Bist du immer noch at home, baby? FM4 wird 20. Thomas Weber macht sich deshalb über das Image und die Zukunft des Radiosenders Gedanken.
THESE 4
„FM4 ist ein Gefangener des ORF“
Wollte man 2014 ein Jugendkulturradio konzipieren, würde vermutlich niemand bei FM4 landen. Doch das ursprüngliche Sendeschema für die Abendstunden aus den 90er Jahren behauptet sich – um die Jahrtausendwende zum 24/7-Vollprogramm erweitert – auch im fortschreitenden Jahrtausend erstaunlich gut. Und die Diskussionen darüber, wie FM4 heute aussehen könnte, sollte oder müsste, scheinen angesichts des Gesamtzusammenhangs eines rundum gelähmten ORF obsolet und fast ein wenig kleinlich.
Während die Konkurrenz (Privat-TV/-Radio wie auch Zeitschriftenverleger) dem Gelähmten am liebsten eine Gliedmaße nach der anderen abreißen und auch noch die Eingeweide entwenden würde, während immer wieder einmal auch die Privatisierung eines Fernsehkanals und der Sendefrequenz von FM4 gefordert wird, versucht der ORF vor allem eines: nicht aufzufallen.
Den ORF gibt es, weil es ihn gibt. Eine ORF-Gründung, überhaupt Öffentlich-Rechtliches aus dem Boden zu stampfen, wäre 2014 vermutlich nicht mehr möglich. Und das Gleiche gilt wohl für alle Teilbereiche und Standards der Anstalt ebenso. Dass es sich dabei um eine kulturelle Errungenschaft und etwas Erhaltenswertes handeln könnte, wird viel zu selten thematisiert. Diese Diskussion müsste allerdings eher im Großen und Ganzen geführt werden, nicht im Detail und auf Nebenschauplätzen. Doch in einem Umfeld, wo es über viele Monate hinweg offensichtlich nicht einmal möglich ist (oder notwendig erscheint), einen neuen Ö1-Chef (oder -Chefin) zu ernennen, scheinen strukturelle Änderungen ohnehin erschwert. Wer sich bewegt, verliert – Budget, Planstellen, Einfluss und damit vermutlich auch Reichweite. Es regiert der Rotstift.
Bleibt die – große – Frage, was Radio heute noch leisten kann. Und, ganz konkret: Wie sich FM4 2015ff behaupten könnte – zwischen dem personalisierten Soundstreaming von Spotify, weltweiter Konkurrenz durch hochspezialisierte Webradios und dem prätentiös schmerzfreien Boulevard von Vice; darüber hinaus: gefesselt von einem ORF-Gesetz, das innovative Internetaktivitäten untersagt? Vermutlich am besten, indem sich Radio selbst treu bleibt. Als zwar nicht personalisierter, aber als Alltagsbegleiter mit persönlicher Ansprache für solche mit subkultureller Sozialisation, Anspruch und jene, denen das Feelgood-Geplapper der Hitradios zu frohsinnig künstelt.
Für jene, die an sich selbst den Anspruch stellen, Bescheid zu wissen und trotz auseinanderdriftender Lebensstile den Überblick zu bewahren. Denn wer – rein theoretisch – den ganzen Tag über FM4 laufen hat, der weiß, was passiert: in der näheren wie in der weiten Welt und auch in diversen Szenen und Nischen und in dem, was die Kultur in der Popkultur ausmacht. All das sind Voraussetzungen für einen öffentlichen Diskurs, ist dem Gemeinwohl zuträglich und damit im besten Sinne öffentlich-rechtlich.
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Vorne, von links nach rechts: Robert Rotifer (FM4 Heartbeat, Popfest-Kurator), Gerald Votava (Projekt X), Eva Umbauer (FM4 Heartbeat), Dirk Stermann, Christoph Grissemann, Marian Schönwiese, Christian Lehner (FM4 New York, jetzt FM4 Berlin), War nur kurz dabei und weiss nicht mal FM4 selbst, Hannes Eder (General Manager Universal Music Austria, zeitweilig Starmania Scharfrichter), Florian Horwath (Musiker) Eine grössere Version des Fotos gibt es hier.