Eine neue Politik der Liebe – Adèle Haenel im Interview zu »Porträt einer jungen Frau in Flammen«

Der Film »Porträt einer jungen Frau in Flammen« zeigt nicht nur eine gleichgeschlechtliche, sondern auch eine gleichberechtigte Liebe zwischen zwei Frauen im 18. Jahrhundert. The Gap traf Adèle Haenel, eine der beiden Hauptdarstellerinnen, zum Gespräch.

© Filmladen Filmverleih

Marianne (Noémie Merlant), Malerin im 18. Jahrhundert, soll ein Porträt der adeligen Héloïse (Adèle Haenel) anfertigen – ohne, dass diese es mitbekommt, weigerte sich Héloïse doch bereits, einem anderen Maler Modell zu stehen. Héloïse, deren Schwester kürzlich verstorben ist, ist einem Adeligen in Mailand versprochen, ihr Gemälde soll daher die zukünftige Ehe verdeutlichen. In Céline Sciammas (»Water Lilies«, »Tomboy«, »Bande de filles«) neuem Film sind es zwei Frauen, die sich ineinander verlieben, zwei Frauen, die einander ebenbürtig sind.

Bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes erhielt »Porträt einer jungen Frau in Flammen« heuer den Preis für das beste Drehbuch und die »Queer Palm«. Vor einigen Tagen eröffnete der Film die Viennale. Adèle Haenel (»Water Lilies«, »Die Blumen von gestern«, »120 BPM«) war zu diesem Anlass in Wien – und hat uns einige Fragen beantwortet.

Adèle Haenel in »Porträt einer jungen Frau in Flammen« © Filmladen Filmverleih

Warum hast du dich für diese Rolle entschieden? Was hat dich daran  interessiert?

Ich kenne die Regisseurin Céline Sciamma seit Langem. Wir haben uns vor zwölf Jahren getroffen und unseren ersten Film gemeinsam gemacht, und ich denke, sie ist aktuell eine der begabtesten Regisseurinnen in Frankreich. Dann las ich das Drehbuch und dachte, dass das eine wunderschöne Liebesgeschichte ist. Als ich das Drehbuch zu Ende gelesen hatte, weinte ich.

Wie war deine Herangehensweise an die Rolle? Wie hast du dich darauf vorbereitet? Es ist ja ein historischer Film, der Ende des 18. Jahrhunderts spielt.

Ich denke nie so. Die Tatsache, dass es ein historischer Film ist, beeinflusst meine Art zu spielen nicht. Das wäre ein falscher Ansatz, so über Schauspiel zu denken. Es geht nicht um die Zeit, in der die Geschichte spielt, sondern es geht um die Problematik, die der Film behandelt. Man kann nicht sagen: So bereitest du dich für ein historisches Drama vor. Ich fand die zentrale Fragestellung des Films interessant und dass queere Personen im Fokus stehen. Wir wollten eine neue Liebesgeschichte erzählen, weil es von einer Liebe zwischen zwei Menschen erzählt, die einander gleichwertig sind. Es sind zwei Frauen im ungefähr gleichen Alter. Sie sind ca. gleich groß und gleich intelligent. Keine der beiden dominiert die andere. Das war unsere Basis. Wir haben uns gefragt, wie die Zusammenarbeit – in der Liebe – funktionieren kann und wie man eine Liebe ohne Besitztum zeigen kann. Es geht um eine neue Politik der Liebe. Uns war wichtig, eine gewisse Sexyness in Bezug auf Gleichheit, Konsens und Nicht-Besitz zu zeigen. Das eröffnete uns neue Konzepte, weil wir diese Art von Geschichten noch nicht so gewöhnt sind. Wir sind es gewohnt, Unterwerfung sexy zu finden – und nicht Gleichberechtigung. Das war der zentrale Punkt. Als ich mich daher mit meiner Rolle auseinandergesetzt habe, habe ich diese so betrachtet wie eine Reise von Objekt zu Subjekt. Das ist die Reise der Figur.

Der Film versucht nicht nur inhaltlich die Gleichberechtigung der Figuren zu zeigen, sondern auch visuell, er schafft quasi einen female gaze, einen anderen Blick auf die weiblichen Figuren. Wie liefen die Dreharbeiten ab und wie seid ihr, die Regisseurin und du, an die Rollen  herangegangen?

Das war wirklich der Plan, ja. Es ist definitiv ein Post-#MeToo-Film. Ich denke nicht, dass der Film davor möglich gewesen wäre, weil vor der #MeToo-Bewegung wenig Verständnis für das Konzept der Entfremdung von Frauen bzw. für Solidarität unter Frauen herrschte. Nun sprechen wir mehr miteinander, es gibt mehr Bündnisse zwischen Frauen. Dies zeigt sich auch bei der Rolle des Hausmädchens Sophie. Sie ist ein Hausmädchen, aber sie ist auch viel mehr und hat eine eigene Geschichte, unabhängig von den beiden Hauptfiguren. Der Film besteht aus vielen Totalen und er hat einen eigenen Rhythmus. Ich denke, die Einstellungsgrößen verdeutlichen ebenso die Beziehungen der Figuren zueinander. Manchmal hatten wir Darstellerinnen wenig Bewegungsmöglichkeit, manchmal mehr.

Interessant fand ich auch den Klassenaspekt, den wir gerade anhand der Figur Sophie erläutert haben, und ebenso die Tatsache, dass es um Kunst geht und darum, wie man sich ein Bildnis von einer anderen Person macht. Wie seid ihr an diese Thematik herangegangen?

Kunst ist in dem Film eine Komponente der Liebesgeschichte, wobei man das auch umgekehrt sagen könnte. Der Film behandelt ja die Arbeit an einem Kunststück. Die Figur der Marianne fragt sich ja auch, was ein gutes Porträt ausmacht – ob es die Seele einer Person beinhalten muss oder ob es eher darum geht, einen Moment festzuhalten. Marianne hat sich davor diese Fragen nicht gestellt, sie hat auf ihre Weise die Regeln befolgt, als sie Héloïse trifft, muss sie sich selbst hinterfragen und sich ihrer Entscheidungen bewusst werden. Mit den Bildern hatte ich natürlich nichts zu tun, aber Noémie Merlant hat ein paar Stunden bei Hélène Delmaire genommen, die all die Bilder, die im Film zu sehen sind, gemalt hat.

Welche Frauenrollen findest du noch interessant?

Ich bin vielmehr an den Dynamiken eines Films interessiert. Es interessiert mich also jeder Charakter und es gibt kein Thema, das mich nicht interessieren würde. Die Dynamik und der Point of View liegen mir besonders am Herzen. Sicher kann man sagen, dass etwa Kampfszenen oder das Fahren mit dem Motorrad oder was weiß ich, interessant sein können, aber darum geht es eigentlich nicht.

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