»Nach den Schlagwörtern ›Haider‹ oder ›Ortstafelkonflikt‹ hört das Wissen meist auf« – Katharina Brunner und Nils Kaltschmidt über »Immer noch Koroška«

In Kärnten muss die slowenische Minderheit noch immer um ihren Platz kämpfen. Katharina Brunner und Nils Kaltschmidt haben in »Immer noch Koroška« persönliche Perspektiven zu diesem seit über einem Jahrhundert währenden Konflikt eingefangen. Ihr Dokumentarfilm ist neu in der Cinema Next Series kostenfrei zu streamen. Wir haben das Regieduo zum Interview gebeten.

© Vincent Seidl / Nils Kaltschmidt — Filmstill aus »Immer noch Koroška«

»Immer noch Koroška« ist die nächste Veröffent­lichung in der Cinema Next Series, die regelmäßig auf der Streaming­platt­form Kino VOD Club kostenlos spannende Filme von heimischen Film­talenten präsentiert.

Cinema Next: In euren eigenen Worten: Worum geht es in »Immer noch Koroška«?

Katharina Brunner und Nils Kaltschmidt: Kärntner Slowen*innen und Minderheiten generell werden oft in eine Schublade gesteckt. In Wahrheit aber gibt es so viele verschiedene Arten, wie sich die Zuge­hörig­keit zur Gruppe und das Sprechen der slowe­nischen Sprache in Öster­reich anfühlt, und auch ganz unter­schied­liche Wege, wie das alles das Leben an sich beein­flusst. Die Beziehungen zwischen Mutter und Tochter, Vater und Sohn, die Lebens­weisen der Protago­nist*innen, die geprägt davon sind, für etwas Platz schaffen zu wollen, geben die Möglich­keit zu verstehen.

Was war Ausganspunkt für eure Beschäftigung mit dem Thema Kärntner Slowen*innen? Habt ihr den Film auch aus einer eigenen Betroffen­heit gemacht?

Katharina: In Kärnten / Koroška einsprachig aufge­wachsen, hab ich mit dem Erwachsen­werden erkannt, dass ich ein Produkt von fehlendem politischem Willen bin, ein Bewusst­sein für die Zwei­sprachig­keit im Land zu schaffen. Besonders Minder­heiten­sprachen brauchen Raum, in dem sie sichtbar und präsent sein können. Österreich und Kärnten haben diesen Raum zu wenig geschaffen, finde ich. Ich wollte selbst mehr darüber lernen. Mein erstes Dokumentar­film­projekt »zu Hause« anzusiedeln, gab mir ein bisschen mehr Sicher­heit oder Komfort.

Nils: Kathi ist mit diesem Thema zu mir und meiner Produktions­firma Henx gekommen, davor habe ich so gut wie keine Berührungs­punkte damit gehabt. Das war dann schnell mit ein Grund, etwas zu dem Thema machen zu wollen, da ich gemerkt habe, wie wenig ich bisher über diese Minder­heit vermittelt bekommen habe. Zusätzlich habe ich einen persön­lichen Zugang zum Thema Sprache und Identität, da meine Mutter Schwedin ist und ich zwei­sprachig in Öster­reich aufge­wachsen bin. Deshalb hat es mich sehr interessiert, einen persönlichen Einblick in die Kärntner Slowen*innen von heute und ihre Lebens­realität zu bekommen.

Das Regieduo Nils Kaltschmidt und Katharina Brunner. Nils ist Gründungs­mitglied und Geschäfts­führer des Grazer Film­kollektivs Henx und über­nimmt dort bei den meisten Produktionen Regie und Konzept. Katharina Brunner hat in Graz Journa­lismus und PR studiert und bei Henx in Produktion und Regie­assistenz mitge­arbeitet. Seit 2019 ist sie als freie Journalistin in Wien tätig. (Foto © Theresa Maria Dirtl)

Dieser seit über einem Jahrhundert währende Konflikt um Diversität im Süden Öster­reichs ist schon viel­fach und umfang­reich thema­tisiert worden. Was war euer Anliegen und euer Zugang, dieses Thema zu beleuchten?

In Kärnten hört man sinn­gemäß oft: »Das ist ja eh immer die gleiche alte Leier; lassen wir das doch endlich hinter uns.« Ich glaube, die wenigsten Leute, die sagen, das Thema satt zu haben, haben wirklich den verschiedenen Facetten zugehört. Die oft bequeme Dominanz­gesellschaft hört nicht gern zu, spürt nicht selbst, wie es ist, wenn die Sprache, mit der man lebt, irgendwie immer mit Schwierig­keiten behaftet ist und so wenig Präsenz in der gemein­samen Öffent­lich­keit hat. Unser Zugang war, gemein­same Fragen der Gegen­wart zu stellen: Wie beein­flusst Sprache persön­liche Beziehungen und Lebens­pläne? Wie viele Identitäten habe ich? Wo gehöre ich hin? Diese Fragen, die sich alle stellen, sollen einen empa­thischeren Blick ermöglichen.

