Im Namen des Vaters

Zwischen seinem Spontankonzert für Flüchtlinge am Wiener Hauptbahnhof und dem abendlichen Auftritt im Konzerthaus trafen wir Glen Hansard zum Interview.

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Eloquent und redefreudig verrät er uns, wie er nach einer großen Erfolgsphase wieder zu sich selbst gefunden hat, wie sehr sein neues Album von seinem Vater inspiriert wurde und warum in seinem letzten Musikvideo Schulkinder zu David Bowie beten.

Als wir uns vor drei Jahren das letzte Mal getroffen haben, hattest du gerade dein erstes Soloalbum “Rhythm And Repose” fertig, und jetzt gibt es ein neues Album von dir, “Didn’t He Ramble”. Was kannst du über die Entstehungsgeschichte des neuen Albums sagen, hat sich was in der Herangehensweise geändert?

Diesmal war einiges anders, aber genauso, wie sich Dinge im Leben aller Menschen ändern. Ich bin älter und habe andere Lebenserfahrungen als beim letzten Album. Am selben Tag, an dem “Rhythm And Repose” erschien, war auch die Premiere von “Once“ am Broadway, und damals hatten wir keine Ahnung, was das bedeutet (die Musical-Version des gleichnamigen Films “Once“ lief drei Jahre lang sehr erfolgreich am Broadway, Anm.). Ich denke, dass “Rhythm And Repose” die Zeit und den Erfolg von “Once“ auf der Bühne reflektiert.

Dagegen markiert das neue Album eine neue Phase, sozusagen die „Let´s Get Back To Work“-Phase. Es war eine sehr interessante Zeit und sehr bewegend für mich, zu sehen, wie viele Leute am Broadway eine Verbindung zu meinen Songs aufgebaut, sie gesungen und von mir weg getragen haben. Auch zu sehen, wie meine Songs, die ich vor 10 Jahren für den Film geschrieben habe, eine eigene Persönlichkeit entwickelt haben. Ich bin selbst kein Vater, aber ich glaube, es muss ähnlich sein, wenn man als Eltern seine Kinder aufwachsen sieht, wie sie ihre eigenen Ambitionen entwickeln, unabhängig werden und in die Welt hinaus ziehen. Die Riesenwelle des Erfolgs, die über uns geschwappt ist, ein Erfolg, der niemals so geplant war, ist nun verebbt, und die Dinge haben sich wieder normalisiert. Da musste ich mich fragen: „Okay, wo war ich? Was mache ich? Bin ich ein Celebrity? Wer bin ich eigentlich?“ Und ich musste mich erst wieder selbst erinnern, dass ich Musiker bin, da ich es liebe, Musik zu machen (lacht).

Ich bin jemand, der gerne Songs schreibt und versucht, sein Leben durch die Musik zu verstehen. Das Kapitel, ein wirklich großartiges in meinem Leben, ist nun abgeschlossen, und ich fühle mich so, als hätte mit dem neuen Album zurück zu mir gefunden. “Rhythm And Repose” war im Prinzip noch ein “Swell Season“-Album, nur ohne dass Markéta (Markéta Irglová, die weibliche Hälfte von “The Swell Season“, Anm.) darauf gesungen hat. Dagegen ist “Didn’t He Ramble” nun wohl mein erstes richtiges Soloalbum.

Wie bist du die Arbeit am neuen Album angegangen? Letztes Mal hast du erzählt, dass du davor eine Auszeit genommen hast und nach Jamaika gegangen bist.

Ja, das war der erste Urlaub, den ich je gemacht habe, nun versuche ich, Urlaube etwas regelmäßiger einzuplanen. Das ist wichtig, um sich zu regenerieren, man findet wieder zu seinen Vorstellungen, seinem Antrieb und auch Humor zurück. In meinem Job gibt es mitunter so wenig Humor (lacht). Die Zeit in der Karibik war sehr wichtig, da sie mich auch musikalisch verändert hat, ich habe andere Rhythmen entdeckt und eine Leichtigkeit für meine Musik gefunden, die davor nicht da war. Und diese Leichtigkeit ist immer noch da, weil ich sie an einem speziellen Ort in mir selbst verwahre und sie pflege, da ich nicht möchte, dass sie sich in Dunkelheit verwandelt. Auf der neuen Platte gibt es weniger Dunkelheit, ich fühle, dass ich mehr zu meinen Freunden und meiner Familie singe.

