Talk Dirty To Me

Klischees zum Roma gibt es genug. Für ein paar realistische Einschätzungen waren wir mit drei junge Roma aus Wien feiern.

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Es ist Freitagabend, ich bin mit Freunden in einem Club und der DJ wechselt gerade den Song, es ertönt „ Talk Dirty To Me“ von Jason Derulo. Unter dröhnendem Bass und bebender Tanzfläche brüllt mir mein Freund Samuel ins Ohr: „Ich freue mich immer auf die Stelle mit der Trompete, die stammt ursprünglich von einem Roma- Musiker!“ Samuel Mago, Roma-Aktivist und Journalist, ist seine Roma-Identität sehr wichtig und versucht wo immer es geht, sich für Roma einzusetzten.

Zugegeben, als er bei unserem ersten Kennenlernen unter viel Erstsemestler-Smalltalk plötzlich meinte: „Übrigens bin ich eigentlich aus Budapest und Rom“, war ich etwas verwirrt, da ich mit dem Begriff nicht viel anfangen konnte. Doch als er mir dann im Laufe der Zeit immer mehr über seine Identität erzählte und meinen Bekanntenkreis in Wien um einige junge Roma erweiterte, wurde ich nicht nur Teil dieser Kultur, sondern auch Teil ihres Alltags. Und dazu gehört natürlich auch das Feiern, die Parties am Wochenende, welche bereits am Montag die größte Motivation sind, bis Freitag durchzuhalten. Wo aber wird abseits von Mainstreammusik und angesagten Clubs in Wien gefeiert, wie sieht eine richtig gute Party im Kreise junger Roma aus?

Samuel Mago (19), ungarischer Rom, Ioana Spataru (18), rumänische Romni und Saška Dimić (18), serbische Romni über Elvis Presleys Roma-Hintergrund, der Abneigung gegenüber Tanzen und den Bezug zu ihrer Herkunft.

Am Anfang steht schon mal eines fest, es gibt in ganz Wien keinen Club, wo man NUR auf Roma trifft, da sind sich alle drei einig. Samuel geht gerne ins Schenk*s oder in die Passage, vor allem donnerstags, da ist dort nämlich Retro-Abend. Er steht nämlich sehr auf Retro-Musik, hört aber durchaus auch klassische Roma-Musik. Also Geigenklänge und Akkordeonwalzer? Nein, Dotschy Reinhardt oder das Barcelona Gypsy Klezmer Orchestra. Die vermischen jüdische und Roma- Musik, auch Ioana hört sie rauf und runter. Sie geht aber lieber in Bars und Lokale, Werkzeug H ist ihr Favorit. Dabei betont sie, dass sie „als rumänische Romni“ nicht unbedingt gerne tanze.

„Die Aussage, Roma hätten den Tanz und die Musik im Blut, stimmt so einfach nicht. Mein Großvater konnte DESHALB gut Geige spielen, weil er von Kindheit an extrem viel üben musste!“, erzählt Saška. Auch sie liebt Homeparties, steht aber eher auf Hip Hop und Elektro. Die meisten Musiker mit Roma-Wurzeln, von denen sie mir erzählen, kenne ich nicht, aber Menowin Fröhlich, Sido und Elvis Presley sind mir doch ein Begriff. Elvis Presley? Naja, die Familie des King of Rock n Roll sei Sinti gewesen und im 17. Jahrhundert von Deutschland nach Amerika ausgewandert, erklärt Samuel. Wohingegen Sido mit dem Song „Enrico“ auf seinen Sinti- Background aufmerksam macht, findet man in Elvis‘ Musik aber kaum Roma-Klänge oder Verweise auf dessen Wurzeln.

Klischee, Klischee

Doch nicht nur in modernen Popsongs, bereits in Liedern und Operetten des 18. und 19. Jahrhunderts treten „Zigeuner-Themen“ auf. Eine der bekanntesten Opern ist wohl Bizets „Carmen“ oder die Operette „Der Zigeunerbaron“ von Johann Strauß, im 20. Jahrhundert dann Franz Lehars „Zigeunerliebe“ und die „Csárdásfürstin“ von Emmerich Kálmán. „Keines dieser Werke basiert auf musikalischer Auseinandersetzung mit Roma-Musik, alle sind dem Klischeebild verhaftet und es wird mit musikalischen Versatzstücken gearbeitet“, kritisiert Ursula Hemetek, Ao.Univ.Prof. und Leiterin des Instituts für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien in ihrem Artikel „Roma und die Musik“ (erschienen in „Romane Thana – Orte der Roma und Sinti“). Aufgrund der Wanderungsgeschichte der Roma gäbe es die Roma-Musik nicht, sondern sehr viele verschiedene Stile und Gattungen weltweit, so die Expertin.

Als Kind am Wein nippen

Von den unterschiedlichen Musikern und Genres der Roma-Kultur kommen wir langsam zu einem in vielen Gesellschaften wichtigen Aspekt: Alkohol. Während wir bei unserem Gespräch brav Tee und Limonade trinken, will ich wissen, wie sie zum Thema Alkohol stehen. Ioana trinkt nur, was ihr schmeckt und schon gar nicht um des Betrunkenseins Willen. Das Gefühl von Kontrolle verlieren mag sie gar nicht. Samuel trinkt beim Fortgehen durchaus, Wein, Schnaps oder Vodka, er kenne aber seine Grenzen. „Das Thema Alkohol wurde in meiner Familie nie tabuisiert und ich durfte als ich fünf war schon vom Wein meines Vaters nippen“, so der 19-Jährige.

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