Leitartikel: Wien braucht einen Nachtbürgermeister …

… und Pragmatismus auf Seiten derjenigen, die er vertreten soll.

© Elisabeth Els

Amsterdam hat es vorgemacht, Städte wie Paris, Zürich und London haben mittlerweile auch einen. Die Rede ist vom Nachtbürgermeister. Die Idee dahinter? Eine Schnittstelle zwischen der Club- und Veranstalterszene, den Anrainern und der Stadt zu installieren. Mirik Milan etwa ist 2012 angetreten, um Amsterdam zu einer Stadt zu machen, die auch nach Einbruch der Dunkelheit attraktiv ist – gewählt von der Partyszene, von Clubbesitzern und DJs und mit finanzieller Unterstützung der Stadt; wie in den meisten Fällen aber eben nicht als Teil der Stadtverwaltung. Eine Ausnahme: Amy Lamé. Seit Ende 2016 trägt sie den Titel »Night Czar« und vermittelt – aus der Perspektive einer profunden Kennerin des Nachtlebens – direkt im Auftrag des Londoner Bürgermeisters zwischen den Interessensgruppen. Das Ziel ist auch hier, die Stadt rund um die Uhr lebendig und lebenswert zu gestalten.

Standortvorteil Clubkultur

Dass die Ausgeh- und Feierkultur ein wirtschaftlicher Faktor und im Wettbewerb um die kreativsten Köpfe auch ein Standortvorteil sein kann, lebt weltweit kaum eine andere Stadt so vor wie Berlin. Bereits seit dem Jahr 2000 gibt es dort die Clubcommission, einen Verein mit derzeit über 140 Mitgliedern und dem Zweck, die lokale Veranstalterszene zu unterstützen und zu fördern. »Clubs, Festivals und Kulturveranstaltungen sind das Experimentallabor für Musiker und Produzenten und Ideenpools für Kreativwirtschaftsbranchen wie Mode, Film, Games und moderne Kunst. Hier werden neue Kontakte geschaffen, Projekte ausprobiert, Trends gesetzt und Nischen verteidigt. Von ihrer Wirkung auf Besucher und Fachkräfte profitieren auch andere Branchen in hohem Maße wie der IT/Start-up-Bereich, die Gastronomie oder der Tourismus«, heißt es auf der Website der NGO.

Klar ist, dass es Nachbürgermeistern und verwandten Projekte natürlich nicht nur um ökonomische Kriterien gehen kann. Auch der gedeihliche Umgang mit den Anrainern spielt eine zentrale Rolle. Das zeigt sich in Projekten wie »Fair Kiez«, bei dem Lärm, Müll, Kriminalität und der Verkauf illegaler Substanzen Thema sind und für alle nachvollziehbare Spielregeln abgeleitet werden sollen, oder in Entscheidungen mit Augenmaß wie in Amsterdam: Dort bekommen manche Clubs sogar eine 24-Stunden-Lizenz erteilt, aber eben nur solche, die abseits von Wohngegenden angesiedelt sind.

Und in Wien? Da hatte zuletzt das Kollektiv Tanz durch den Tag im Rahmen seines Aufwind Festivals zur Wahl des »Mach MeistA« aufgerufen. Als Denkanstoß, wie Laurent Koepp erläutert, weil eine Instanz, die zwischen Clubs bzw. Veranstaltern, Anwohnern und Stadt vermittelt, schlicht und einfach fehle. Als hätte es eines Belegs dafür bedurft, musste das junge Team des Festivals nach zunächst sehr positiven Signalen zur Kenntnis nehmen, dass eine Sperrstundenerstreckung kurzerhand doch nicht genehmigt wurde. Was im Zusammenspiel mit anderen Faktoren – ja, vielleicht auch ein wenig Naivität – zu erheblichen finanziellen Einbußen führte.

Mit einer Stimme?

Mangelnde Transparenz bei Entscheidungen von Politik und Behörden – manche nennen es gar Willkür – ist für Veranstalter und Clubbetreiber dann auch einer der Gründe dafür, sich für ein gemeinsames Auftreten stark zu machen. Und natürlich der Widerstand gegen Gesetze und Steuern, die das wirtschaftliche Überleben unnötig erschweren. Im einem gewissen Rahmen könne eine »Selbstregulierung der Clubs weitaus effizienter sein«, meint etwa Michael Palliardi, der als Initiator der IG Clubkultur schon länger daran arbeitet, die Clubs der Stadt – von Bettel-Alm bis Grelle Forelle – mit einer Stimme zu vertreten.

Waren die Abschaffung der Vergnügungssteuer und Erleichterungen in Sachen Sperrstunde in den letzten Jahren gemeinsame Ziele, bei denen letztlich auch Fortschritte erzielt werden konnten, so fehle nun das Einende, so Peter Nachtnebel vom Fluc über die vermeintliche Interessensgemeinschaft. »Es ist die Frage, wie definierst du Club? Es kann nicht nur eine ›IG Underground-Clubkultur‹ sein, die das subkulturelle Wien repräsentiert. Die Anliegen der jeweiligen Clubs sind dann doch zu unterschiedlich.« Das habe sich zum Beispiel beim Versuch gezeigt, einen gemeinsamen Wertekanon auszuarbeiten.

Bewusstsein schärfen

Dass ein Wiener Nachtbürgermeister oder eine Wiener Nachtbürgermeisterin das Bewusstsein der Politik für die Bedeutung der Ausgeh- und Feierkultur schärfen könnte, liegt auf der Hand. Vielleicht sollte die Idee einer gemeinsamen Stimme der Veranstalterszene dabei vorerst hintangestellt und die Vorteile einer klar definierten Anlaufstelle für alle Seiten stärker betont werden. Vorausgesetzt natürlich, der politische Wille ist vorhanden, eine solche Instanz anzuerkennen und – wohl auch finanziell – zu unterstützen, um ihr das nötige Pouvoir zu verleihen. In Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny, der Projekte wie das Popfest oder Electric Spring auch unabhängig von Wahlen fortgesetzt hat, sehen die Clubvertreter einen dafür durchaus aufgeschlossenen Zuständigen. Es würde freilich Kompromisse auf allen Seiten brauchen. Könnte aber letztlich Bewegung in die eher eindimensionale Einschätzung bringen, dem Tourismus in Wien genügten Lipizzaner und Riesenrad.

P. S.: Die Idee, einen Nachtbürgermeister für Wien zu installieren, haben vor Kurzem auch die Neos aufgegriffen. Die absurde Reaktion der FPÖ sollte man gesehen haben.

Manuel Fronhofer ist Mitbegründer und Co-Herausgeber von The Gap. Er ist per Mail erreichbar und – selten, aber doch – auch auf Twitter aktiv.

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