Warum bzw. warum nicht?

Refrains klopfen gern immer wieder ans Ohr, und zwar praktischerweise wie von selbst. „Macht es nicht selbst“ zum Beispiel. Die Zeile aus der aktuellen Single der Sloganeering-Manufaktur Tocotronic wird zehn Mal wiederholt. Warum bzw. warum nicht?

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Nach „Kapitulation“ und „Sag alles ab“ folgt nun das dritte Manifest zur Verweigerung. Die vier neuen Bartlebys möchten also lieber nicht, aber was haben sie eigentlich gegen die (nicht zuletzt in diesem Blatt hier gern propagierte) DIY-Haltung? Ist ihnen auch, wie dem berühmten Anwaltsgehilfen Bartleby bei Melville, die Arbeit und/oder das Leben zu öde?

Auch Brand 1, das Wirtschaftsmagazin der Mover und Shaker, widmete sich in seiner Jänner-Ausgabe dem Schwerpunkt „Selber Machen“. Der Titel „Mach doch was du willst“ deutet bereits an, wohin die Reise geht: DIY verstanden als Freiheitsversprechen, Arbeit als Genuss. Die Leier kennt man nicht nur aus der Heimwerker-Werbung (die mittlerweile sogar das mich nicht so wahnsinnig erfüllende Nageleinschlagen zum „Projekt“ hochjubelt), sondern auch aus den Erfolgsmeldungen der Start-up-Ökonomie.

Doch während der Heimwerker seinen Lustgewinn aus der amateurhaften Imitation handwerklicher Professionalität zieht, speist sich der Spaß der neueren Unternehmenskultur aus der Adaption eines Kreativitätsbegriffs, der im Gefolge der 68er-Kulturevolution gegen das Diktat der stumpfen, fremdbestimmten Massenarbeit am Fließband in Stellung gebracht wurde. Damals standen ferne Werte wie Eigenverantwortung und Selbstverwirklichung hoch im Kurs. Sie manifestierten sich schon bald in der Vielstimmigkeit einer sozialdemokratisch geförderten Kultur von unten bzw. für alle – vom Proberaumgeböller bis zu den Töpferkursen der Toscana-Fraktion, vom Selbstfindungsseminar bis zur Kreativsitzung. Die Botschaft kam nämlich an – und zwar besser, als es den systemkritischen Absendern lieb sein konnte.

Der kreative Imperativ

Der geschmeidige „neue Geist“ des Kapitalismus hat die „künstlerische Kritik“ und ihre Entwürfe von alternativen Lebensentwürfen zu Lasten der Legitimationsbasis der „sozialen Kritik“ adaptiert, schreiben die Soziologinnen Luc Boltanski und Ève Chiapello. Resultat sei das schlanke, von /Brand 1/ abgefeierte Unternehmen, in dem man seinen Arbeitsplatz selbst beständig neu erfindet. Aktuelle Managementstrategien setzen folgerichtig (nicht nur in den vielgeschmähten und belächelten Creative Industries) auf die Aktivierung subjektiver Investitionen. Bzw. auf affektive Arbeit, welche die Unterscheidung von Arbeit und Freizeit verwischt und die Identität des Einzelnen an den Arbeitsprozess zu binden trachtet. Die Geschichte dieses „kreativen Imperativs“ und die Entstehung einer „Norm der Abweichung“ (Marion von Osten) lassen sich in Formelabwandlungen vom „Do it!“ der Yippies über das „Do it yourself!“ von Punk und Bill Gates bis zum „Just Do It!“ von Nike verdichten.

Nun schlagen Tocotronic das nächste Kapitel auf. „Don’t do it yourself”. Das meint in dem Fall wohl weniger, wie zum Beispiel /Die Zeit/ listig nahelegen will, ein Votum gegen das Amateurhafte. Sondern eher eine selbst wieder, äh, „kreative“ Absage an den Mythos der individuellen Kreativität bzw. der ökonomischen Ausbeutung derselben. Deshalb kommen auch nur zwei Spielarten der Arbeit an sich selbst mit Sympathiepunkten davon: die Selbstbefriedigung und die Selbstauslöschung, will sagen der kleine und der große Tod im Doppelpack. Alles von mir, sagt Dirk Lowtzow immer wieder gern, ist von anderswo her. Alles ist Material, zusammengebastelt zu Slogans und Reizworten: hier Hass, da Dada, aber (Pop sei Dank) kein Ich in Sicht. Ja, Panik lassen grüßen.

Apropos Slogans: Fehlfarben, die Ahnherren tocotronischer Trotzigkeiten, gehen es dieser Tage musikalisch durchaus energisch an. Deren neues Album „Glücksmaschinen“ erzählt nicht nur von Facebook-Exhibitionismus und Krisengewimmer, sondern in typisch Peter Hein‘scher, ironischer Dringlichkeit von der Sehnsucht nach einem anderen, möglicherweise besseren Morgen, das nicht kommen kann oder nicht kommen will: „Ihr habt die Uhr, wir haben die Zeit.“

Die Zeile wird übrigens gezählte 20 Mal intoniert. Das muss sein. Sturheit ist the new New. Und kreative Lösungen sind etwas für Parteizentralen.

Die Qual der Zahl – 9 wie „Revolution Nr. 9“ oder 99 wie in „99 Luftballons”? Schreibt uns eure Vorschläge, um welche Zahl zwischen 0 und unendlich es nächstes Mal gehen soll an zahlenbitte@thegap.at

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