Die Checklist fürs erste Mal Seestadt Aspern
Seit 2014 kann man in der Seestadt wohnen, arbeiten und baden. Du hast es trotzdem noch nicht wirklich hingeschafft? Nur gut, dass wir schon dort gewesen sind und zehn kuriose (und famose) Eindrücke gesammelt haben – mit wunderbaren Fotos von Erli Grünzweil.
von Nadine Obermüller
1. Endstation Seestadt – U-Bahn-Anbindung und die Seestadt
Laut Wiener Linien dauert die Idealfahrt vom Karlsplatz in die Seestadt nur 19 Minuten. Vorausgesetzt man befindet sich bereits in einer U2, die überhaupt bis zur Endstation geht – und nicht nur bis Aspernstraße (was nochmal drei langgezogene Stationen bis zur Seestadt bedeutet).
Damit man, dort angekommen, dann schon von weitem erkennen kann, wann die nächste U-Bahn wieder in Richtung Stadt fährt, wurde am Seeufer eine Installation namens „ZeitKugeln“ angebracht. Das muss man sich ungefähr so vorstellen: Vom Flederhaus, eine Infostation in Hausschablonenform direkt am See, leuchten die weißen Kugeln. Vier Kugeln = ein vier Minuten langes U-Bahn-Intervall. Für den kunstaffinen Kontrollfreak in dir.
2. „Scheiss FPÖ ist oasch“ – Politische Einstellungen und die Seestadt
Mittlerweile kann man das Graffiti nicht mehr sehen. Der Schriftzug „Scheiss FPÖ is oasch“ stand geraume Zeit auf einer Baustellenabgrenzung in der Seestadt. Und zwar nicht irgendwo, sondern auf der Maria-Tusch-Straße, die eine der Hauptachsen auf dem Weg ins Zentrum ist. Wie es zu dem Graffiti kam? Das hat mit der letzten Wienwahl im Jahr 2015 zu tun. Man drückte damit wohl eine gewisse „Verwunderung“ darüber aus, dass in der Seestadt nicht – wie zu vermuten gewesen wäre – die Initiatioren des erst im Jahr 2014 bezogenen Bauprojekts, nämlich SPÖ und Grüne, sondern die FPÖ die meisten Stimmen bei der Wahl holen konnte. Es waren aber offensichtlich nicht alle dieser politischen Meinung.
3. Where the streets have women’s names – Straßennamen und die Seestadt
Schon über zwanzig Straßen sollen bisher Frauennamen tragen. Man wollte der gängigen Praxis, also dass Straßen hauptsächlich nach Männern benannt sind, etwas entgegensetzen, so die Erklärung zu dem Konzept. Wir fühlten uns bei der Überprüfung vor Ort zwar ein wenig wie im Real-Life-DKT („Gehe auf der Janis-Joplin-Promenade spazieren. Passierst du dabei den Start, erhältst du keine 200 Euro.“), konnten aber definitiv nichts Männliches an den Straßenschildern feststellen. Erst bei der nachträglichen Google-Maps-Recherche fiel uns die Ausnahme zur Regel auf: die Johann-Kutschera-Straße.
4. Seestadtflotte – Verkehrswege und die Seestadt
Die ursprünglich gänzlich autofrei geplante Stadt hat es nach ihrem Umfaller immerhin geschafft, nicht so breite Straßen zu bauen. Die Überlegung dahinter lautet vermutlich: Enge Straßen regen dazu an, auf alternative und umweltfreundlichere Verkehrsmittel umzusteigen. So gibt es in der Seestadt unter anderem ein eigenes Fahrradverleihsystem, die sogenannte Seestadtflotte. Neben normalen Citybikes im Seestadtstyle gibt es auch E-Lastenräder für größere Transporte. Alle Räder haben Vornamen – die Lastenräder sogar berühmte Schiffsnamen.
