Von Anfang an unverschämt

Max Herre ist zurück. Mit dem Erbe von Freundeskreis auf den Schultern, denn "alles kommt zurück heißt es, man muss nur Geduld haben." Wir haben Herrn Herre zum Interview getroffen.

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Max Herre ist zurück im Glück, auch mit seiner Exfrau Joy Denalane. Auf der neuen Platte "Hallo Welt" macht er einmal mehr das, was er will, und lädt dazu eine ganze Menge Erfüllungsgehilfen ein, von Samy Deluxe über Patrice bis zum Schweizer Indie-Stimmchen Sophie Hunger oder dem deutschen Songwriter Philip Poisel, der Herre auf der aktuellen Single "Wolke 7" begleitet. Recht machen muss er es nur sich selbst, deswegen erfand sich Herre für die neue Platte einen eigenen Radiosender: Radio Kahedi. DJ Herre spinnt die Decks, und die Welt hört zu.

The Gap hat Max Herre im Fleming’s Hotel in Wien zum Interview getroffen.

Herr Herre, "Hallo Welt" ist mehr Rap als die anderen Alben. Siehst du das selbst so, dass du damit zur Königsdisziplin zurückkehrst?

Es ist vielleicht schon das, wo ich mich am besten auskenne. Das letzte Album war eine Annäherung an ein Genre, das ich so noch nicht ausprobiert habe. Wenn ich HipHop mache, bin ich von Anfang an unverschämt, und da gibt es für mich keine Grenzen. Da muss ich keine Regeln beachten. Insofern ist es vielleicht die Königsdisziplin. Das Tolle an HipHop ist, dass es diese Sampling-Kultur gibt. Grundlage für ein Sample, Grundlage für einen Song kann musikalisch aber auch inhaltlich im Prinzip alles sein, das macht das Genre so interessant.

Du hast eine ganze Menge großer Gastacts auf der Platte. Wie viele Gäste verträgt ein Album?

Die Platten, die ich mache, sind immer Gemeinschaftsprojekte. Ich bin kein Solist, auch wenn mein Name drauf steht. Mein Ansatz ist nicht: Wie packe ich besonders viele Leute auf die Platte, sondern wie helfe ich einem Stück Musik, was braucht das? Wenn man sich auf einer Platte als MC definiert, ist der Refrain schon oftmals ein Platz, an dem ein Song aufreißen kann. Ich habe relativ oft gedacht: Das ist der Moment, an dem ich gerne jemand Bestimmten fragen will. Das ist meine Freiheit als Produzent, nicht zu denken: Das ist eine Max-Herre-Platte, da muss 95 Prozent Max Herre-Gesang sein.

Also nicht dieser prollige Zugang, je mehr Features desto besser.

Eine Zeit lang habe ich überlegt, gar niemanden hinten drauf zu schreiben. Du kannst aber nicht Leute einladen und sie dann unter den Teppich kehren. Für mich wäre die Herangehensweise gewesen: Hört euch die Musik an und entdeckt selbst, was da musikalisch passiert, dann spürt man auch die Homogenität der Songs. Man spürt auch, dass die Songs den jeweiligen Features auf den Leib geschrieben sind. Das ist vielleicht die Qualität dieses Albums, dass es homogen wirkt, was da passiert, und nicht zusammengecastet oder wie am Reißbrett entworfen.


In der Single "Wolke 7" mit Philipp Poisel sprichst du von einem Albtraum. Was ist dieser "Albtraum auf Wolke 7"? Sind das die zu hoch gesteckten Ziele, die man nicht erreichen kann?

Ich weiß nicht ob sie so hoch gesteckt sind. Auf jeden Fall ist es dieser Moment, wo ich den Zweifel mal beschrieben habe, jener Moment, an dem objektiv alles zu stimmen scheint. Gerade weil man den Freiraum hat, dass man sich über existenzielle Themen nicht so viele Gedanken machen muss, ist der Freiraum für Zweifel und Selbstzweifel umso größer. Ich habe mir auf der Platte erlaubt, das an ein zwei Stellen zu beschreiben. Es ist auch Zeitgeist und Ausdruck dieser Zeit, zu zweifeln. Zynismus ist auch ein Ausdruck davon, aber den will ich lieber dechiffrieren als Teil davon zu sein.

Deutsch gilt als harte und starre Sprache. Siehst du dich als Wegbereiter für deutschsprachigen Reimflow?

