»Ich will einfach nur existieren und Musik machen« – Kerosin95 im Interview zur neuen EP »Trans Agenda Dynastie«

Kerosin95 veröffentlicht neue Musik und hat sich deshalb mit uns zum ausführlichen Gespräch über die neue EP »Trans Agenda Dynastie« getroffen.

© Lena Kuzmich

»Willkommen in der Trans Agenda Dynastie.« So eröffnet Kerosin95 den ersten Track der neuen EP – Opener und Ansage sowie Utopie und Manifest; getanzt werden darf natürlich trotzdem. Seit 2019 veröffentlicht Kem als Kerosin95 Musik, Songs wie »Außen hart, innen flauschig«, »Hass« oder »Nie wieder Gastro« machten schnell Kritik wie Fans aufmerk­sam. Die erste LP trug ganz pragmatisch den Titel »Volume 1« – eine Melange aus Hip-Hop, Trap und Pop. Nun gibt es mit »Trans Agenda Dynastie« fünf neue Songs zwischen Protest und Party, queerem Verlangen und Vulnera­bilität. Das Interview mit Kerosin95 findet im Büro des Labels Ink Music statt. Das Wetter ist gut genug für ein Gespräch auf dem Balkon, und so plaudern wir über die Arbeit an der EP und die Zusammen­arbeit mit anderen, über die öster­reichische Musik­land­schaft und Fragen der Macht.

Am 22. April ist die EP »Trans Agenda Dynastie« erschienen. Wie war die Arbeit daran?

Kerosin95: Es ist eine Platte, die in enger Zusammenarbeit mit dem Wiener Produzenten Monophobe, dahinter steht Maximilian Walch, entstanden ist. Die Arbeit hat wirklich mit Max angefangen. Auf meinem Debüt­album »Volume 1« haben wir bereits an einem gemein­samen Track gearbeitet und das hat wirklich gut funktioniert. Es hat uns beiden sehr gefallen, daher dachte ich daran, wieder mit Max im Studio sein zu wollen. Wir haben uns zusammen­gesetzt und haben schnell gemerkt, dass wir wohl eine kleine Platte gemeinsam machen werden. Der Unterschied zwischen LP und EP liegt ja in der Länge, aber ich nenne EPs meist Alben, da darauf eben eine Sammlung an Songs sind, die in Beziehung zueinander stehen. Max und ich haben uns monatelang Zeit genommen und Max hat viele Ideen mitgebracht, daher war die Reduktion auf fünf Songs schwer für uns. Nachdem wir ein halbes bis Drei­viertel­jahr daran gearbeitet haben, haben wir es schließlich geschafft und die Songs waren fertig gemixt und gemastert.

Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Nenda beim Song »4ever«?

Nenda und ich hatten einander schon einige Zeit am Schirm. Ich habe Nenda über Instagram angefragt, denn dort bekomme ich – trotz aller Kritik, die ich an Plattformen wie dieser habe – sehr viel über FLINTA*-Rapper*innen und -Artists mit. Ich habe Nenda geschrieben und gesagt, dass Max und ich einen Track haben und ob Lust auf ein Feature besteht. Die Zusammen­arbeit im Studio war dann sehr schön.

Ich würde gerne über deinen kreativen Prozess sprechen. Wie gehst du konkret vor, wenn du an neuer Musik arbeitest?

Das ist immer unterschiedlich. Viele Text­ideen habe ich spontan im Alltag. Es ist nicht so, dass ich mich hinsetze und mir denke: »Los geht’s, nun schreibe ich einen Song!« Vielmehr habe ich einfach eine Idee und ich entscheide, ob ich damit arbeite oder nicht. Daheim setze ich mich hin, mache das fest und suche mir einen Beat aus. Oft hat auch Max bereits eine Idee und wir schauen uns das gemeinsam an und stellen uns Fragen wie: Was ist mit diesem oder jenem Instrumental? Oder ich entdecke Sounds im Studio, die mir gefallen und zu denen mir etwas einfällt. Wir haben auf der EP etwa einen Song gemacht namens »Puppy«, zu dem hatten wir lange vier verschiedene Arten von Musik, bis schließlich der Text gepasst hat. Es kommt also wirklich auf den Song an. Und für mich ist jeder Song ein neues Projekt; jeder Song braucht daher eine neue Heran­gehensweise.

