Viennale-Tagebuch 2019 – Teil 1

»Porträt einer jungen Frau in Flammen« von Céline Sciamma eröffnete am 24.10.2019 die 57. Viennale. Sonst gab es an den ersten Festivaltagen mitunter Coming-of-Age-Filme über junge Frauen, eine angeblich glücklich machende Pflanze und Abenteuer an der Riviera zu sehen.

© Barbara Fohringer

Romantisch und traurig begann die Viennale am Donnerstag, 24. Oktober 2019. »Porträt einer jungen Frau in Flammen«, das preisgekrönte Historiendrama – u.a. gab es bisher die Queer Palm in Cannes – von Céline Sciamma rund um zwei Frauen (gespielt von Noémie Merlant und Adèle Haenel), die sich ineinander verlieben, konnte bisher nicht nur KritikerInnen, sondern sicherlich auch Viennale-BesucherInnen begeistern. Adèle Haenel, deren Vater aus Österreich stammt, war ebenso vor Ort und ließ uns am Samstag beim Interview über den Film wissen: »Es geht um eine neue Politik der Liebe. Uns war wichtig, eine gewisse Sexyness in Bezug auf Gleichheit, Konsens und Nicht-Besitz zu zeigen. Das eröffnete uns neue Konzepte, weil wir diese Art von Geschichten noch nicht so gewöhnt sind. Wir sind es gewohnt, Unterwerfung sexy zu finden – und nicht Gleichberechtigung. Das war der zentrale Punkt.«

Freitag, 25.10.2019

Der erste »richtige« Festivaltag konnte gleich mit einem kleinen Highlight fortsetzen. »Knives And Skin« von Jennifer Reeder erzählt vom Verschwinden der 14-jährigen Carolyn Harper (Raven Whitley) und dem Umgang ihres Umfeldes mit dieser Tragödie. Zugegeben, etwas gewöhnen muss man sich erst einmal an diesen Film, scheinen die Dialoge doch recht überhöht und einer Soap entsprungen. Die Kostüme und das Make-up (v.a. des jungen weiblichen Casts) sind schrill, irgendwann werden Lieder der 1980er gesungen und dann merkt man: Doch ziemlich gut, das. Erzählt »Knives and Skin« in einer eben ganz speziellen Weise vom Erwachsenwerden, der Obsession mit (weiblicher) Jugend, von Melancholie in einer Kleinstadt und den Hürden, mit denen vor allem (junge) Frauen zu kämpfen haben.

Filmstill »Booksmart« © Viennale

Das Coming-of-Age junger Frauen steht auch in »Booksmart«, dem Regiedebüt der Schauspielerin Olivia Wilde, im Fokus. Molly Davidson (Beanie Feldstein) und Amy Antsler (Kaitlyn Dever) sind schulbekannte Streberinnen. Kurz vor ihrem Abschluss beschließen sie, doch zumindest für eine Nacht Bücher gegen Alkohol zu tauschen und es bei der Party eines Mitschülers so richtig krachen zu lassen. Der Weg zur gewünschten Party ist ein langer, der Spaß des Films, der auch viele Stars (Lisa Kudrow! Will Forte! Jessica Williams! Jason Sudeikis!) aufweist, kommt dabei definitiv nicht zu kurz. »Booksmart« ist ein Film über die Freundschaft zweier Frauen und die Erkenntnis, dass wir unsere Mitmenschen wohl nicht immer so gut kennen und Schubladen besser für Socken und nicht Stereotype herhalten sollten. Dabei ist der Film, der von vier Frauen (Emily Halpern, Sarah Haskins, Susanna Fogel und Katie Silberman) geschrieben wurde gleichermaßen witzig wie feministisch. 

Eine gänzlich andere Thematik zeigt sich in  »A Hidden Life« von Terrence Malick. Der Film erzählt vom Leben des Franz Jägerstätters, der im Zweiten Weltkrieg den Kriegsdienst verweigerte und schließlich von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde. In gewohnter Malick-Manier ist die Kamera dynamisch und nah dran an den ProtagonistInnen (vor allem an Hauptdarsteller August Diehl), Pathos darf auch nicht fehlen, der Film ist lange. »A Hidden Life« stellt das Gewissen eines einzelnen Mannes in den Fokus, zeigt den Krieg, ohne am Schlachtplatz zu sein, und erzählt durch das Gestern auch etwas über heute.