Inzwischen ist deutschsprachige Musik so breit geworden, dass ich einer unter vielen bin. Ich denke zu Anfang war Freundeskreis sicher auch Botschafter für HipHop aus Deutschland. Es war auch wichtig zu sagen wir machen HipHop in Deutsch, und machen nicht deutschen HipHop, also die Musik nach vorne zu stellen und zu sagen, das ist die Sprache, in der wir uns ausdrücken. Und trotzdem zu probieren, musikalisch etwas zu machen, das irgendwie konkurrenzfähig ist und unabhängig von Sprache nach musikalischen Qualitätskriterien funktioniert. Es gibt viele Bands die den Beweis angetreten haben, dass es gute Musik in deutscher Sprache gibt. Und dass dieses Deutsch nicht vorne stehen muss, sozusagen als Entschuldigung.

Musst du es überhaupt jemand anderem Recht machen außer dir selbst?

Ich glaube überhaupt nicht, dass man sich als Künstler rechtfertigen muss. Es gefällt Leuten oder es gefällt ihnen nicht. Es gibt ja diesen Moment, auch in Interviews, wo man das Gefühl hat, man muss sich für irgendetwas rechtfertigen was man tut, aber eigentlich ist es Quatsch. Man macht das, weil es in einem steckt und weil man es teilen will, und damit ist die Entscheidung schon getroffen. Mir ist schon wichtig, wenn ich ein Album mache, dass ich es auf irgendetwas für mich runterbrechen kann, um einen Fahrplan zu haben.

Auf dieser Platte ist das ein Pirate Radio, was im Prinzip ein Trick ist, damit ich sagen kann: Es ist mein Format, es ist mein Programm, also darf ich auch alles machen. Es ist sozusagen die Prokura dafür, alles was ich will nebeneinander zu stellen.


Was ist die beste Diss, die je in deine Richtung abgeschickt worden ist?

Ich habe nicht so wahnsinnig viele Disses gekriegt, aber eine, die mir hängen geblieben ist, kam von K.I.Z.: "Wir hängen ab wie die Schultern von Max Herre". (Anmerkung: Die Zeile stammt aus dem Track "Auch Nutten Wollen Pendlerpauschale!" (Skit) vom Album "Sexismus gegen Rechts") Die fand ich ziemlich gut. Ich gehöre glaube ich zu den MCs die über die Jahre relativ wenig abbekommen haben.

Wenn so was auf Augenhöhe passiert und du das Gefühl hast, da hat jemand das gleiche Waffenarsenal wie du, dann macht das auch Spaß.

Wenn das irgendein Furz ist, der eine Plattform kriegt dadurch, dass du dich nachher da drauf setzt und ihn größer machst als er ist, dann ist es das Falsche. In der Tat ist es so, dass ich in diesem HipHop-Ding aus einem sehr freundschaftlichen Klima komme. Die Generation nach uns ist die, die sich darüber definiert, dass man sich runterbuttert. Wenn wir gebattelt haben, dann eher in größeren Zusammenhängen … die Industrie, bestimmte Journalisten oder bestimmte Medien. Wir haben uns damals andere Feindbilder gesucht.

Wieviel dürfen andere mitreden, wieviel darf Joy mitreden?

Kahedi ist eine Dreierkonstellation und wir unterhalten uns natürlich darüber, was musikalisch passiert. Bei der Platte habe ich relativ früh Leute rein gelassen, weil ich mir Meinungen eingeholt habe. Joy ist natürlich meine größte, wichtigste Kritikerin. Ich mache nicht immer alles, was sie sagt, aber sie hat ein sehr gutes Ohr und ist eine gute Musikerin.

Kann man nur als Songwriter mit 60 noch Gigs spielen, oder geht das auch als Rapper?

Ich bin ja noch nicht 60, aber ich bin bereit, den Selbstversuch anzutreten. Es gibt eben keine Role Models. Leonhard Cohen ist glaube ich fast 80. Bei Singer-Songwritern gibt es Leute, an denen man sich orientieren kann. Das gibt es im Rap nicht, und wir sind die Generation, die diese Frage beantworten kann. Aber zwanzig Jahre hab ich ja noch, dann kannst du mich nochmal fragen.

"Hallo Welt!" erscheint am 24. August 2012 auf Nesola / Universal.

Bild(er) © Universal / Ronald Dick
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