Muttersprachenpop – die wichtigsten Veröffentlichungen im Juni 2018

Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald.

© Ashley Armitage

Granada – »Ge bitte«

Granada
© Carina Antl

Schon eher a oage G’schicht, die auch nicht so viele Bands erzählen können: Gegründet anlässlich der Vertonung eines geht so guten Films – »Planet Ottakring« –, entwickelt sich eine Nummer über den Sechzehnten mit der Überdosis Bezirkspatriotismus zum Hit im Internet und den Halbcoolen. Ein Album folgt, steigt natürlich in die Charts ein, auch weitere Songs werden sechsstellig geklickt. Die Resonanz ist für einen Steirer – Sänger und Texter Thomas Petritsch suchte in seinem früheren Leben als Effi die Festivalbühnen der Provinz nahezu manisch heim –, der über Wien singt, doch ganz passabel. Massentauglich für jene, denen der Nino schon zu avantgardistisch ist, gerade noch cool genug für die, denen Pizzera & Jaus oder Seiler & Speer oder Der & und noch ein Dude, dann doch ein bisschen zu viel ist. Auch das zweite Album, das wieder beim durchaus mal näher zu betrachtenden Label Karmarama erscheint, ergänzt die Positionierung hervorragend und scheint genau auf die Zielgruppe zugeschnitten. Beschwingter und melodiestarker Akkordeon-Pop, mit klaren Anleihen an den Nuller-Indie. Einfaches Erfolgsrezept, aber schon auch gut umgesetzt. Chart-Erfolg fast schon garantiert.

»Ge bitte« von Granada erscheint am 22. Juni 2018 via Karmarama, am selben Abend spielt die Gruppe am Donauinselfest (FM4 Bühne). Nach einer ausgedehnten Deutschland-Tour gibt’s erst im Dezember wieder Österreich-Termine: Am 6. im Posthof Linz, am 7. im Orpheum Graz, am 12. im Rockhouse Salzburg und am 15. in der Arena Wien.

Madsen – »Lichtjahre«

Madsen
© Dennis Dirksen

Man kann und muss über diese Band wohl vieles sagen: Aber dass Madsen auch einige Hits, die sich ins kollektive Gedächtnis einer ganzen Generation von MusikhörerInnen geschwindelt haben, sollte man dann auch sagen. »Die Perfektion«, »Goodbye Logik «, »Du schreibst Geschichte« oder »Nachtbaden« können alle, die sich im letzten Jahrzehnt auch nur peripher mit Musik beschäftigten, mitgröhlen. Die letzten fünf der insgesamt bislang sechs Alben charten in den deutschen Top Ten, zuletzt schafft es »Kompass« aus 2015 auf Platz 5 in Deutschland und hierzulande auf Platz 10. Wenn mit dem Erfolg die Neider wachsen, werden natürlich auch die Kritiker mehr, die sich mit dem neuesten Werk bestätigt fühlen werden. Denn Madsen präsentiert auf »Lichtjahre« erneut gefühligen Pop-Rock, der nur durch den partiellen Einsatz von »harten« Gitarren am Schlager vorbeischrammelt. Texte, die an die »gute alte Zeit« erinnern – das macht ja Gabalier auch –, rückwärtsgewandte Duselei für einfältige Träumereien vom Damals. Liebeslieder für Menschen, die nichts empfinden. Rockmusik für Schlagerfans. Klar, das wird Madsen noch weiter in der Revolverheld-Zielgruppe etabliere, aber da sind ja auch die Kaufkräftigen zuhause.

»Lichtjahre« von Madsen erscheint am 15.6.2018 via Arising Empire/ Warner. Keine Österreich-Termine.

Various Artists – »Wien Musik 2018«

© monkey

Der »Wien Musik« Sampler hat sich in den letzten Jahren – und insbesondere seit die Soundselection vom Radiosender Ihres Missvertrauens das Zeitliche gesegnet hat – zur vielleicht wichtigsten Compilation, die das zeitgenössische Musikschaffen der Hauptstadt abbildet, entwickelt. Von Hits, die sowieso jeder kennt, bis zu zuvor in ihrer Szene verwurzelten und durch »Wien Musik« der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemachten Neuentdeckungen, ist noch jedes Jahr – immerhin gab’s in diesem Jahrzehnt immer eine Auskopplung – für alle etwas dabei. Nebenbei: Ein Blick auf die Tracklisten vergangener Ausgaben liest sich für wahrscheinlich einige auch wie ein persönlicher Soundtrack des Lebens und ist verpflichtet alle schon deshalb wieder mal zum Kauf. Dem Erfolgsrezept – der Abwechslung von Be- und Unbekanntem – bleibt das Team von Monkey. auch heuer treu: Große Namen des Pop – wie etwa Wanda, Granada oder 5K HD – treffen auf Hip-Hop im weiteren Sinne (wie etwa von Kreiml & Samurai feat. Monobrother, a.geh Wirklich? und Jugo Ürdens), treffen auf eher klassische Liedermacher (Paul Plut, Felix Kramer, Sir Tralala, Musser & Schwamberger). Besonders erfreulich ist auch das »Comeback« von Fred Schreiber & das große Komplott. Da kann man fast nichts falsch machen. Wer nicht ohnehin schon alles kennt, sollte auf jeden Fall zugreifen.

