Kann Kunst die Welt verändern? Und wenn ja, inwiefern? Ist es schon eine beginnende oder laufende Revolution, wenn zwei Rapper diskriminierende Tracks aus ihrer Vergangenheit aus dem Internet nehmen? Die Rolle der sozialen Verantwortung in der Kunst und die daraus potenziell folgenden gesellschaftlichen Entwicklungen werden laufend diskutiert. Eine eindeutige Antwort auf offene Fragen zu finden, ist dabei nicht leicht. Die Betrachtung einer komplexen Verschränkung.
»Ohne Kunst wird es still«, das »uns« in Kunst dabei farblich hervorgehoben. Von diesem Claim werden seit einigen Monaten Profilbilder auf diversen Social-Media-Plattformen begleitet. Auch in den konventionellen Massenmedien wird der Branche und ihren vielfach verzweigten Ausläufern vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Der Zusammenhang und Zusammenhalt von Kunst, Kultur und Gesellschaft rückt wieder in den Fokus. Häufig begleitet von der Frage, ob die Menschheit denn Kunst und Kultur wirklich so dringend brauche – oder ob das nicht eigentlich viel heiße Luft um völlig entbehrliche Selbstverwirklichungsfantasien Einzelner sei.
Doch auch in Bereichen, in denen die Wichtigkeit von Kunst und ihr Potenzial, kulturellen Mehrwert zu schaffen, nicht infrage gestellt wird, taucht die wiederkehrende Kritik nach innen auf, die Kunstszene sei ein elitärer Circle-Jerk wohlstandsverwahrloster Uni-Kids. Die Rede ist dabei meist von unangenehmer, experimenteller – oder, um den Begriff anzustrengen: progressiver – Kunst, die bestehende Normen und Strukturen hinterfragt. Es scheint, als gäbe es eine willkürliche Unterteilung in gefällige und missliebige Künste. Die beinahe kritiklos angenommenen Ausprägungen sind dabei nicht selten die, die die eigene Position bestärken, anstatt sie zu hinterfragen, die beruhigen, anstatt aufzuwühlen. Geschenkt.
Laufend wird dabei auch debattiert, inwiefern sich die Kunst in gesellschaftliche Prozesse und soziale Kämpfe einmischen soll beziehungsweise nachhaltig etwas verändern kann. Oft kombiniert mit aktivem Leugnen oder Ausblenden der historischen Umstände, in denen gewisse Strömungen, Disziplinen oder Genres erst entstanden sind. Im Vordergrund steht dabei immer wieder die Debatte um die (un-)erwünschte Politisierung von Kunst und deren Schaffensprozessen – und die Rolle, die gesellschaftliche Entwicklung (oft auch als Kulturwechsel bezeichnet) dabei spielt.
Anlass zur Selbstreflexion
Dass es innerhalb der Kulturszene brodelt und sich etwas bewegt, merkten die beiden Wiener Rapper Movski und Kaul Kwappen kürzlich sehr deutlich. Eine Person sprach Kaul Kwappen während der losen Zusammenarbeit auf einen bereits sechs Jahre zurückliegenden Track an – eine Zeile des Tracks, der auch Movskis Lyrik enthält, triggerte sie. Kurz darauf beendete sie die Zusammenarbeit, brach den Kontakt schlussendlich ganz ab. Das Duo nahm das zum Anlass zur Selbstreflexion. Kaul Kwappen schildert den Moment des Anstoßes so: »Das hat mich bewegt und ich habe mich gefragt, was ich in der Vergangenheit noch gemacht habe, was ähnliche Reaktionen bei anderen Personen hervorrufen könnte. Ich war mir sicher, dass ich im Internet Müll von mir gegeben habe, der nicht nur beleidigend, sondern auch diskriminierend war.«
Movski und Kaul Kwappen durchforsten also ihren Katalog von Grund auf und entscheiden sich für den radikalen Schritt, alles zu löschen, hinter dem sie nicht mehr stehen können. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Rapper Angst vor unangenehmen Reaktionen hatten oder haben, die erwarten sie nach wie vor. Vielmehr gehe es ihnen darum, jene Tracks offline zu nehmen, in denen sie profane und oberflächliche Beleidigungen nur des Reimes wegen platzierten – die schlicht zu niedrigen künstlerischen Mehrwert liefern, um dafür die Betroffenheit einzelner Personen in Kauf zu nehmen.
