Wider die Männerdomäne – MEWEM bekämpft die gläserne Decke im Musikbusiness

Das Projekt MEWEM hat es sich zur Aufgabe gemacht, junge weibliche, trans und non-binary Protagonist*innen in der nach wie vor männlich dominierten Musikwirtschaft zu fördern und zu vernetzen. Einige der Projektpartner*innen über die Ziele, Inhalte und Hintergründe.

© Hyejin Kang / Adobe Stock

Das Frequency Festival hat 2021 nicht stattgefunden, wäre es jedoch nicht coronabedingt abgesagt worden, wären in St. Pölten größtenteils Männer aufgetreten. In dieser Hinsicht ist das beliebte Festival natürlich kein Einzelfall. Die Musikbranche ist auch im 21. Jahrhundert von Männern dominiert – vor und hinter der Bühne. So ist etwa kürzlich eine von der University of California durchgeführte Studie, die die Entwicklung der Musikbranche seit 2012 dokumentierte, zu folgendem Ergebnis gekommen: In den vergangenen neun Jahren kamen im Durchschnitt 21,6 Prozent der Hits in den Billboard Hot 100 von Frauen, 12,6 Prozent wurden auch von Frauen geschrieben, nur 2,6 Prozent von Frauen produziert. Auch die Grammys wurden in der Studie in Bezug auf die fünf Kategorien Record, Album, Song, Best New Artist und Producer untersucht: Im Jahr 2021 waren 28,1 Prozent der Nominierten Frauen.

Doch wie sieht die Situation in Österreich aus? Das SR-Archiv österreichischer Popularmusik (SRA) betreibt eine Datenbank mit Infos zum österreichischen Musikmarkt und deren Akteur*innen. Aus dieser lässt sich ablesen, dass 89 Prozent der in Bands tätigen Musiker*innen Männer sind. Die Initiative Female:Pressure, die 1998 von der Musikerin Electric Indigo gegründet wurde und sich als Online-Datenbank wie Netzwerk für Frauen* aus der elektronischen Musikszene versteht, kommt in Bezug auf elektronische Musikfestivals zu folgenden Ergebnissen: Zwischen 2017 und 2019 waren 70,3 Prozent der Festival-Acts Männer. Dabei sind vor allem größere Festivals männlich dominiert. Jedoch steige die Anzahl weiblicher Acts seit acht Jahren, heißt es auf der Website von Female:Pressure.

Laureen Kornemann, VUT – Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen e. V. (Foto: Stefan Wieland)

Für MEWEM haben sich nun sieben Organisationen aus sechs unterschiedlichen Ländern zusammengetan, um dieses Ungleichgewicht zu beheben. Das Akronym MEWEM steht für Mentoring Programme for Women Entrepreneurs in the Music Industry. Mit an Bord sind:
FÉLIN – Fédération Nationale des Labels Indépendants (Frankreich)
LABA (Frankreich)
MICA – Music Austria (Österreich)
MIM – Mujeres de la Industria de la Música (Spanien)
RAW Music (Rumänien)
VUT – Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen e. V. (Deutschland)
WBM – Wallonie-Bruxelles Musiques (Belgien)

Das gemeinsame Ziel ist es, weibliche sowie non-binäre und trans Künstler*innen zu vernetzen und zu fördern. Auf die Frage, warum es ihr Projekt brauche, antworten Laureen Kornemann und Beate Dietrich vom deutschen Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen, kurz VUT: »Der Frauenanteil im Bereich Tonträger- und Musikverlage liegt in Deutschland zwar im Mittelfeld der Kultur- und Kreativwirtschaft, aber bei Betrachtung der Führungsebenen fällt auf, dass dort kaum Frauen vertreten sind. 2015 wurden lediglich 7,4 Prozent der unabhängigen Musikunternehmen in Deutschland von Frauen geführt, 5,5 Prozent der Unternehmen hatten gemischte Teams an der Spitze.«

Von Vielfalt profitieren

Die Gründe für diese gläserne Decke? »Der Mangel an Sichtbarkeit und Anerkennung weiblicher Talente sowie eine Art Selbstzensur, die sich während der gesamten Ausbildung entfaltet. sobald Frauen beginnen, über ihre berufliche Zukunft nachzudenken.« Das Mentoringprogramm will damit nicht nur Frauen, trans und nicht-binäre Menschen in der Branche sichtbar machen, sondern die Mentees durch Empowerment auch bei ihrer beruflichen Weiterentwicklung unterstützen. Das Projekt sei schon seit 2018 im Entstehen, so Rainer Praschak vom MICA. Direkte Vorbilder gäbe es keine, aber: »Sehr verdienstvoll und Vorreiterin in der Sache ist das österreichische Pionierprojekt Female:Pressure.«

