Deutschsprachiges zwischen Euphorie und Kapitulation, zwischen Pathos und Befindlichkeit. Ausgewählt von Dominik Oswald. Die wichtigsten deutschsprachigen Neuerscheinungen im Juni 2025. Mit Drangsal, Ozan Ata Canani, V-Mann Joe und mehr.

Ozan Ata Canani – »Die Demokratie«

Die Geschichte von Ozan Ata Canani, dem Großmeister des »Gastarbeiterocks«, dessen toller 2021er-Hit »Alle Menschen dieser Erde« für immer in allen Playlisten sein sollte, lohnt immer wieder eine Neuerzählung: Mitte der Siebziger als Dreizehnjähriger aus der Türkei im Familiennachzug nach Deutschland gekommen, spielt er bis Ende der Achtziger vor allem auf Hochzeitsgesellschaften, bevor er 2013 für eine Kompilation angefragt wird (Song: »Deutsche Freunde«), danach wieder Konzerte spielt, bis das gute Label Fun in The Church eben 2021 sein Debüt »Warte mein Land, warte« veröffentlicht. Der Weg zum zweiten Album geht ja bekanntlich deutlich schneller, passend zur rasanten Destabilisierung des Titelthemas, der Demokratie. In Europa. In Deutschland. In der Türkei. Und überall sonst. Es sind vermeintlich einfache Botschaften, mit denen sich Canani Brüderlichkeit, Vergebung, Freiheit für alle und eine hoffnungsvolle Zukunft wünscht, die konzise Sprache macht sie jedoch höchst eindrucksvoll. Vorgetragen natürlich mit wunderbarem anatolischen Gitarrenrock, der Canani auch in fortgeschrittenem Alter zu einem echten Unikat macht. Und hey, wenn schon Unikat, dann bitte mit Haltung!
»Die Demokratie« von Ozan Ata Canani erscheint am 20. Juni 2025 via Fun in The Church. Keine Termine in Österreich. Album hier kaufen.
Drangsal – »Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen«

Max Gruber hatte bereits mit seinem tollen ersten Langspieler »Harieschaim« seinen Hang zum Fatalistischen gezeigt. Spätestens seit dem bis dato letzten Album »Exit Strategy« (2021) war die Liebe zum Ende keine Koketterie mehr, sondern pure künstlerische Überlebensangst. Nicht umsonst gründete Gruber darauf Die Benjamins und reaktivierte Die Mausis – das Leben als Soloartist und dessen Mühsal war zu viel geworden. Deshalb ist das neue Album mit dem wunderbaren, langen Titel wieder ein Debüt: Das Debüt von Drangsal als Gruppe, die neben Gruber auch aus Lukas Korn und Marvin Holly besteht. Das gemeinsame Songwriting, unterstützt von Superproduzent Max Rieger, trägt dabei für Drangsal-als-Soloartist-Verhältnisse gar unerwartete Blüten: Statt Synthesizer und großer NDW, hört man nun Streicher, Klavier, Gospelchöre, Querflöten – und textlich dazu passende, durchaus dramatische, größtenteils deutschsprachige Sehnsuchtslieder über die entfremdende Flucht aus dem Selbst sowie die Angst vor dem Ankommen. Sehr cool!
»Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen« von Drangsal erscheint am 13. Juni 2025 via Virgin Music Group. (Noch) keine Termine in Österreich. Hier kaufen.
V-Mann Joe – »Berlin, Anfang der 90er«

Friede den Hütten, Krieg den Palästen! Die Gruppe V-Mann Joe war – wie der Titel des Best-of schon vermuten lässt – eine Berliner Punkkapelle der 1990er-Jahre aus der »Hausbesetzer«-Szene, die – Grüße gehen raus an die neoliberalen Immobilienspekulant*innen – auch hierzulande wieder eine Renaissance der öffentlichen Wahrnehmung erlebt. Nach einer selbstreleasten Kassette 1990 erschienen 1992 und 1993 die beiden Alben »Freundschaft, Feindschaft, Liebe, Hass & Streit« sowie »Verrat! Verrat!«, von denen ersteres auf Vinyl mittlerweile selbst zum Spekulationsobjekt geworden ist, da zahlst du schon einen Hunderter. Danke Punk-Plattensammler*innen! Knapp siebzehn Jahre nach der Trennung veröffentlichen Sterbt alle Records und Lion Crew Records die besten 12 Songs der Band noch einmal neu. Die Stücke haben natürlich nichts von ihrer Wucht verloren – klassischer Haudrauf-1-2-3-Street-Punk gets ja schließlich never old, die Texte sind hochaktuell. Kann man schon mal machen!
»Berlin, Anfang der 90er« von V-Mann Joe erscheint am 6. Juni 2025 via Sterbt alle und Lion Crew. Keine Live-Termine. Hier kaufen.
Außerdem erwähnenswert:
Paloma 004 – »Alles fängt neu an«
(VÖ: 13. Juni 2025)
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne: Auch das Debüt der Wiener Gruppe Paloma 004 rund um Songwriterin/Sängerin Lisa Obereder hat etwas von Magie. Post-Grunge, Power-Pop, Indierock, Nullerjahre-Garage: Das wären alles adäquate Kategorien zum Einordnen für jede gut sortierte Plattensammlung. Das ist schön DIY, das ist schön verklausuliert in seiner Lyrik. Weitere Eindrücke könnt ihr euch in der aktuellen Ausgabe von The Gap verschaffen. Das Album hier kaufen.
Die bisherigen Veröffentlichungen von Dominik Oswalds Reihe »Muttersprachenpop« finden sich unter diesem Link.