Kerosin95 © Lena Kuzmich

Bei der Recherche zu diesem Interview ist mir abermals der visuelle Stil, der sich im Zusammen­hang mit deiner Musik zeigt, aufgefallen. Etwa die Covers deiner Alben, EPs und Singles oder auch dein sonstiges Styling. Wie wichtig ist dir dieser visuelle Aspekt deiner Kunst? Und beeinflusst die visuelle Ebene auch die musikalische bzw. umgekehrt?

Das ist eine spannende Frage. Bei mir geht immer alles Hand in Hand. Egal, ob Text oder Musik, Outfits oder Performance – das ist alles ein großer Kosmos. Es ist beinahe so, als hättest du einen Film vor dir und auf einmal weißt du: So muss es sein, das ist das Thema. Ich muss an dieser Stelle unbedingt Lena Kuzmich erwähnen, denn Lena Kuzmich hat die visuelle bzw. grafische Ebene verantwortet. Beim Cover der EP »Trans Agenda Dynastie« sehe ich es so: Das ist Lena Kuzmich feat. Kerosin95. Wir haben zwar gemeinsam über die Idee gesprochen, aber es ist wirklich aus Lena Kuzmichs Feder und ich wollte das auch so. Ich fand die Arbeiten von Lena Kuzmich so unglaublich cool und wollte Lena Kuzmich daher sehr in die Arbeit an der neuen EP involvieren. Ich habe viel Material gesammelt, aber es ist schlussendlich Lena Kuzmichs Projekt, das ich dann mit meiner Musik aufgreife – so fühlt es sich zumindest für mich an. Wir haben eng zusammengearbeitet und das ist auch eine große Ehre für mich.

Ich möchte in meiner künstlerischen Bubble mit queeren und mit trans Personen zusammen­arbeiten – gerade auch bei einer EP, die den Titel »Trans Agenda Dynastie« trägt. Da wollte ich diese Utopie schaffen und die Message rüberbringen: Trans Personen rulen einfach. Daher war es super schön, mit Menschen wie Lena Kuzmich zusammen­zuarbeiten. Es war bei uns beiden sehr schnell klar, dass wir uns verstehen, es gab wenig Diskussionen. Mir war es wichtig, queer zu arbeiten, und ich glaube, queere Personen, die in der Kunst hackeln, verstehen und setzen um, was das eigentlich bedeutet, queer zu arbeiten. Man kann dies auch als politische Heran­gehens­weise sehen bzw. wird ja alles zum Politikum gemacht, obwohl ich es eigentlich gerne hätte, nicht ständig politisiert zu werden. Deswegen bin ich auch super stolz auf die visuelle Ebene des Projekts und ich fand die Zusammen­arbeit mit den verschiedenen Leuten sehr, sehr schön.

Wie findest du eigentlich die Menschen, mit denen du zusammen­arbeitest?

Oft sind die Leute Wien-based und ich kenne sie aus verschiedenen Kontexten. Lena Kuzmich etwa kenne ich schon länger, andere vom Sehen bzw. Hören bzw. Hallo-Sagen oder auch – wie vorher bei Nenda bereits erwähnt – über Instagram. Dort merke ich schnell, was die Leute so machen und ob ich Lust auf eine Zusammen­arbeit habe. Obwohl ich Instagram kritisch sehe, eignet sich die Plattform gut zum Netzwerken bzw. für Community-Arbeit. In Wien ist die Bubble an queeren und trans Menschen halt auch nicht riesig. Wien ist einfach ein Dorf und daher bekommt man schnell mit, was andere coole Queers so machen.

Du hast seit deiner Kindheit schon Musik gemacht. Wie war dein Beginn?