5. Popkultur Selftitled – Musik und die Seestadt
Es gibt bereits einen Track über die Seestadt. Der ist von Huhnmensch & der böse Wolf und hat neben einem Video, das vor Ort gedreht worden ist, auch schöne orientierungsbedürftige Lyrics zu bieten: „Stell dir vor / Treffen sich zwei in der Seestadt / Du bleibst alleine in der Seestadt / Komm vorbei in der Seestadt / Oder geh da mal vorbei.“
6. Kein Schneeerlebnis mehr? – Freizeit und die Seestadt
Auch für den Wintersport sollte die Seestadt taugen. Mit der Schneeerlebniswelt Aspern war es möglich, das Snowboard auf einer Plastikskipiste zu bemühen. Schon ein wenig blöd gelaufen, dass die 2014 errichtete Anlage um 550.000 Euro bereits nach einem Jahr insolvent war.
7. Hashtags gone wrong – Social Media und die Seestadt
„Seestadt ist das, was wir gemeinsam daraus machen!“ Auf den Social-Media-Kanälen zum Wohnprojekt wird das aktive Zusammengehörigkeitsgefühl fast schon auffällig oft betont. Vielleicht ist die Marketingabteilung auch deshalb der fälschlichen Annahme aufgesessen, dass die Seestadt besondere Hashtags brauche. Hier ein kleiner Ausblick vom verlassenen Ufer der forcierten Hashtags:
#sicherseestadt hat sieben Beiträge auf Instagram, keinen auf Facebook oder auf Twitter.
#smarteseestadt ist kein wenig besser dran, zwei Einträge auf Facebook (vom offiziellen Seestadt-Account allerdings), null auf Twitter und Instagram.
Wenig überraschend hingegen: Unter #seestadt und #seestadtaspern lassen sich Tausende Beiträge im Netz finden, #normal.
8. Baumringe mit Geschichte – Vermittlung und die Seestadt
In der Seestadt wurde anscheinend versucht, die bewegte Geschichte von Aspern und Umgebung in Form von kunstvollen Umgrenzungen am Fuße der Bäume wiederzugeben. Betonung auf versucht. Denn es braucht schon ein wenig mehr Fantasie, um aus den Metallteilen konkrete Geschichtsinhalte herauszulesen. Wie zum Beispiel, dass sich auf dem Gebiet der heutigen Seestadt der Flughafen Aspern befand (er galt im Jahr 1912 sogar als eines der modernsten Flugfelder der Welt). Noch früher, war die Seestadt sogar ein Kriegsschauplatz. Die Schlacht von Aspern im Jahr 1809 verlor Napoleon damals und er wäre wohl auch über diese Baumschule der anderen Art nicht besonders enchanté gewesen.
9. Wo sind die Geschäfte? – Shoppen und die Seestadt
Wer in der Seestadt spontan eine neue Hose braucht, hat vielleicht ein Problem. Zumindest fanden wir bei unserem Rundgang nur ein handvoll größerer Geschäfte wie DM oder Spar. Das Gros der Einkaufsmöglichkeiten besteht aus eher spartenspezifischen Geschäften („Keramik bemalen“ und „Hilfsmittel für Hauskrankenpflege & Rehabilitation“). Und was bedeutet eigentlich „selbstgemanagte Einkaufstraße“ in der Praxis? Fragen für einen Freund.
10. Hoho und Pop-up-Dorms – Wohnen in der Seestadt
Pop-up-Stores kennt man ja schon zur Genüge, Pop-up-Dorms vermutlich eher weniger. Als Studi in der Seestadt kann man jedenfalls in mobilen Holzcontainern residieren. Und noch mehr Holzoptik ist geplant: Seit Herbst 2016 wird nämlich der „Hoho“ gebaut. Auch wenn die Abkürzung irreführend ist, steht sie tatsächlich nur für „Holzhochhaus“ und bezeichnet damit das im Bau befindliche Leuchtturmprojekt in der Seestadt. MieterInnen gesucht!
Wer jetzt Lust auf einen Seestadtbesuch bekommen hat und diesen mit einer Veranstaltung vor Ort verbinden will, findet hier aktuelle Infos. Wir begleiten die Seestadt nun ein bisschen länger – alle Texte zum Thema werdet ihr nach und nach hier finden. Erli Grünzweils Werke gibt es hier zu bestaunen.