Der Sampler »Wien Musik 2018« erscheint am 1. Juni 2018 via Monkey. Sämtliche Künstler sind mit Wien verbunden und treten hier und anderswo häufig auf.

Uns – »Alles was wir machen ist Kunst«

© Alina Simmelbauer

Das, was vermeintlich populäre Musik ist, ist begleitet von Widersprüchen. Besonders janusköpfig: Musik, von der man meinen mag, sie wäre »tot«. »Electro-Punk’s dead!« mag da etwa die Hipster-Schickeria aufschreien, man konnte das durchaus unterstreichen. Die Glanzzeiten von beatigem Dagegensein, entgegen gebrüllt mit zeckiger Attitüde waren schon lange zu Ende gefeiert. Der Hype um die sehr guten frühen Mediengruppe Telekommander ist schon vierzehn Jahre her, der um die Audiolithen auch schon knappe zehn. Für ein kurzfristiges Re-Hypen eines ganzen Genres könnte das bereits zweite Album von Uns sorgen. Wobei, nur so klanglich. Denn die Band für mehr Engagement bei der Google-Suche, rund um Petula–Mastermind Sebastian Cleemann, fügt ihrem fieberhaftem Zick-Zack-Boom-Boom und ihren neonwarmen Eighties-Synths das hinzu, was man früher noch was »Diskurs-Pop« verspottet und in die Abtreibungsklinik für Bedeutungsschwangere geschickt hätte. Jetzt geht das wieder, jetzt muss das wieder gehen. Ein Album für alle, die bei jeder offensichtlichen und verborgenen Referenz steil gehen. Da tanzen auch die Schlauberger-Synapsen und jene, die welche haben wollen. Gute Zitate, gute Meinungen, gutes Album, saubere Partie. Macht man nichts falsch. Believe the Hype.

»Alles was wir machen ist Kunst« von Uns erscheint am 1. Juni 2018 via Sinnbus. Keine Österreich-Termine.

Tristan Brusch – »Das Paradies«

© Ashley Armitage

Das Panoptikum dessen, was man in großen Worten als zarten, schlager-affinen, feinfühligen deutschen Pop malen kann, ist ein vielfältiges, dessen Pflänzchen doch nur allzu selten gegossen wird. Der Großmeister Dagobert, die lebhafteren Klaus Johann Grobe oder etwa auch Teile des letzten Albums von Trümmer sind Versuche, Songstrukturen und Darbietungsweisen zu kreieren, die so gar nicht dem Männlichkeitsklischee im deutschen Pop entsprechen. Soft, einfühlsam, normalerweise: bäh. Aber wenn du es so gut hinbekommst, dann ist das auch fast schon automatisch große Kunst. Und auch Tristan Brusch macht mit seinem deutschsprachigen Debüt »Das Paradies« keine halben Sachen. Geht auch gar nicht. Angeleiert durch die große, alte Sehnsucht nach dem Zirkus, der Schaustellerei und des wundersamen Tralalas, begibt sich der ehemalige Techno-Boy in die weise Welt des angehaltenen New Waves, tänzelt an der engen Linie von Kitsch und Kunst, ist sich für keine vermeintliche Peinlichkeit zu schade und liefert einfach geil ab. Supergut.

»Das Paradies« von Tristan Brusch erscheint am 8. Juni 2018 via Downbeat Records. Österreich-Termine: Fehlanzeige.

AUSSERDEM ERWÄHNENSWERT:

Milliarden – »Berlin« (VÖ: 1. Juni 2018)

Die Berliner Cock-Rocker fielen der kleinen österreichischen Breite wohl erstmals mit dem Plattencover ihres Vorgängers »Betrüger« beim Durchsuchen des »Deutschrock«-Angebots in den Großmärkten ihrer Wahl auf. Und, anders als bei fast allen anderen im Regal, passt das Genre-Konstrukt wirklich zu Milliarden. Und auch »Berlin« bietet – neben wenigen, sonst echt okayen Stücken – wieder größtenteils Retro-Deutschrock für die Generation Joachim Deutschland. Uncool ist nicht das neue Cool.

Heisskalt – »Idylle« (VÖ: 22. Mai 2018)

Nachtrag: Die nicht gänzlich unsympathische Deutsche Emo-Pop-Partie Heisskalt ist so nett und veröffentlicht relativ unangekündigt ein Album zum freien Download. Und man kann es sich sogar anhören. Auch, wenn die Gruppe – wie auch schon von den Fans in den ersten Reaktionen moniert wurde – Pop in großen Lettern buchstabiert. Aber überraschen dürfte das niemanden: Wer schon einmal in den Top 15 der Charts war, will da wieder hin.

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