Otto Muehl und das Geschäft mit Kindesmissbrauchs-»Kunst«

Über Jahre misshandelte Otto Muehl, Vertreter des Wiener Aktionismus, innerhalb seiner selbstgeschaffenen Kommune Minderjährige. Nicht nur in ihm gewidmeten Ausstellungen, auch am Kunstmarkt scheint er heute vollumfänglich rehabilitiert.

Die Arbeitsgruppe »Mathilda« organisierte zur Finissage von Otto Muehls Werkschau im Friedrichshof eine kritische Intervention. © Zarah Gutsch

Verharmlosung und Geldmacherei mit Muehls Werk sind dabei aktueller denn je. Zu der Ausstellung am Friedrichshof traten nun wieder Opfer Muehls in Erscheinung, geeint im Versuch, einen verantwortungsvollen Umgang mit Otto Muehls Werk zu finden und sich dabei Gehör zu verschaffen. »Geht es doch um die Transparenz der Geschichte gegenüber. Das wäre ein anderes Ausstellungskonzept«, formulierte der Zusammenschluss, die Arbeitsgruppe »Mathilda«, zur Finissage, bei der sie eine kritische Intervention unternahmen. Ihrer Meinung nach sei »die ›Kunst‹, die in dieser Zeit entstanden ist, nicht als ein vom Künstler losgelöstes Werk anzusehen, sondern gleichzeitig auch Ausdruck seiner Machtposition, die ihm dazu verhalf, Missbrauch auf vielen Ebenen zu betreiben«.

Aktbild eines minderjährigen Missbrauchsopfer: ab 18.000 Euro

Dabei schmückt Muehls Œuvre längst nicht mehr nur Ausstellungsräume, es steht auch zu hohen Preisen am Wiener Kunstmarkt zum Verkauf  – scheinbar ungeachtet, wie problematisch die gewählte Motivik der käuflichen Werke ist. So liegen unserer Redaktion Quellen vor, dass in diesem Jahr ein Aktbild, welches ein Missbrauchsopfer Muehls darstellt, von der »Galerie W&K – Wienerroither Kohlbacher« auf deren Website veröffentlicht und zum Kauf angeboten worden ist. Die realitätsgetreue Darstellung der damals 12-Jährigen war zuvor vom Dorotheum vermittelt worden.

Weitere Recherchen von »Re-Port«, einer Initiative, die sich aus Ex-Kommunenmitgliedern zusammengeschlossen hat und darum bemüht ist, dass die Erinnerung an Muehls Verbrechen nicht unter den Tisch gekehrt wird, förderten zutage, dass das Auktionshaus »Im Kinsky« für den 4. Dezember eine Versteigerung vorgesehen hat, bei der ein weiteres Aktbild eines damals 16-jährigen Mädchens und Missbrauchsopfers Muehls versteigert werden soll. Der auf der Webseite als Schätzung ausgewiesene Preis beträgt dabei zwischen 18.000 und 25.000 Euro.

Besonders brisant ist in diesem Fall, dass jenes Bild bereits vor drei Jahren von selbigem Auktionshaus zum Verkauf angeboten worden war, woraufhin »Re-Port« bereits damals intervenierte. Entsprechende E-Mails aus dem Jahr 2016, welche die Initiative diesbezüglich dokumentiert hat, liegen der Redaktion ebenfalls vor.

»Die Vorliebe für künstlerische Grenzüberschreitungen kann kein Vorwand sein, um öffentlich die Inszenierung eines pädophilen Mannes zu zelebrieren«. Diese Worte richten die Mitglieder von »Mathilda« an das Muehl ausstellende Centre Pompidou. © Zarah Gutsch

Welcher ethischen Selbstverpflichtung müsste sich der Kunstmarkt also unterwerfen? Welcher Stellenwert wird Opferschutz eingeräumt? Vonseiten des Dorotheums drückte man Bedauern über die Versteigerungen der Bilder aus. »Es ist uns (…) wichtig festzuhalten, dass wir die damaligen Vorgänge in der Muehlkommune, für die Muehl auch gesetzlich verurteilt wurde, zutiefst ablehnen«. Der Fehler, die Bilder versteigert zu haben, sei darauf zurückzuführen, dass der tragische Hintergrund aus den Bildern nicht gleich ablesbar sei. Um ähnliche Bilder nicht weiter in Umlauf zu bringen, habe man deswegen bereits zugesagt, künftig bei Aktbildern aus Muehls Kommunenzeit mit der Initiative »Re-Port« Rücksprache zu halten und keine Darstellungen von Misshandlungsopfern weiter zu versteigern.