In ihren Schilderungen fallen zwar auch Floskeln wie »nicht so gemeint« und auch der Begriff »Stilmittel« findet seinen Platz, allerdings eher in reflektierender Manier als in bekannter Form ausflüchtender Rechtfertigung. Dass sie diesen Schritt hätten machen können und sollen, bevor der Anlass von außen kam, ist ihnen nun, im Nachhinein, genauso wichtig zu betonen wie die Bemerkung, dass ihr frisch gefasster Anspruch keine Selbstinszenierung als besonders »woke« Zeitgenossen sein soll. Die beiden Sprachkünstler wollen ein Zeichen setzen und Vergangenes nicht im sturen Übermaß verteidigen, sie wollen die Verantwortung ihres Kunstschaffens wahrnehmen und den kritischen gesellschaftlichen Blick dazu nutzen, zukünftig umsichtiger zu werden und dadurch letzten Endes eine der Zeit entsprechende, bessere Kunst zu machen. Movski dazu: »Wir hören, was die Hörer*innen zu unserer Musik sagen, nehmen das ernst und versuchen zu verstehen, was daran problematisch ist.« Dabei beschreibt er auch den Prozess der Weiterentwicklung ihrer Musik: »Hätte es sich um einen Track gehandelt, der erst wenige Wochen alt ist, hätten wir sicher um eine genauere Diskussion des Themas gebeten. Dadurch, dass das Stück so alt war, hängen wir nicht mehr wirklich daran und wir können uns leichter davon distanzieren.«
Wie bitte, Fortschritt?
Die Vorgehensweise des Rap-Duos reicht an dieser Stelle vermutlich, die Befürchtung um den Untergang der nahezu heiligen Kunst der Beleidigung im Sprechgesang zu schüren. Movski und Kaul Kwappen teilen diese Einstellung nicht, sind sich aber einig: »Nur weil unsere Musik reflektierter wird, wird sie nicht schlechter. Das funktioniert auch im Rap. Wir können sicher auch in Zukunft gute und bessere Songs schreiben, die ohne Diskriminierungen auskommen – darum geht’s wohl, wenn man sich selbst einen guten Lyriker nennt. Wir sind der Person, die uns darauf aufmerksam gemacht hat, wirklich sehr dankbar.«
In ihrer Entwicklung wollen sie dabei aber nicht stehen bleiben: »Das ist ein Thema, das nie aufhört. Denn wenn uns wieder wer darauf anspricht, werden wir auch wieder über unser Vorgehen diskutieren. Wie sehen wir das von jetzt aus gesehen in sechs Jahren?« Was es mit ihrer Kunst macht, dass sie in Zukunft sensibler agieren? »Wir werden von nun an noch mehr Zähne zeigen, aber es einfach klüger machen«, verspricht Movski.
Spricht man von einer gewissen gesellschaftlichen oder kulturellen Weiterentwicklung oder einem Wandel, ist der Begriff des Fortschritts nicht weit. Er impliziert, dass jegliches Weitermachen, Festhalten oder Entwickeln über eine gewisse Zeit einen positiven Outcome nach sich zieht – offen bleibt dabei unter anderem, für wen das wie gelten soll. In der TAZ argumentierte der Autor und Kulturkritiker Georg Seeßlen kürzlich, dass es ein Trugschluss sei, zu glauben, jede kulturelle Transformation wäre ein Fortschritt und jeder Fortschritt eine Verbesserung.
Alles andere als gut
Nanna Heidenreich, Professorin für Transkulturelle Studien an der Universität für angewandte Kunst Wien, sieht das aus wissenschaftlicher Perspektive ebenfalls kritisch: »Dem Konzept Fortschritt und seiner als gerade betrachteten Timeline ist zu misstrauen. Häufig lenkt dieser Begriff des Fortschritts nämlich von den realen Verhältnissen, die nach wie vor beschissen sind, ab.« Meistens werde damit gesagt: »Dann ist es ja jetzt gut, oder? Dann müsst ihr euch doch nicht mehr empören. Es war doch früher alles schlimmer. Wir haben doch schon so viel erreicht. Aber: Die Verhältnisse der Gegenwart, die sind nicht gut, sie sind alles andere als gut.«
Gemeint ist dabei auch die vereinzelte Betrachtung von sprachlicher Veränderung oder individueller Sensibilisierung wie im Fall von Movski und Kaul Kwappen. Konkret macht Heidenreich das am Beispiel des Genderns fest – ebenfalls ein Phänomen einer gesellschaftlichen Entwicklung, das oft akademischen und kulturschaffenden Kreisen zugerechnet wird: »Durch die kulturelle Annahme des Genderns in Massenmedien wie Radio oder öffentlich-rechtlichen Formaten werden sich reale Verhältnisse erst mal nicht groß verändern. Aber positiv lesen solle man diese Momente durchaus: als Ergebnisse von Kämpfen.« Die Auseinandersetzung dürfe dabei nicht nur bei der Auswirkung von Wandel im Kleinen enden, sondern bei dem Hinterfragen der gesamten Struktur, in der man sich befindet und agiert – und von der schlussendlich auch jene profitieren, die im Regelfall vorherrschende Probleme am schlechtesten erkennen, weil sie selbst nicht betroffen sind.
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