Welche hasserfüllten Strategien sich im Internet verbreiten und wie man sich dagegen wehren kann, hat uns Ingrid Brodnig anlässlich ihres jüngst erschienenen Buches "Hass im Netz" erzählt.
Zulabern
Ingrid Brodnig: "Usern, die zur Zulaber-Taktik greifen, geht es nicht um Diskussionskultur. Weil sie eben nicht an echtem Austausch interessiert sind, kommen sie auf einmal mit sechs bis sieben vermeintlichen Argumenten daher, die oft nicht ganz so stimmen – und schreiben regelrechte Manifeste, die in ihrer Wucht jeden Leser erschlagen. Das Problem: So schnell wie manch ein Nutzer eine Behauptung erfinden kann, kann ein anderer das gar nicht nachrecherchieren.
Lösungsstrategie: Hilfreich kann es sein, auf ein konkretes Argument einzugehen und nachzufragen, wie dieses genau gemeint war: am besten direkt nach der Quelle fragen. Dann sieht man oft rasch, wie viel Substanz die jeweilige Behauptung hat oder wie manch ein unfair argumentierender Nutzer auszuweichen probiert."
Themen-Hopping
Ingrid Brodnig: "Das Themen-Hopping ist mit der Strategie des Zulaberns oft eng verbunden. Anstatt ausreichend zu argumentieren, springen Hater mit dieser Taktik von einem Aspekt zum nächsten – ohne genauere Ausführungen dazu. Lösungsstrategie: Am besten funktioniert es direkt darauf hinzuweisen, dass ein Topic nach dem anderen aneinandergereiht wird. Zum Beispiel kann man antworten: „Du wechselst dauernd das Thema, du gehst auf Gegenargumente nicht ein. Das macht das Diskutieren aber sehr schwer.“ Das führt zwar selten zu einem Umdenken beim betroffenen Nutzer, aber die anderen Mitlesenden können sich dann ihre Meinung bilden. Es ist sinnvoll, solche unfairen Diskussionsstile zu benennen – und damit dies auch anzukreiden."
Silencing
Ingrid Brodnig: "Beim Silencing sind Hassposter solange grob und beleidigend, bis die Betroffenen frustriert die Bühne verlassen. Dabei geht es oft überhaupt nicht mehr um Inhalte, sondern darum, Andersdenkende zu demotivieren oder in Angst zu versetzen – häufig sehen wir dies auch gegenüber Feministinnen. Die Bandbreite reicht von der unverhältnismäßig heftigen Tonalität in Foren von Tageszeitungen bis hin zur konkreten Androhung einer Vergewaltigung. Lösungsstrategie: Wenn man merkt, dass jemand total niedergemacht wird, sollte man sich – selbst wenn man anderer Meinung ist – hinter die Person stellen und darauf hinweisen, dass diese verbalen Prügel zu weit gehen. Auch kann man Betroffenen mit einer privaten Nachricht den Rücken stärken. Wichtig ist es vor allem solche Rüpel zu melden. Wenn diese andere zum Beispiel mit immer wieder neuen Accounts belästigen, hilft es umso besser, je mehr Leute das thematisieren. Dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Twitter und Facebook eingreifen."
Ausrede Meinungsfreiheit
Ingrid Brodnig: "Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Meinungsfreiheit jemals uneingeschränkt ist. Diese endet oftmals, wenn Persönlichkeitsrechte verletzt werden – und dazu zählt eben auch die Belästigung und die Bedrohung anderer User im Internet. Lösungsstrategie: Wichtig ist dieser Argumentation klar zu machen, dass freie Meinungsäußerung nicht vor Kritik schützt. Man darf sehr wohl widersprechen und gerade als Seitenbetreiber auch Nutzer sperren, die gegen andere User hetzen. Das wird oft als „Zensur“ kritisiert. Es ist aber klar, dass es Regeln gibt, die einzuhalten sind. Wenn einem das nicht passt, gibt es viele Orte im Web, wo man weiterhin posten kann. Und jeder Einzelne hat auch die Möglichkeit, eine eigene Webseite zu starten, wo er selbst diskutieren und zur Diskussion einladen kann. Aber Meinungsfreiheit umfasst nicht das Recht, auf fremden Webseiten ohne Konsequenzen in einer Tour Schimpfworte zu verbreiten."
Lügengeschichten verbreiten
Ingrid Brodnig: "Dieses Beispiel ist eine Falschmeldung, die vom Portal mimikama.at aufgedeckt wurde. Oft werden Lügengeschichten, die entlarvt werden, quasi als Notlüge mit dem Argument 'Es hätte ja auch stimmen können' gerechtfertigt. Lösungsstrategie: Häufig reicht schon beim Lesen ein kurzes Innehalten: Ist die Quelle vage? Die Nachricht fast zu schockierend, um wahr zu sein? Fälscher sind meistens nicht recht kreativ und verwenden oft irgendwelche Bilder aus dem Netz zu ihren Lügengeschichten – bei der Google-Bildersuche kann man beispielsweise Fotos hochladen, um zu sehen, ob dieses schon früher einmal aufgetaucht ist. Falls sich doch mehr Mühe gegeben wurde, empfiehlt es sich, direkt bei den zuständigen Akteuren nachzufragen, ob ein solcher Vorfall gemeldet wurde. Zum Beispiel bei der Polizei oder der Rettung. Leider bleiben Falschmeldungen oft sehr gut im Gedächtnis, man kann Richtigstellungen aber möglichst geschickt formulieren, damit sie effektiv sind. Es hilft, die als Verneinung wegzulassen. Wenn zum Beispiel behauptet wird, Barack Obama sei ein Moslem, sollte man nicht formulieren: 'Nein, Barack Obama ist kein Moslem.' Menschen erinnern sich stärker an den Satz: 'Nein, Barack Obama ist Christ." Solche affirmative Korrekturen bleiben stärker in Erinnerung."
Haters gonna hate. Ein Meme, das für die Ewigkeit gelten muss? Der Frage, ob die Weltordnung im Internet wieder eine userfreundlichere werden könnte, geht Ingrid Brodnig unter anderem in ihrem neuen Buch "Hass im Netz – Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können" nach.
Zuerst braucht’s die Erkenntnis, dann die Umsetzung
Brodnigs Anliegen in "Hass im Netz" ist vor allem ein Plädoyer dafür, in der Auseinandersetzung mit provozierenden Rüpeln nicht klein beizugeben. Die grundlegende Message: Um eine differenzierte Debattenkultur sowie einen wertschätzenderen Umgang im Netz zu erreichen, ist jede und jeder einzelne gefordert. Geliefert werden fundierte Erkenntnisse zur komplexen Thematik (inklusive aller Grauzonen) – sowie nachvollziehbare und hilfreiche Lösungsansätze für alle Betroffenen und Beobachter von problematischem Verhalten im Netz.
Wie diese unguten Begegnungen mit Trollen und problematischen Usern in der Praxis oft aussehen können und was man dagegen tun kann – dazu haben wir die Autorin ausgefragt. Herausgekommen ist eine Preview zu den gängigen Hass-Strategien im Netz.
Das zweite Buch von Ingrid Brodnig "Hass im Netz – Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können" ist im Brandstätter Verlag erschienen.