Muttersprachenpop – Die wichtigsten deutschsprachigen Neuerscheinungen im Mai 2025

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald. Die wichtigsten deutsch­sprachigen Neuerscheinungen im Mai 2025. Mit Blond, Julian Knoth, Das Kinn, Erdmöbel und mehr.

Blond (Bild: Mia Morgan)
© Blond (Bild: Mia Morgan)

Das Kinn – »Ruinenkampf«

Das Kinn (Foto: Marc Krause)
Das Kinn (Bild: Marc Krause)

Als der Frankfurter Toben Piel alias Das Kinn vergangenen Herbst in Wien auftrat, tat er dies im Volkstheater beim Desertshore Festival, wo er sich mit Arab Strap oder The Notwist eine Bühne teilte. Der Untertitel nannte es ein Festival »für abenteuerliche Musik und Gedanken«. Das passt wie die Faust aufs Auge zum Debütalbum »Ruinenkampf«, eine bessere Beschreibung wirst du nicht mehr lesen. Piel ist weitgereist und -bekannt, machte früher mit Antitainment ungewöhnlichen Hardcore-Punk und mit Les Trucs irgendsoeine Mischung aus Punk sowie Electro. Bei seinem Solo-Debüt kommt er folgerichtig mit ziemlich verstrahltem Avantgarde-Electro heraus. Weirde, frickelnde Soundscapes hört man da genauso wie staccatoartigen Sprechsang. Bei durchaus vorhandener, nicht unpoppiger danceabler Ekstase zucken die Beine instinktiv, an anderer Stelle dann nur Augenbrauen, ob der ungehörten Klangakzentuierung. Wie gesagt, besser wirst du es nicht hören: Abenteuerliche Musik und Gedanken.

»Ruinenkampf« von Das Kinn erscheint am 2. Mai 2025 via Bureau B. Keine Termine in Österreich. Hier kaufen.

Julian Knoth – »Unsichtbares Meer«

Julian Knoth (Bild: Marina Buneta)
Julian Knoth (Bild: Marina Buneta)

Das musste ja irgendwann einmal so kommen, sie alle haben es getan und irgendwann ein Akustik-Album aufgenommen: Bruce Springsteen, Chuck Ragan, Tom Morello, sogar J. Mascis. Aus künstlerischen Aspekten, aus Mangel an Alternativen oder gerne auch nach einschneidenden Erlebnissen. Und für Julian Knoth – Die Nerven, Peter Muffin Trio, Yum Yum Club, Die Benjamins und mehr –, der ein bisschen was von allen vorgenannten hat, gelten sogar alle drei Beweggründe: Während der Pandemie entstanden, passten die zehn Songs, manche davon von fragmentarischer Länge, zu keinem der Hauptprojekte, und wurden kurzerhand akustisch umgesetzt. Vor allem auf den ersten, recht melancholischen und eher traurigen Stücken hört man Knoth alleine mit Stimme und Gitarre. Wenn es dann etwas euphorischer und hoffnungsvoller wird – das ist auch so der lyrische Spannungsbogen des Albums –, auch gerne mal mit Streich- und Chorbegleitung. Schöne metaphorische Message auch: Geht’s dir schlecht, biste alleine. Geht’s dir gut, sind die anderen auch wieder da.

»Unsichtbares Meer« von Julian Knoth erscheint am 23. Mai 2025 via Italic Recordings. Keine Solo-Livetermine. Album hier kaufen.

Erdmöbel und das Kaiser Quintett – »Hätte Sehnsucht Gewicht«

Erdmöbel (Bild: Matthias Sandmann)
Erdmöbel (Bild: Matthias Sandmann)

»Hätte Sehnsucht Gewicht, wie viel Zentner wöge ich?«. Es sind Zeilen wie diese aus »Wette unter Models«, welche die Kölner Gruppe Erdmöbel zu Fanlieblingen macht. Solch warme Worte literarischer Qualität mit einem oftmals sehr zauberhaften, ganz süß-zärtlichen Klangbild machen Erdmöbel in der Maße an deutschen Indiepopgruppen so schön unverwechselbar. Und das schon seit dreißig Jahren, musst du dir einmal vorstellen! Zum Jubiläum gönnt sich die Gruppe eine Zusammenarbeit mit dem Kaiser Quartett, das auch schon mit Chilly Gonzales und Jarvis Cocker musiziert hat, und verpasst elf Stücken aus der Bandgeschichte ein neues orchestrales Gewand. Ganz ohne billiges Reinklatschen von Streichern, so richtig neu arrangiert: Neben den Tophits wie »In den Schuhen von Audrey Hepburn«, »Hoffnungsmaschine« und »Das Leben ist schön« gibt’s da auch ein paar schöne ältere Stücke wie »Tätowiert von innen« oder das angesprochene – sehr coole »Wette unter Models«. Wie auf den besten Playlists für Geburtstagspartys eben: Tophits, die alle kennen; und Songs für all jene, die dich sehr gut kennen.

»Hätte Sehnsucht Gewicht« von Erdmöbel und das Kaiser Quintett erscheint am 30. Mai 2025 via Jippie! Industrie. Keine Live-Termine in Österreich und sowieso nur in Philharmonien. Bei allen Händlern erwerbbar.