Wenn es um musikalische Optionen geht, dann bin ich sehr, sehr wealthy aufgewachsen. Meine Eltern hatten die finanziellen Ressourcen, sodass ich Instrumente wie Schlagzeug und Klavier lernen und auch Gesangs­unterricht nehmen konnte. Zudem habe ich in einem Schulchor gesungen. Ich habe das meinem Background zu verdanken, vor allem meine Mutter hat mir viel ermöglicht. Das ist mir auch wichtig zu betonen: Viele Artists sprechen nicht davon, aber es macht einfach einen riesigen Unterschied, welche Ressourcen jemand hat. Die Frage ist nicht nur, welchen musikalischen Back­ground jemand hat, sondern eher: Wie viel Geld hat deine Familie und welche Zugänge erhältst du dadurch? Musik zu machen ist teuer und es gibt nur wenig Förderungen. Es stellt sich daher stets die Frage: Wer wird gepusht und bekommt Aufmerk­samkeit? Wem wird was ermöglicht? Letztendlich geht es um Kohle. Musik machen ist entweder leistbar oder eben nicht. Es kann teilweise sehr, sehr teuer sein und ich habe das Gefühl, niemand redet darüber.

Wir sitzen hier gerade im Büro des Labels Ink Music, das vielen österreichischen Acts zum Durch­bruch verholfen hat. Überhaupt scheint die öster­reichische Musikszene in den letzten Jahren mehr beachtet worden zu sein. Dennoch stellt sich weiterhin grund­sätzlich die Frage, wer gefördert wird und dadurch sichtbar wird. Wie schätzt du die Szene ein?

Ich würde an dieser Stelle gerne – zumindest sinngemäß – Farce zitieren. Farce verdeutlichte in einem Interview mit Aux den Unterschied zwischen der öster­reichischen Musik­szene und der öster­reichischen Musik­industrie. Wenn man also von der Musik­landschaft spricht, muss man immer bedenken: In der Szene passiert viel Cooles, aber wen macht die Industrie sichtbar? Wer bekommt Awards und Förderungen? Und dann muss man sich auch ansehen, wer sonst noch da ist und eben keine Förderungen und Aufmerk­samkeit erhält. So habe ich die Aussage von Farce verstanden und dem stimme ich absolut zu. Ich sehe es so: In der Szene passiert so unglaublich viel, es gibt großartige – mitunter auch queere – Leute, aber die Industrie wird oft mit der Szene gleichgesetzt und die Industrie ignoriert viele. Die Industrie ist weiß, hetero und cis männlich. Sie ist langweilig und fad und redet immer über dieselben Themen. Es wird nicht politisiert und Bühnen werden nicht genutzt. Ich finde die Industrie langweilig, aber die Szene großartig.

Welche Lösung gibt es deiner Ansicht nach, um hier noch mehr Menschen sichtbar zu machen?

Ich glaube, dass die Industrie, die Ressourcen und Geld hat, andere Menschen in Macht­positionen braucht. Wer sitzt in den Redaktionen und in den Booking-Agenturen? Wer sind die Veran­stalter*innen und die Förder­gebenden? Wer ist im Gremium einer Jury? Wer macht die Veranstaltungen? Wer entscheidet, wohin das Geld kommt? Wer nominiert Leute für einen Award? Ich denke, diese Fragen betreffen viele Branchen. Es geht um Hebel, es geht um Macht­positionen und – da es eine kapita­listische Frage ist – geht es schlussendlich ums Geld.

In deiner Musik zeigst du eine Bandbreite von Emotionen, auch auf den Songs der neuen EP ist das so. Teils zeigt sich auch eine gewisse Wut in deinen Lyrics. So beginnt etwa die EP gleich mit der Ansage »Was gibt’s heute zum Mitta­gessen? Ich glaube Beef.« Beim Hören deiner Musik musste ich daran denken, dass vielen Frauen, Queers und Migras gerade Wut oft verwehrt bleibt bzw. bei ihnen kritisiert wird, während Wut von weißen hetero cis Männern als gesell­schaftlich akzeptiert gilt. Wie siehst du das und inwiefern ist Wut für dich ein Katalysator für deine Musik?

