Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im Dezember 2021

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

Rauchen © Hannah Agel
© Hannah Agel

Alte Sau – »Öl im Bauch«

Alte Sau © K.Bechermann
Alte Sau © K.Bechermann

Jens strikes again! Obgleich schon mit dem neuesten Projekt Maulgruppe heuer angeschrieben, lässt es sich Jens Rachut, seines Zeichens Punklegende sondergleichen, nicht nehmen, auch gegen Ende des 21er-Jahres noch einmal mit seiner Heimorgel-Elektroclash-Gruppe Alte Sau das dritte Album dieser Kombo in den Äther zu schicken. 2014 erschien das selbstbenannte Debüt, 2016 das zweite »To Be As Livin’« (nach einer Split-EP mit der superben Wiener Gruppe Lime Crush). Verstärkt von Die-Sterne-Basser Thomas Wenzel exerzieren Alte Sau – natürlich mit Rebecca Oehms und Raoul Doré – eine ganze Bandbreite an alternativen Genres. Nebst Ausflügen in Freak Folk ist es aber vor allem die frühe Neue Deutsche Welle mit ihren später verfremdeten Wurzeln im Postpunk, die auf den rund 38 Minuten Patin für den Sound steht. Wie üblich für diese Gruppe steht nicht nur die alte Grantlerstimme am Mikro, sondern auch Oehms und Wenzel sind zu hören, was den 13 Stücken noch einmal neue Tiefe gibt. Dass es lyrisch zwischen Himmelhoch und dem Tode geht, ist hingegen eher nichts Neues. Was ja bei Rachut schon mal gut ist.

»Öl im Bauch« von Alte Sau erscheint am 3. Dezember 2021 via Major Label / Broken Silence. Kaufen kann man die Platte hier. Die Band gibt es voraussichtlich am 17. Jänner 2022 live im Chelsea Wien zu sehen.

KAAK – »Schrei doch«

KAAK © Doppelgaenger Medien
KAAK © Doppelgaenger Medien

Wie sagt dein Wandtattoo so schön? »Der einfachste Weg ist ja nicht immer der beste Weg«. Ganz ohne diese implizierte Seichtheit nimmt sich dies auch der Hannoveraner Vierer KAAK zu Herzen. Ganz ohne Management und Label – kostet ja nur unnötig! – veröffentlicht die Gruppe ihr Debütalbum Schritt für Schritt: Seit September 2019 werden Songs und Musikvideos ins Internet geblasen, nun gibt’s die Stücke dann auch auf Platte zu hören. Sie kreisen mit bleischweren Gitarren zwischen dem, was man Grunge nennt, Alternative Rock, Post-Hardcore und auch Prog-Rock. Kurz: Großbuchstabierter Rock, der sich aber zum Glück kritisch mit dem ihm eigenen Wesen auseinandersetzt. So geht’s inhaltlich vornehmlich um das leidige Thema der Selbstinszenierung inklusive dessen Verkörperung im Posieren. Das zentrale Gefühl auf den zwölf Stücken ist dementsprechend jene der Wut, die stellenweise herausgebrüllt wird, andernorts sich aber auch gehörig grimmiger ins Ohr schleicht.

»Schrei doch« von KAAK erscheint am 6. Dezember 2021 im Eigenverlag. Keine Österreich-Termine, wer die Platte bis 6. Dezember hier bestellt, nimmt aber an einer Privatkonzertverlosung teil.