In einem Interview hast du kürzlich gesagt, dass Liebe nicht das zentrale Thema des Albums ist, gibt es ein anderes zentrales Thema?

Verantwortung. Was im Prinzip Liebe ist. Es ist nur ein anderes Wort für Liebe. Ich habe versucht, andere Worte dafür zu finden und das Wort Liebe nicht auf dem Album zu verwenden, außer es war das absolut einzig passende Wort. Auch mit „Heart“ habe ich es so gemacht, da es ein sehr geläufiges Wort ist. In den Songs geht es um Verantwortung gegenüber seinen Freunden und seiner Familie und um Ehrlichkeit. Wenn ich merke, dass mein Bruder oder Freund einen falschen Weg eingeschlagen hat, ist es meine Verantwortung, ihnen das zu sagen. Das ist sehr wichtig, manchmal brauchen wir Jahre, um einen simplen Umstand zu erkennen, aber ein wahrer Freund kann es dir in fünf Minuten sagen und dir zwei, drei Jahre an Entwicklungsprozess sparen.

In einer Gemeinschaft, in der die Leute kommunizieren, geht die Entwicklung sehr rasch. Durch die Gentrifizierung wird dieser Prozess verlangsamt, wir leben in einer Welt von abgeschlossenen Gemeinschaften. Kennst du etwa deine Nachbarn oder bist mit ihnen befreundet? Ich bin in einem Wohnblock aufgewachsen, der einzigen Sozialwohnungssiedlung in Dublin. Rund um uns wohnten Familien, und wir haben uns alle gekannt. Toll daran war der Umstand, dass alle miteinander kommuniziert haben. Das geschah nicht immer sehr eloquent oder mitfühlend, aber die Kommunikation half allen, ihre Probleme zu meistern, sprich Wohnen, niedriges Einkommen und eine trostlose Existenz nach dem Muster: Arbeiten, Arbeiten, Arbeiten, Sterben (lacht). Das klassische Modell: die Armen sollen arm bleiben. Wir sind damit aufgewachsen, aber die Kommunikation hat uns geholfen.

Lebst du derzeit eigentlich in Dublin?

Ja, ich lebe wieder in Dublin. Ich bin vor ein paar Jahren nach New York gezogen und hatte dort eine großartige Zeit. New York ist eine tolle Stadt, wenn es einem gut geht, und eine schreckliche Stadt, wenn es einem schlecht geht. Wie jede große Stadt verstärkt es deine Stimmung, daher musste ich auch wieder weg. Als “Once“ am Broadway startete, musste ich weg, da sich eine andere Energie entwickelte. Ich wurde auf der Straße anders angesehen als davor, weil sich etwas an meinem Erfolg oder Ruhm verändert hat. Wobei ich die Worte Ruhm oder Berühmtheit nicht mag, da es keine beständigen Attribute sind. Diese Dinge kommen und gehen wie das Wetter. Ein Hurrikan kann kommen und alles vernichten, und am nächsten Tag ist es wieder ruhig. Wo du selbst stehst ist wichtig. Jedenfalls war es eine unruhige Zeit damals, daher bin ich wieder in meine Heimat gezogen.

Im Booklet des neuen Albums habe ich gelesen, dass du es an unterschiedlichen Orten aufgenommen hast, teils in New York, teils in Dublin, teils in Frankreich, hatten die Orte einen Einfluss auf die Aufnahmen?

Ich glaube es nicht. Wobei New York so eine Energie hat, dass es die Songs eigentlich beeinflussen muss. Ich habe dort mit Musikern gearbeitet, die extrem eifrig und energiegeladen waren. New York ist eine Stadt der Spitzenleistung. Alle Leute, die die Besten auf ihrem Gebiet sind, ziehen in die große Stadt. So wie vermutlich hier auch, wenn außergewöhnlich talentierte Leute nach Wien, Berlin oder London ziehen, um dort ihr Glück zu versuchen. In New York jedenfalls gibt es eine Energie, die einem sagt: „Wenn du Mist baust, finden wir das heraus, wenn du imitierst, finden wir das heraus, wenn du echt bist, komm und gib dein Bestes, sonst hau ab.“

Weiter zu Authentizität, Holzarbeiten und Hansards Vater.

Bild(er) © Stephan Brueckler
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