»Freiheit der Kunst« über den Opferschutz

Die »Galerie W&K« ließ verlauten, man sei momentan dabei, mit der Dargestellten Kontakt aufzunehmen, teilte jedoch auch mit: »Trotzdem sollten wir alle miteinander nicht den Fehler der FPÖ machen und Ausstellungsverbote von Werken Otto Mühls verlangen (…). Die Trennung der Kunst vom Künstler und der Moral sind in einer aufgeklärten Gesellschaft unabdingbar«.

Dass man gerade in der Causa Muehl so vehement auf die Trennung von Kunst und KünstlerIn besteht, ist nicht nur wegen der Verquickung von Erzeugnis und Verbrechen problematisch, es mutet vor allem auch deswegen befremdend an, da Muehl höchstselbst sein Leben als Gesamtkunstwerk verstand. So erstattete auch Danièle Roussel, Muehls Agentin und bis zu Muehls Tod treues Mitglied seines Gefolges, schon 2010 zu einer umstrittenen Werkschau Muehls im Leopoldmuseum der bemühten Trennlinie eine Abfuhr: »Man kann einen Menschen nicht vom Künstler trennen. (…) Man sieht einen Menschen in seinen Bildern«.

Der Geschäftsführer des Auktionshauses »Im Kinsky«, Christoph la Garde, wies eine Selbstverantwortung auf Anfrage von The Gap zurück: »Wir, die wir lediglich von Eigentümern von Kunstwerken mit deren Versteigerung beauftragt werden, sehen es nicht als unsere Aufgabe an, uns erteilte Verkaufsaufträge nach ethischen Gesichtspunkten zu überprüfen. Auch können wir es uns nicht anmaßen, den Künstler Otto Muehl zu zensurieren«. Weiter verweist man auf andere Werke der Kunstgeschichte: »Denken Sie doch nur an die erwiesenen Beziehungen Picassos und Klimts zu ihren minderjährigen Modellen«. Darauf möchte man gerne erwidern, dass auch dies als moralisch verwerflich empfunden werden kann, aber auch nicht alles ein Vergleich ist, was hinkt. Gerade für den Opferschutz macht es schließlich einen Unterschied, ob man über jahrhundertealte »Kunst« spricht, oder darüber, dass aktuell Opfer Muehls aufgrund dieser Versteigerungen damit leben müssen, dass gegen ihr Einverständnis Aktbilder von ihnen ausgestellt werden, die sie als Minderjährige zeigen – in Museen, Galerien oder Privatsammlungen. Gemalt von dem Menschen, der sie missbraucht hat.

Den Mitgliedern von »Mathilda« ist es wichtig mitzuteilen, dass es ihnen zwar nicht grundsätzlich um Verbote der Bilder Muehls ginge, man jedoch Unterscheidungen zu treffen habe. So seien viele Bilder, die in der Kommunenzeit entstanden sind, vielmehr Evidenzmaterial seiner Machtposition, die ihm zu Missbrauch auf vielen Ebenen verhalf, und gehörten deswegen ihrer Meinung nach nicht auf den Kunstmarkt. Da man beim Auktionshaus »Im Kinsky« jedoch nach Eigenaussage die Meinung vertritt, »in einer Gesellschaft, die die Freiheit der Kunst respektiert, sollten keine Verbote oder Einschränkungen möglich sein«, scheint einer Versteigerung am 4. Dezember nichts mehr im Wege zu stehen.

Paul-Julien Roberts Dokumentarfilm über sein Aufwachsen innerhalb der Otto Muehl Kommune »Meine keine Familie« ist bei Freibeuterfilm erschienen. In »My Talk With Florence« (Polyfilm Verleih) erzählt Florence Burner Bauer von ihren Missbrauchserfahrungen durch Muehl. Weitere Berichte Betroffener lassen sich der Seite von Re-Port entnehmen.

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