Rauchen – »Nein«

Rauchen © Hannah Agel
Rauchen © Hannah Agel

Die vielleicht griffigste Punk-Gruppe Deutschlands ist wie der abtörnendste deiner Tinder-Profiltexte: »Kein Bock auf Gelaber.« Nur, hier eben in gut: Gerade mal 26 Minuten brauchen die zwölf Stücke auf dem zweiten Album »Nein«, da geht’s direkt zur Sache. Nachdem schon die erste EP »Tabakbörse«, welche aktuell schon um einen Fuffi auf Discogs verhökert wird, wie eine Bombe in dein Selbstverständnis einschlug, war auch das erste Album »Gartenzwerge unter die Erde« ein Abriss sondergleichen. Beim neuen Album ging man gleich einmal einen ganz anderen Weg, einen ganz neuen gar: »Nein« besteht aus drei EPs (veröffentlicht seit September) mit jeweils vier Songs, jeweils zu den Themen Feminismus, Polizeigewalt, Kapitalismus und Liebe. An jeden Album-Abschnitt hat sich die Gruppe anders herangewagt und dementsprechend anders klingen die Ergebnisse: Während etwa die Stücke 5 bis 8 eher dem Erwartbaren entsprechen – konsequent dahingerotzter 1:30-Hardcore –, klingt EP 1 (Stücke 1-4) gar nach kühlem Post-Punk. Die Lieder 9-12 sind dahingehend eher das, was man noch am ehesten als klassische Rockmusik bezeichnen könnte. Die Texte sind dabei pointiert wie nie zuvor, durch die thematische Vorgabe auch immer am höchsten Punkt der Relevanz. Bockstark!

»Nein« von Rauchen erscheint am 3. Dezember 2021 via Zeitstrafe. Keine Österreich-Termine, Platte gibt’s hier.

Tristesse – »Im schwächsten Licht« (EP)

Tristesse © Micklas Heinzel
Tristesse © Micklas Heinzel

Eigentlich ist es ja eine Schande, aber es ist nun einmal so, dass eine neue Band, die auf der Bildfläche erscheint, sofort einmal eine Einordnung erfährt. Genres sind Signalwörter, die entscheiden, ob zum nächsten Act geswipt oder gescrollt wird. Wer beim Namen der Gruppe Tristesse und dem dazugehörigem Bild noch nicht die Ohren auf Empfang gestellt hat, sollte spätestens bei Dream-Pop, Grunge, Shoegaze und Indie mit selbigen zu schlackern beginnen. Es sind also ganz schön große Versprechungen, welche die fünf auf ihrer Debüt-EP einhalten müssen, mit effektvollen Gitarren, sphärischen Synths und flächigen Vocals werden die Grundbedürfnisse erfüllt, mit einem tollem Songwriting und der verspielten Schere von Text und Instrumentierung – Depression dort, Melodiebewusstsein hier – gelingt tatsächlich ein hervorragendes Debüt. Vielleicht ist es der Auftakt für noch viel mehr. Denn: Versprechen einlösen, das können sie.

Die EP »Im schwächsten Licht« von Tristesse erscheint am 3. Dezember 2021 im Eigenverlag. Keine Österreich-Termine. 

AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT:

ZK – »Eddie’s Salon (40 Jahre-Jubiläumsedition: 1981-2021)«

(VÖ: 3. Dezember 2021)

Wer noch ein Weihnachtsgeschenk für den Boomer-Onkel, der immer noch Chucks trägt, sucht, sollte hier fündig werden: ZK ist nämlich eine Vorläufergruppe der Pop-Sensation Die Toten Hosen und existierte seit 1978 und begrub sich 1981 mit dem Album »Eddie’s Salon«. In den 90ern gab’s eine CD-Compilation, nun erscheint auf dem Weser Label eine Jubiläums-Edition mit 1.000 roten und 1.000 schwarzen Vinyl-LPs. Musikalisch gar nicht schlecht, kann man machen. Hier zu besorgen.

Bärchen und die Milchbubis – »Endlich komplett betrunken«

(VÖ: 10. Dezember 2021)

Wenn du nur einen Spruch / Refrain aus den frühen 80er kennst, dann den: »Jung kaputt spart Altersheime / Los Leute, darauf trinken wir jetzt einen!«. Tapete Records veröffentlicht passend zum Festtagsgeschäft eine Compilation aus der ersten EP – eben: »Jung kaputt spart Altersheime« –, dem 1981er-Album »Dann macht es bumm« sowie einigen Live-Mitschnitten, die das Schaffen von Bärchen und die Milchbubis würdigt, die ja bis heute als einer der ersten deutschsprachigen Pop-Punk-Gruppen gelten und auch später dann mit der 82er-Single »Muskel« über das Schallter-Label ihre Verbindung nach Wien haben sollten. Hier zu kaufen.

Die bisherigen Veröffentlichungen von Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.

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