»Humor ist kein Arbeitsbegriff, mit dem ich hantiere« – Josef Hader im Interview zu »Andrea lässt sich scheiden«

Josef Hader liefert seine zweite Arbeit als Regisseur und erzählt eine Geschichte über Schuld und Verantwortung sowie neue Anfänge und alte Laster. The Gap bat ihn zum Gespräch.

© Lukas Beck

Einen Neustart braucht sie – und zwar bald. Das weiß Andrea, gespielt von Birgit Minichmayr. Der Job als Polizistin am Land stellt sie vor Herausforderungen, die Ehe mit Andreas (Thomas Stipsits) ist vorbei und auch der eigene Vater (Branko Samarovski) lässt sie immer öfter verzweifeln. Ihr Wunsch: ein Job als Kriminalinspektorin in St. Pölten. Als sie eines Nachts nach einer Geburtstagsfeier ihres Kollegen Georg (Thomas Schubert) nach Hause fährt, passiert ein Unglück. Andrea sieht sich mit einer moralischen Frage konfrontiert und muss eine Entscheidung treffen.

Mit »Wilde Maus« lieferte Josef Hader 2017 sein Regiedebüt, nun gelang ihm abermals eine feine, top besetzte Tragikomödie, deren Szenen manchmal optisch an den Klassiker »Indien« erinnern. Auch Hader selbst ist vor der Kamera zu sehen, und zwar in der Rolle des Religionslehrers Franz, der Schuld auf sich nehmen möchte.

Andrea, gespielt von Birgit Minichmayr, ist die Protagonistin Ihres zweiten Films als Regisseur. Wie würden Sie die Figur beschreiben?

Josef Hader: Andrea ist eine selbstbewusste Frau, die versucht, am Land selbstbestimmt zu leben. Sie erfüllt in manchen Punkten gesellschaftliche Erwartungen, in anderen nicht. Gerade ihr Beruf als Polizistin und die Tatsache, dass sie in ihrem Heimatort arbeitet – so was ist eher ungewöhnlich in der Provinz. Sie ist in die Dorfgemeinschaft integriert, hat aber keine wirklich engen Beziehungen zu anderen. Sie spaziert durch diesen Film wie ein Cowboy und macht das, was früher im Film Männern vorbehalten war.

Sie ist unergründlich, in sich gekehrt und zeigt über lange Strecken ihre Emotionen nicht. Ich wusste bereits beim Schreiben, dass ich Birgit gerne für die Hauptrolle hätte, weil sie genau diese Inwendigkeit spielen kann und man hinter ihrem unbewegten Gesicht das Brodeln in ihr spürt.

Neben Andrea sind auch die männlichen Figuren interessant, wie etwa Andreas Ex-Mann, ihre Kollegen oder der Lehrer Franz, den Sie im Film verkörpern. Was eint diese Männer und in welcher Beziehung stehen diese zu Andrea?

Die männlichen Figuren erfüllen auch nicht die Erwartungen, die an einen Mann am Land gestellt werden. Sie sind alle verkrampft, locker ist keiner von denen. In der Beziehung zwischen Andrea und ihrem Ex-Mann war mir wichtig, dass man spürt, dass sich die beiden einmal geliebt haben. Ich spiele von allen diesen Männern den fertigsten, den hilflosesten. Und deswegen bin ich dann doch eine kleine Hilfe.

»Andrea lässt sich scheiden« verhandelt auch das Leben am Land. In einer Szene heißt es etwa: »Die Frauen ziehen weg und die Männer werden komisch.« Inwiefern ist dieser geschlechtliche Aspekt wichtig für die Geschichte?

Das ist ein sehr bekanntes Problem und es ist auch kein rein österreichisches. In vielen europäischen Ländern gibt es ländliche Gebiete, in denen die Männer übrig bleiben: Bauern ohne Frau, die in ihren Höfen sitzen, geschiedene Männer oder auch diejenigen, die überhaupt erst aufs Land ziehen, weil sie in der Stadt mit niemanden mehr klarkommen. Dass diese Männer allein in einem dünn bewohnten Gebiet leben, hat auch etwas Gutes: Wäre die Landschaft dichter besiedelt, dürften sie vielleicht gar nicht frei herumlaufen.

Verstehen die Männer in der Geschichte ihre Situation?

Nein. Aber man kann ja überhaupt keine Tragikomödie erzählen, in dem die Charaktere ihre Situation verstehen, das würde sich verheerend auswirken. Das trifft nicht nur Filmfiguren, sondern eigentlich uns alle. Darum gibt es ja Therapien und Irrtümer im Leben, weil wir im Endeffekt uns selbst gegenüber oft blind sind.

Josef Hader (Foto: Lukas Beck)

Inwiefern haben Sie für den Film mit der Polizei zusammengearbeitet?

Ich habe mit zwei Polizistinnen gesprochen und sie nach ihrem Arbeitsalltag gefragt. Am nervigsten fanden sie an ihrer Arbeit die vielen Leerläufe, die unnötigen Kilometer, die man machen muss. Das findet sich auch im Film wieder. Eine von ihnen war am Set, damit wir keine groben Fehler machen in der Darstellung der Polizeiarbeit.

Ich würde gerne noch näher über die Locations des Films sprechen. Dieser wurde an unterschiedlichen Orten in Niederösterreich (Ybbs, Laa an der Thaya und St. Pölten) gedreht. Was war Ihnen bei der Auswahl der Locations wichtig, was sollten diese repräsentieren?