Blond – »Ich träum doch nur von Liebe«

Blond (Bild: Mia Morgan)
Blond (Bild: Mia Morgan)

Wer einen Softspot für Blond hat – und davon sollte man grundsätzlich bei jedem Menschen ausgehen –, wird das neue Album mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lieben, weil nicht nur »Banger, Banger, Banger!«, sondern vor allem auch richtig geil Haltung bar jeglichen Sloganismus: In »Girl Boss« etwa geht’s gegen als »feministisch« verkauften Konsum (»Boss Bitch Klopapier«, darauf musst du einmal kommen), was ja eigentlich das antifeministischste ist, was es so gibt. Im Super-Highlight und potenziellen Song des Jahres »SB-Kassen Lover« mit zum Sujet passend atzigem Sound geht’s dann dementsprechend ums Klauen als (bislang) einzig wahren Act des Widerstands, was auch ziemlich zutreffend ist. Auch die dritte Single »So Hot« scheißt auf das männerdominierte System und zwickt den Seriendatern in den Schritt, wegen denen es Zeilen wie »Gestern hat er mich noch zum Lachen gebracht / Heute hab’ ich ne Morddrohung im Insta-Postfach« braucht. Blond sind eine Band der Stunde – wobei es natürlich besser wäre, wenn es solche Inhalt gar nicht bräuchte. Bis dahin: Go Blond!

»Ich träum doch nur von Liebe« von Blond erscheint am 23. Mai 2025 via Label. Termine in Österreich: 31. Juli, Lustenau, Szene Open Air — 12. November, Wien, Arena. Album hier kaufen.

Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen – »Egg Benedict«

Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen (Bild: Bernd Jonkmanns)
Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen (Bild: Bernd Jonkmanns)

Es gibt eine Handvoll Dinge, die du wirklich unangeschaut kaufen kannst, bei denen du dich einfach darauf verlassen kannst, dass du genau das bekommst, was du willst. Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen ist sozusagen der BIC-Kugelschreiber unter den Bands – und es gibt kein größeres Kompliment. Auf ihrem bereits siebenten Studioalbum seit der Neugründung 2012, aber dem ersten seit vier Jahren, hat sich musikalisch und auch textlich – vom Stil her, nicht von den Inhalten natürlich – gar nicht so viel verändert. Das ist immer noch vorwiegend happy Sixties-verstrahler Powerpop, soulful Gitarrenrock mit Bläsern, gegen Ende (auf: »Chez Delmonico’s«) auch vermischt mit Space-Age-Rock. Das sind immer noch Texte mit schrulligen Alltagsbeobachtungen, saisonalen Inhalten (»Es ist immer Sommer irgendwo« oder »Ein Dienstag in Dur [Es ist Frühling]«) und natürlich, das ist die DLDGG-Trademark: Historische Themen, wie dieses Mal »Hedy Lamarrs siebter Mann«. Das ist gut, das ist (auch) berechenbar, das hat etwas heimeliges. Eine Band wie ihre Szene.

»Egg Benedict« von Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen erscheint am 9. Mai 2025 via Tapete Records. Keine Termine in Österreich. Hier kaufen.

Außerdem erwähnenswert:

Disso!ver – »Die völlige Abwesenheit von Punk«

(VÖ: 23. Mai 2025)

Neokraut, Indiekraut, New Wave, das zweite Album des Kölner Multiintrumentalisten Roman Biewer alias Disso!ver ist sehr vieles, Punk ist – nur wenig geht über wahre Albumtitel! – tatsächlich recht abwesend, also im rein strengen musikalischen Sinne, während vom Ethos her natürlich überall auch durchschimmernd dabei. Im Spannungsfeld von Artverwandten wie Urlaub in Polen, Von Spar, Komplizen der Spielregeln, findet Disso!ver seinen Platz im Weirdo-Kontext, ist aber dabei schon auch ordentlich gitarrenrockig. Schon fein, das! Album hier kaufen.

Morsch – »Fuck«

(VÖ: 23. Mai 2025)

Die Schweizer Bestager-Band Morsch veröffentlicht auf ihrem Debütalbum nicht nur zwölf Songs, die sich irgendwo zwischen Elektropunk, NDW und Lo-Fi einnisten, sondern vor allem auch eine albumgewordene Liebeserklärung an den Roland CR-8000, einer von Haus aus vergilbt wirkenden, analogen Drummachine. Unaufhörlich bildet sie den Beat für die mitunter ziemlich dadaistischen Lyrics, Favorit: »Es gibt kein Zurück« mit dem mantrahaften Refrain »Das ist ein ganz normaler Tag«. In Kombination mit der CR-8000 weißt du, dass das gelogen ist. Album hier kaufen.

Neuzeitliche Bodenbeläge – »Neue Kreise«

(VÖ: 30. Mai 2025)

Steile These: In der Geschichte von Alben und Labels gab es kaum eine Kombination, die so gut zusammengepasst hat wie jene von »Neue Kreise«, dem zweiten Album von Neuzeitliche Bodenbelänge und dem Label Bureau B, dem zuverlässigen Lieferanten für alternative Popmusik bar jeglichen Pop-Appeals. So finden sich auf dem Album häufig Instrumentals, aber auch viel Dada-Lyrics, zu Jazz-Fusion, Retro-Funk, Neo-Yacht-Rock (ziemlich nice, übrigens!), Latin-Soul, Impro-Drums, weirde Bläser, eine ganze Achterbahn an Soundscapes und so viel mehr, da musst du aufpassen wie ein Luchs, damit du nichts verpasst. Deshalb am besten gleich kaufen, hier etwa. 

Die bisherigen Veröffentlichungen von Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.

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