John Wick lädt zur zweiten Headshot-Orgie

Actionkunst oder Gewaltporno? „John Wick: Kapitel 2“ übertrifft Teil eins in puncto Brutalität, sorgt aber für gute Unterhaltung – mit leichten Gewissensbissen.

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© 2017 Concorde Filmverleih GmbH

Action als Kunstwerk kennt man vor allem aus dem langsam in Vergessenheit geratenden Hongkong-Film. Im Westen hat Quentin Tarantino das Monopol auf cineastische Gewalt-Ästethik mit Tiefenanspruch; abseits seiner vielbeachteten Werke verlagert sie sich meist in die Randbereiche des Mainstreams, sprich in die Beuschel- und Independentecke. Zwischen Tarantino und dem Spartenkino regieren stupide Ballerorgien das Actiongenre. Bis Hollywood mal wieder ein sehenswerter Ausreißer gelingt. „John Wick“ (2015) war ein solcher.

Das gefühlte hundertste (gelungene!) Comeback von Keanu Reeves bestach durch ungezwungene Lässigkeit, trockenen Humor und perfekten „Pace“ (quasi Tempo und Rhythmus der Story). Der Plot war denkbar simpel gehalten – pensionierte Ein-Mann-Armee führt ultrabrutalen Rachefeldzug gegen russische Mafia – aber um ein entscheidendes Extra erweitert: Titelfigur John Wick gehört im Film zu einer Art geheimen Schwerverbrechergesellschaft, die einem strengen Regel-Kodex folgt, über eine eigene Goldmünzenwährung verfügt und als Netzwerk illustrer Profikiller verstanden werden darf. Warum entscheidend? Weil es dem Film auf einfachste Art und Weise Tiefgang und eine gewisse Distanz zur Realität verleiht. Wichtig dabei die fehlende Exposition: Das Publikum wird nicht in die Hintergründe des Unterweltbundes eingeweiht, bleibt also lediglich interessierter Zaungast. Das kurbelt einerseits die eigene Vorstellungskraft an und gibt Wicks Gewaltexzessen andererseits auch einen außerweltlichen Charakter; macht es aufregend, um nicht zu sagen unterhaltsam, ihm dabei zuzusehen, wie er an die 50 Menschen in den Kopf schießt.

Mehr Headshots, weniger Pointen

Auch das Sequel „John Wick: Kapitel 2“ spart nicht mit ultrabrutalen Headshot-Passagen, die – mit einigen choreographischen Variationen und längerer Screentime – aus dem ersten Teil kopiert wurden. Das ist das Pflichtprogramm. Die Kür erfolgt auf Plotebene: Regisseur Chad Stahelski und Drehbuchautor Derek Kolstad bauen das interessanteste Story-Element des Originals (die Killer-Gesellschaft) zum tragenden Handlungsrahmen aus. John Wick hat seinen Rachefeldzug gerade beendet und seine Waffen zur Ruhe gelegt, als ein alter Bekannter an seine Tür klopft. Mafioso Santino (Riccardo Scarmacio) fordert eine Blutschuld bei John ein, die dieser nur mit dem Mord an der Gangsterkönigin Gianna (Claudia Gerini), bei der es sich pikanterweise um Santinos Schwester handelt, begleichen kann. Weil der Kodex es vorschreibt, muss John den Auftrag ausführen und landet dadurch nicht nur auf der Abschlussliste von Giannas Beschützer Cassius (Common) und Santinos Henkerin Ares (großartig: Ruby Rose als stumme Killerin, die in Zeichensprache kommuniziert), sondern hat auch gleich sämtliche Profimörder New Yorks an der Backe.

Die Figur des John Wick bleibt auch im zweiten Kapitel eine absolute Bereicherung des Baller-Genres. Die Mischung aus geradliniger Action („Cars, guns, knives – just basic stuff“, meinte Keanu Reeves dazu in einer Ankündigungs-Featurette) und mystischem Secret-Society-Background funktioniert genauso gut wie im Original. Während John nichts von seiner anfangs erwähnten, ungezwungenen Lässigkeit eingebüßt hat, spart er nun allerdings mit dem Humor. „John Wick: Kapitel 2“ steigert die Headshots und dezimiert die Pointen. Trotz Gangster-Fantasiewelt kommt man so schneller an den Punkt, an dem man die Gewaltverherrlichung im Actionkunstwerk zu hinterfragen beginnt. Großartig finden darf man John Wick aber immer noch – mit kleinen Blutspritzern auf dem blütenreinen Gewissen, wie bei den Hongkong-Filmklassikern und Tarantino.

 

„John Wick: Kapitel 2“ startet am 17. Februar 2017 in den österreichischen Kinos. Neben Keanu Reeves, Common und Ruby Rose sind unter anderem auch Ian McShane und Laurence Fishburne in dem Actioner zu sehen.

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