Rainer Praschak, MICA – Music Austria (Foto: Klaus Ranger)

Musik ist nicht nur Ausdruck und Kreativität, sondern eben auch ein Business. Inwiefern kann die Branche also von mehr Diversität profitieren? Kornemann und Dietrich erklären, dass Vielfalt erwiesenermaßen sowohl Kreativität als auch Geschäft zuträglich sei und daher die Branche stärke. Praschak betont, dass dem MICA ebenfalls die Weiterbildung des Nachwuchses und die Unterstützung der individuellen Karrieren besondere Anliegen seien. Weiters meint er zum Projekt: »Es soll helfen, die strukturelle Diskriminierung innerhalb der Branche aufzubrechen und eine vielfältige Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern.«

Das Prinzip der Ähnlichkeit

Auf die Frage, warum die Musikbranche überhaupt männlich geprägt beziehungsweise dominiert sei, antworten alle unisono, dass dies in vielen anderen gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen auch so sei. Rainer Praschak meint dazu außerdem: »Ein Grund ist zum Beispiel das Prinzip der Rekrutierung, das man auch als das Prinzip der Ähnlichkeit bezeichnet. Menschen suchen für Kooperationen in der Regel nach jemandem, der ähnlich ist wie sie selbst. Das liegt zum einen daran, dass sich viele selbst für den ›Richtigen‹ halten – warum sollte man sich also für jemanden entscheiden, der ganz anders ist?«

Doch wie funktioniert das Projekt MEWEM nun genau? Laureen Kornemann und Beate Dietrich vom VUT lassen dazu wissen: »Für das viermonatige Programm werden zwölf Mentees ausgewählt und mit den passenden Mentor*innen ›gematcht‹. Das Programm besteht dann aus zwei Säulen: den individuellen Terminen zwischen Mentee und Mentor*in, für deren Organisation und Inhalte die Teilnehmer*innen selbst verantwortlich sind, sowie den Gruppentreffen zu für die Teilnehmer*innen relevanten Themen wie Urheberrecht, Bewerbungstraining und so weiter, die in Form von Panels oder Workshops mit externen Referent*innen stattfinden.«

Beate Dietrich, VUT – Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen e. V. (Foto: Stefan Wieland)

Abschließend solle die Wirkung des Projektes evaluiert werden, so Rainer Praschak: »Den Projekterfolg definieren auf der einen Seite die Teilnehmer*innen selbst. Sinnvoll war das Projekt dann, wenn sie etwas mitnehmen konnten. Auf der anderen Seite, wenn man breiter für die Angelegenheit sensibilisieren kann und die konkreten Projektziele erreicht werden. Nämlich, dass zukünftig vermehrt Frauen – und zwar auch in Führungspositionen und als Gründerinnen – die Branche mitgestalten.«

Schwer zu beantworten bleibt letztendlich die Frage, inwiefern ein Projekt wie MEWEM strukturelle Änderungen erwirken kann, ohne bloß die Akteur*innen in einem sehr dürftig funktionierenden System auszutauschen. Dazu Rainer Praschak vom MICA: »Das EU-weite Projekt dient neben der eigentlichen Mentor*innen / Mentee-Phase zum Sammeln von Erkenntnissen und Erfahrungen. Es erfolgt eine genaue Dokumentation und Analyse des Prozesses. Das Ergebnis soll dann für vergleichbare Projekte zur Verfügung gestellt werden.« MEWEM sei damit ein weiterer Schritt in eine wichtige und richtige Richtung, habe aber wohl nicht die Reichweite, um grundlegende Mechaniken des Musikmarktes zu verändern. Denn: »Wenn sich auf breiterer Ebene gesellschaftlich und wirtschaftlich nichts ändert, wird auch die Situation in der Musikbranche im Ist-Zustand verharren. Projekte wie MEWEM können aber dazu beitragen, solche Veränderungen in Bewegung zu setzen.«

Der Kick-off zu MEWEM findet am 9. September im Rahmen der Waves Conference 2021 im WUK in Wien statt. Weitere Informationen zum Projekt gibt es unter www.mewem.eu.

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