St. Pölten sollte das urbane Zentrum im Film sein und das ist schon Teil der Komödie, weil es eine Kleinstadt ist, die in den 90ern zu einer Landeshauptstadt aufgeblasen wurde. Für die anderen Schauplätze bin ich vor dem Film wie ein Dokumentarfilmer durch Niederösterreich gefahren. Die Gegend rund um St. Pölten fand ich nicht so ideal: zu zersiedelt, ein Fleckerlteppich, keine Landschaft, die sich für einen Film eignet. Dann bin ich ins Weinviertel gefahren und habe Hochebenen entdeckt mit viel Himmel darüber und eingeschossige Straßendörfer, die aussehen wie Westernstädte. Große Ebenen eignen sich dafür, die Menschen miteinander zu konfrontieren, hier kann niemand davonlaufen.

Es war wichtig, Schauplätze zu finden, die real sind, aber immer einen Hauch drüber, in gewisser Weise so, dass man sich manchmal denkt: das darf doch nicht wahr sein. Ist aber wahr. So wie der Kreisverkehr im Film: Der befindet sich in Unterstinkenbrunn, einer Zwiebelgemeinde. Die produzieren ganz viele Zwiebel und sie haben dort ein Zwiebelfest, daher gibt es diese Zwiebelfigur im Kreisverkehr.

Sie haben 2017 Ihr Debüt als Regisseur mit dem Film »Wilde Maus« gegeben und sie haben auch viel für die Bühne und für andere TV-Projekte geschrieben. Wie gestaltet sich Ihr Schreibprozess?

Das Schreiben ist immer das Schönste. Ich schreibe viele Fassungen, weil ich mir dadurch immer klarer werde, was ich erzählen möchte. Anfangs benutze ich ein Schreibbuch, dann schreibe ich in den Computer. Am liebsten wäre ich Romanschriftsteller, da könnte man immer nur schreiben, aber ich bin leider dafür zu wenig sprachbegabt.

Haben Sie als Regisseur einen anderen Zugang, weil sie auch selbst vor der Kamera stehen?

Ich habe schon einen Schauspielerblick auf das Ganze, ich möchte meinen Darsteller*innen möglichst alles aus dem Weg räumen, was sie behindern könnte. Vollkommen durchkomponierte Bildkonzepte, in die sich Schauspieler*innen auf den Millimeter genau einordnen müssen – so was mag ich nicht. Ich bin nicht besonders genial, aber glaube fest daran, dass die Zusammenarbeit verschiedener talentierter Menschen die Hauptattraktion bei einem Film ist. Mein Cast ist das Aushängeschild des Projekts. Das sind die einzigen Menschen, die dann im Film zu sehen sind, daher müssen sie unter optimalen Bedingungen arbeiten können.

Sie meinten einmal in einem Interview, dass Sie nur wenige Rollen als Schauspieler annehmen, weil die meisten, die Ihnen angeboten werden, nicht so interessiert für Sie seien. Welche Rollen und Themen für künftige Projekte interessieren Sie?

Ich lehne auch Sachen ab, weil ich etwas nicht spielen kann. Ich bin nicht so unendlich in meinen schauspielerischen Möglichkeiten. Mich würde ein ganz kleines, minimalistisches Projekt reizen. Das tut es eh immer, aber dann passe ich beim Schreiben nicht auf – weil man sich ja alles ausdenken kann – und schon ist es wieder ein großer Ensemblefilm geworden. Das nächste Mal möchte ich schauen, ob ich es schmal halten kann. Ich hoffe, dass dann mehr Zeit in die Kunst fließt und etwas weniger in die Logistik des Drehplans. Genres interessieren mich für die eigene Arbeit gar nicht. Für so was gibt es in Österreich zu wenig Geld und auch nicht die Kinostars, die exklusiv fürs Kino arbeiten und nicht im Fernsehen zu sehen sind. Der Star in einem österreichischen Film ist meistens der Film, weil er irgendwie besonders ist, zwischen den Genres oszilliert.

Österreichischer Humor wird mittlerweile quasi als eigenes Kulturgut vermarktet und auch der typische Wiener beziehungsweise österreichische Grant wird gerne als unabdingbar betrachtet, er gehört also dazu wie das Schnitzerl am Mittagstisch. Wie halten Sie es mit dem Humor? Inwiefern verstecken wir Österreicher*innen uns hinter diesem typischen Humor? Ist er auch Zeichen für einen kollektiv mangelnden Umgang mit den eigenen Gefühlen?

Wenn man über die grantigen Wiener*innen spricht, die eine spezielle Beziehung zum Tod haben, dann ist das ein sehr touristischer Blick. Beruflich spielt für mich der sogenannte Wiener Humor keine Rolle, Humor ist kein Arbeitsbegriff, mit dem ich hantiere. Ich versuche Geschichten zu erzählen und aufgrund dessen, wie ich gestrickt bin, entsteht Komik.

Letztendlich ist der Wienerische Humor, wie er heute vermarktet wird, wahrscheinlich ein jüdischer Humor: Man muss über schlimme Dinge Witze machen, weil sie einem widerfahren. Die jüdische Bevölkerung war jahrhundertelang gezwungen, sich die für sie unangenehme Realität mit Witzen zu erleichtern. Alle wichtigen Kabarettisten der Zwischenkriegszeit waren jüdisch. Und auch die, die ich in den 70ern als Kind im Fernsehen gesehen habe, waren zu einem großen Teil jüdisch.

Der sogenannte Wiener Humor ist also ein Produkt von Migration. Man muss sich Wien vor 120 Jahren wie einen Schmelztiegel vorstellen, wie ein kleines New York, wo von allen Teilen der Monarchie Menschen hinkamen, um etwas zu werden. Davon profitierte nicht nur der Humor, sondern die ganze kulturelle Größe Wiens. Diese Tatsache wird jedoch heute zu wenig reflektiert: Viele glauben, wir haben alles selbst erfunden und dass möglichst niemand zu uns kommen soll.

»Andrea lässt sich scheiden« startet am 23. Februar in den Kinos.

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