Das ist eine spannende Frage. Beim Projekt Kerosin95 werde ich oft auf das Thema Wut angesprochen, da ich anfangs einmal das Wort »Wut« gedroppt habe. Seither geht es in unglaublich vielen Interviews um »Kerosin95 und die Wut«. Mir ist dabei wichtig zu sagen: Menschen, die aware sind, die diese Frage kritisch bzw. innerhalb eines gewissen Kontextes stellen, die stören mich nicht, denn diese Menschen fokussieren bei einem Interview mit mir nicht nur auf das Thema Wut. Aber mich nervt schon der Fokus, den viele haben – à la »Wütende trans Person schreibt cis Hetero hassende Musik«. Ich werde ja oft wütend gemacht, das ist keine Entscheidung und auch kein Spaß. Wut ist ein Teil von vielen Emotionen bzw. Themen, die mich begleiten. Es geht in den Songs und beim Projekt Kerosin95 um mein Überleben als trans Person, um meine Lebens­realität und um mich als Person, die die ganze Zeit zum Politikum gemacht wird. Ich will einfach nur existieren und Musik machen. Ich will nicht ständig gefragt werden, was es heißt, queer zu sein und ich will auch kein Lexikon sein.

Und überhaupt: Ich bin ur das Softie. Aber natürlich muss ich bei bestimmten Themen meine Stimme erheben, etwa wenn es um TERFs geht. Da werde ich mich nicht hinstellen und sagen, was das nicht für ein unangenehmes und anstrengendes Thema sei, sondern dann sage ich: »Fickt’s euch!« Es ist aber ein Kampf, der traurig, verun­sichernd und schirch ist. Und es ist auch nicht so, wie es immer heißt: What doesn’t kill me, makes me stronger. Sondern: What doesn’t kill me, makes me angry, makes me vulnerable and makes me not trusting. Eigentlich bin ich sehr verunsichert und aus dieser Verunsicherung und Angst heraus bleibt mir gar nichts anderes übrig, als einen Track zu schreiben, in dem ich sage: »TERFs kriegen von mir gar nichts, außer Mittelfinger.«

Die Coronapandemie hat für viele Acts das Aus für Liveauftritte bedeutet. Du bist demnächst wieder auf Tour und das auch mit einem größeren Ensemble. Worauf können sich die Fans freuen?

Ich bin super excited. Es gibt eine größere Besetzung mit vielen neuen Musiker*innen. Bei drei Shows werde ich mit diesem größeren Ensemble auftreten und zwar in Salzburg, Wien und Graz. Das ist wirklich pure Gönnung. In der musika­lischen Livearbeit komme ich ja aus Band­kontexten und daher habe ur viel Interesse daran, Sachen, die im Studio passieren, dann live umzusetzen. Deswegen habe ich es mir gegönnt, mehr Leute auf die Bühne zu holen. Es ist eine wunderbare Liveband entstanden, die ich auf Tour das erste Mal präsentieren werde, ein komplettes Live-Upgrade quasi. Wir haben zwei, drei Monate geprobt und es war sehr viel Arbeit, das alles aufzustellen. Alle Beteiligten sind schon sehr aufgeregt.

Du hast schon viele kreative Projekte vorangebracht. Welche Ideen treiben dich noch an, was kann man sich noch von dir erwarten?

Ich möchte weiterhin Musik releasen, Konzerte spielen und mit vielen queeren und trans Personen arbeiten. Zudem will ich ganz viel Merch veröffent­lichen. Spoiler alert: Dieses Jahr kommt sehr viel Gewand, darauf freue ich mich. Aber vor allem will ich weiterhin mit Menschen, die mich inspirieren und deren Arbeit ich großartig finde, im Studio und auf der Bühne stehen.

Kerosin95 »Trans Agenda Dynastie«

Die EP »Trans Agenda Dynastie« von Kerosin95 ist am 22. April 2022 bei Ink Music erschienen. Aktuell sind folgende Live­termine geplant: 6. Mai, Innsbruck, Die Bäckerei — 7. Mai, Dornbirn, Conrad Sohm — 8. Mai, Hamburg (DE), Molotow Skybar — 9. Mai, Berlin (DE), Schokoladen — 20. Mai, Salzburg, ARGE Kultur — 21. Mai, Graz, Dom im Berg — 22. Mai, Wien, WUK — 2. Juni, München (DE), Milla.

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