Zdravko im Gespräch mit seinem Vater (Filmstill aus »Immer noch Koroška« © Vincent Seidl / Nils Kaltschmidt)

Ihr lasst in eurem Dokumentar­film nicht nur Kärtner Slowen*innen zu Wort kommen, sondern zeigt auch Ereignisse rund um den 10. Oktober 1920, als Slowen*innen sich in einer Volks­abstimmung zu Kärnten bekannten. Im Film sieht man, dass dieser zum regionalen Feier­tag gewordene Tag vor allem von meist etwas älteren und männ­lichen Konser­vativen gefeiert wird. Warum zeigt ihr auch diese rechts­konservative Facette des Streits?

Die Aufnahmen der Feier des Kärntner Abwehr­kämpfer­bundes (KAB) mit den vielen Männern im Kärntner Anzug ist ein drastisches Bild. Die meisten in Kärnten feiern nicht so. Aber es verbild­licht und vertont viele Aspekte des altein­gesessenen Konflikts. Was auffällt: In der Rede wird Kärnten gefeiert, aber kein einziges Mal fällt das Wort »slowenisch«. Ganz aus­sparen kann man diese Erscheinungen bei dem Thema also nicht, sie geben Kontexte für das, was Protago­nist*innen im Film erzählen. Es waren aber nicht »Slowen*innen«, die in der Volks­abstimmung dafür stimmten, zur Republik Österreich zu gehören. Damals gab es Slowenien als Staat noch gar nicht. Die Bevöl­kerung im Süd­osten des jetzigen Öster­reichs hat eben Slowenisch und Deutsch gesprochen. Nach der Grenz­ziehung nahmen die deutsch­nationalen Strömungen noch mehr zu. Das zog sich weiter durch die Jahr­zehnte. Slowenisch zu sprechen und damit zu wenig »deutsch« zu sein – deshalb wurden viele im Zweiten Welt­krieg verfolgt, ermordet, in Konzen­trations­lager gebracht. Das spielt alles auch heute noch eine Rolle, am Ende geht es bei Rechts­konser­vativen auch um eine Facette davon.

Der Feiertag wird auch von Protesten von vor allem jungen Menschen begleitet, die gegen diese Miss­achtung slowenischer Minder­heits­rechte auf die Straße gehen. Wie seht ihr die Zukunft dieses zähen und zermür­benden Kampfes?

Forderungen nach dem Einhalten der Minder­heits­rechte, die mehr Präsenz der Sprache für alle bringen würden, werden auch in Zukunft noch wichtig sein. Wenn man bedenkt, dass Kärntner Slowen*innen, wenn sie in der Öffent­lich­keit Slowenisch sprechen, immer noch zu hören bekommen, sie sollen »heim hinter die Karawanken« gehen, dann zeigt das, dass sich viele in Kärnten immer noch nicht mit der eigenen Geschichte aus­kennen, wahr­scheinlich noch nie die Perspek­tiven der Kärntner Slowen*innen gehört haben. Allein die Wahl des Landes­feier­tags zeigt, dass die Slowenisch sprechende Gruppe nicht oder zu wenig in Öffent­lich­keiten mitgedacht wird. Als zwei­sprachiges Bundes­land hat Kärnten ein geschicht­liches Ereignis zum Feier­tag gemacht, das für die slowenische Sprache und ihre Sprecher*innen nichts zum Feiern ist. Für die Zukunft könnte man das zum Beispiel überdenken. Ich glaube aber, die Politik ist tat­säch­lich zu faul, sich dem anzu­nehmen, es würde sicher auch viele stören.

Männer im Kärntner Anzug: die Feier des Kärntner Abwehrkämpferbundes am 10. Oktober (Filmstill aus »Immer noch Koroška« © Vincent Seidl / Nils Kaltschmidt)

Wie packt man diesen Konflikt in nur eine halbe Stunde Filmzeit? Wie findet man da die Mischung zwischen Geschichts­kontext, Status quo und eigener Analyse sowie Kommen­tierung? War das für euch heraus­fordernd?

Das hat uns ziemlich gefordert. Den ganzen Konflikt kann sowieso kein Film, egal wie lange, aufgreifen. Den Anspruch, geschichtlich alles zu erklären, haben wir fallen gelassen und uns für die Gegen­wart als Ort, wo Empathie am leichtesten entstehen kann, entschieden. Gleich­zeitig wollten wir aber, dass Zuseher*innen nicht komplett lost sind, so sind wir zu den Text­einblen­dungen gekommen.

Gibt es etwas, was euch in eurer Recherche und euren Dreh­arbeiten an diesem sehr bekannten Konflikt völlig über­rascht oder auch völlig sprach­los zurück­gelassen hat?

Du sagst, der Konflikt ist bekannt, es ist aber eher über­raschend, wie ober­flächlich das Wissen der meisten ist. Nach den Schlag­wörtern »Haider«, »Ortstafelkonflikt«, »10. Oktober« hört das Wissen bei vielen auße­rhalb der Minder­heit meist auf. Das hat immer wieder über­rascht. Die Erkenntnis, wie mächtig Sprache im öffent­lichen Raum ist und dass »Österreich = Deutsch« geschicht­lich und auch gegen­wärtig einfach Unfug ist, war beson­ders prägend.

Eine Interview-Reihe in Kooperation mit Cinema Next – Junger Film aus Österreich.

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