Good old Hollywood is dead – Über verschwundene Kinos im Weinviertel

Es ist schwer vorstellbar, aber das Weinviertel in Niederösterreich besaß einst rund 100 Kinostandorte. Manch stillgelegtes Lichtspielhaus gewährt heute noch interessante Einblicke. Unser Redakteur Martin Zellhofer hat diese gemeinsam mit seinem Vater Karl in einem Buch zusammengefasst. Neben Fotos daraus legt er hier auch offen, wie sich das Lost-Places-Projekt der beiden entwickelt hat.

© Martin Zellhofer

Als wir, ein Vater-Sohn-Gespann, 2015 in einem Verlag das Konzept für ein Buch über Lost Places einreichen, hat kein einziger heimischer Anbieter etwas Vergleichbares im Programm. Das Thema köchelt zu dieser Zeit im Netz, wo sich Lost Places, Ruin Porn sowie Urban- & Rural Explorer-Communitys tummeln. Meine frühen Helden: »Die 78er. Institut für Stadterkundung Wien«, ein Blog, auf dem Innen- und Außenaufnahmen verlassener Gebäude gepostet werden. Bilder, die sich großer Beliebtheit erfreuen, weshalb wir zuversichtlich sind, das Thema aus der digitalen in die analoge Welt übertragen zu können.

Verschwundene Wirtshäuser und Bahnhöfe

Der Verlag sagt unserem Publikationsvorhaben zu – und so erscheint 2016 das Buch »Verschwundenes Weinviertel. Über Greißler und Wirtshäuser, Kinos und Schulen, Bahnhöfe und Ziegelwerke, die es nicht mehr gibt«. Warum das Weinviertel? Ich bin gerade erst wieder hingezogen, es reizt mich, die Gegend zu erkunden. Obwohl inhaltlich auf eine kleine Region beschränkt, verkauft sich das Buch sehr gut. Die Regionalmedien springen auf, sogar das ORF-Fernsehen und Ö1, Die Presse sowie Biorama berichten.

Das schreit nach Fortsetzung. 2018 veröffentlichen wir den Spin-off »Verschwundene Eisenbahnen im Weinviertel. Von Nebenbahnen, Haltestellen und Bahnhofswirtshäusern, die es nicht mehr gibt«. Auch dieses Special-Interest-Thema kommt gut an und schnell ist klar: Das müssen wir noch mal fortsetzen. Weil wir im Weinviertel mittlerweile gut vernetzt sind, bleiben wir in der Region und beschließen, uns dem Kino zu widmen.

»Verschwundene Kinos im Weinviertel« von Karl und Martin Zellhofer

Im Viertel unter dem Manhartsberg (ein Begriff, der auch am Verschwinden ist) gibt es in Stockerau, Retz, Deutsch Wagram, Mistelbach und Laa an der Thaya noch insgesamt fünf Kinos – ob das Kronen Kino in Mistelbach das Jahr 2020 überlebt, ist fraglich. Einst waren es rund 100 Lichtspielhäuser. Da sollte es doch noch genug Überbleibsel für ein Buch zu entdecken geben …

Wir erkunden Standort um Standort. Es ist die Lust am Forschen, die uns antreibt. Wir finden zugesperrte Kinos, in denen noch Filmprogramme, Werbedias und Filmreste vorhanden sind. Wir entdecken Projektoren, Werkzeuge des Operateurs, Leinwände, Preistafeln und Kinopläne. Säle, die – obwohl 30 Jahre geschlossen – immer noch vollständig bestuhlt sind. Der Fingerzeig der Geschichte erzeugt uns Gänsehaut. Oft finden wir an der Adresse eines ehemaligen Kinos auch gar nichts mehr. Manche Standorte sind abgerissen oder komplett umgebaut. Wenn man dort nicht weiß, dass das Gebäude ein Kino gewesen ist, erkennt man es auch nicht.

Tor zur weiten Welt

Wir sprechen mit Dutzenden ehemaligen BesucherInnen und MitarbeiterInnen dieser verschwundenen Kinos. Erst ihre Geschichten machen deutlich, welch immense Bedeutung das Kino einst vor allem am Land gehabt hat: als Freizeittreffpunkt, Ort der Ablenkung, Freiraum, Tor zur weiten Welt und – das hören wir besonders oft – als Aufriss- oder Rückzugszone für Verliebte. Die Zeitzeugen erzählen auch Kurioses: Es gab Kinos, in denen die Besucher den Ofen im Saal während der Vorstellung selbst heizen mussten. Bei Westernvorstellungen ging es mitunter so hoch her, dass die Angestellten drohten, den Film abzubrechen. Je heftiger die Kritik des örtlichen Pfarrers gegen einen Film, desto interessanter erschien er den Jugendlichen.

Unsere Rechercheergebnisse verpacken wir in ein kleines Coffee Table Book mit rund 150 Abbildungen. Die meisten Bilder sind aktuelle Aufnahmen des Status quo, ergänzt um einige historische Fotos, Kinoprogramme, Kinokarten und Pläne. Zudem kommen Menschen zu Wort, die in den Kinos gearbeitet oder sie besucht haben.

»Verschwundene Kinos im Weinviertel« von Karl und Martin Zellhofer ist in der Edition Winkler-Hermaden erschienen.

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