Samstag, 26.10.2019

Gemächlicher beginnt der nächste Festivaltag mit »The Plagiarists« von Peter Parlow. Ein Hipster-Pärchen (Lucy Kaminsky und Eamon Monaghan), sie angehende Schriftstellerin, er Kameramann/Möchtegern-Regisseur, verbringt – kaputt gegangenes Auto sei Dank – eine Nacht bei einem Fremden (William Michael Payne). Was sich wie der Beginn eines Horrorfilms liest, ist tatsächlich eine Lo-fi-Komödie über Millennials und ihre Probleme – manche mögen auch das schon als Horror sehen – und die Frage nach Authentizität in der Kunst. Stilistisch lässt der Film eine ordentliche Postproduktion wohl (bewusst) vermissen, inhaltlich wird es dann vor allem im zweiten Teil interessanter. 

Filmstill »Das freiwillige Jahr« © Viennale

Probleme haben auch die Figuren aus »Das freiwillige Jahr« (Regie: Ulrich Köhler und Henner Winckler), wenn auch nicht mit ihren Kreativ-Projekten. Der Schauplatz ist auch nicht die USA, sondern Deutschland. Urs (Sebastian Rudolph), Landarzt und Vater, hat meist alles unter Kontrolle, irgendwie, seine Tochter Jette (Maj-Britt Klenke) will er gerade zum Flughafen bringen, ein freiwilliges Jahr – der Filmtitel hat es schon verraten – steht bei ihr an. Macht man ja nun so. »Das freiwillige Jahr« erzählt lediglich aus zwei Tagen dieser Vater-Tochter-Beziehung, lässt Generationenkonflikte und Kommunikationshürden sichtbar werden und thematisiert vor allem auch das Loslassen.

»Little Joe«, der neue Film von Jessica Hausner feierte schließlich an diesem Tag seine Österreich-Premiere. Es ist Hausners erster englischsprachiger Film (eine Ko-Produktion mit der BBC) und er lief bereits bei den 72. Internationalen Filmfestspielen von Cannes. Die Biologin Alice (Emily Beecham) hat eine Pflanze gezüchtet, deren Duft Menschen glücklich machen soll. Doch so einfach ist es nicht. »Little Joe« thematisiert unser Streben nach Glück und das Business, das dadurch mitunter entsteht, betört durch eine eigene, perfekt inszenierte Ästhetik (diese Farben!), bleibt bewusst ambivalent und kann sich durchaus mit anderen internationalen Filmen messen.

Sonntag, 27.10.2019

Die Viennale wirf dieses Jahr mitunter einen Blick zurück auf das Schaffen der deutschen Regisseurin und Drehbuchautorin Angela Schanelec, die gemeinhin zur Berliner Schule gezählt wird. Am Sonntag war mitunter ihr Film »Nachmittag« aus dem Jahr 2007 zu sehen. Im Film selbst passiert nicht viel, also perfekt für einen Sonntag. Eine Schauspielerin (verkörpert von Schanelec selbst) besucht ihren Bruder (Fritz Schediwy), der schon längst aufgegeben hat, in dessen Villa am See. Ihr Sohn Konstantin (Jirka Zett) ist auch da und darf vor dem Laptop leiden (er will Autor werden), auch dessen Jugendfreundin Agnes (Miriam Horwitz) ist zu Besuch. Schanelec begleitet drei Nachmittage lang diese Familie, als Vorlage galt ihr das Stück »Die Möwe«. Schanelecs Stil muss man definitiv mögen, es gibt lange Szenen und an Theaterstücke erinnernde pathetische Dialoge und natürlich die Konflikte innerhalb der Familie, die den Gegensatz zum Sommer und zum See bilden.

Filmstill »Une Fille Facile« © Viennale

Beschwingter geht es dann bei »Une fille facile« (Regie: Rebecca Zlotowski) zu. Auch hier ist Sommer, hier an der Riviera, die Menschen sind schön, die Yachten am Hafen groß, das Leben angenehm. Naima (Mina Farid) wohnt am Rande der Stadt. Die Zukunft hat die 16-Jährige noch vor sich, vielleicht will sie Schauspielerin werden, vielleicht auch Köchin; was nun aber zählt ist der Sommer und ihre ältere Cousine Sofia (Zahia Dehar), die soeben aus Paris zu Besuch ist. Sofia weiß, wie sie die Aufmerksamkeit der Männer bekommt – ihre Outfits sind kurz, ihre Blicke lang. Naima lernt durch Sofia ein neues Leben kennen, eines, in denen es Chanel-Handtaschen gibt und kein Bargeld beim Ausgehen benötigt wird, weil eh immer mindestens ein Mann Drinks spendiert. Ihre Tage verbringen die beiden bald auf der Yacht von Philippe (Benoit Magimel) und Andres (Nuno Lopes). »Une fille facile« thematisiert Machtverhältnisse und stellt gängige Vorurteile auf den Kopf.

Die Viennale findet noch bis 06.11.2019 statt, Infos zum Programm gibt es auf der Website.

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