen zum Beispiel.

Sie sind dafür bekannt, provokante Themen in ihren Filmen aufzugreifen. Womit kann man Leute heutzutage überhaupt noch schocken?

Ich denke nicht darüber nach. Es ist nicht so, dass ein Film von mir deswegen entsteht, weil ich mir denke: Damit kann man Leute schocken. Ich habe Themen, die mich interessieren und bei denen ich mir denke, dass sie gesellschaftlich interessant sind. Etwa das Thema Urlaub.

Warum gerade das Thema Urlaub?

Weil man anhand von Tourismus meiner Ansicht nach gut die Verhältnisse auf dieser Welt beschreiben kann. Man kann dadurch viel über unsere Gesellschaft aussagen, aber ich glaube, auch das ist ein tabuisiertes Thema. Weil wir nicht darüber nachdenken, was es eigentlich bedeutet. Man denkt nicht über das eigene Vergnügen hinaus. Man denkt nicht an den Schaden, den man damit auch anrichtet.

Als Wim Wenders kürzlich in Venedig auf Sie angesprochen wurde, meinte er: „Wir brauchen ihn.“ Was soll mal jemand in 50, 100, … Jahren über Ulrich Seidl-Filme sagen?

Soweit kann ich nicht voraussehen.

Also haben Sie da keinen Wunsch?

Ich kann nur hoffen, dass die Filme in die Filmgeschichte eingehen.

Safari ist ab 16.09.2016 in den österreichischen Kinos zu sehen.

Bild(er) © Bild 1: Ulrich Seidl Filmproduktion Bild 2: Ulrich Seidl Filmproduktion Bild 3: Ulrich Seidl Filmproduktion Bild 4: Sepp Dreissinger
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