Eine Dekade, aber als Lebensgefühl – Was bleibt von den 2010ern?

Zehn Jahre sind entweder sehr lange oder sehr kurz. Wenn es um eine popkulturelle Analyse geht: unfassbar lang. Um eine erschöpfende Einordnung aller relevanten Erscheinungen und Geschehnisse zu liefern, hätten wir einen mindestens 2010-seitigen Sammelband herausgeben müssen. Stattdessen wollen wir in unserem Dossier eine feine Auswahl an Themen bearbeiten, die das vergangene Jahrzehnt genauso wie uns geprägt haben. Illustriert wurden alle Texte von Lisa Schrofner. Wo warst du, als die 2010er vorbei waren?

Trending: Gender-Bending – Drag und Mainstream

von Oliver Maus

© Lisa Schrofner

»Hello! Hello! Hello!« Streng genommen fällt die ursprüngliche Ausstrahlung der ersten Staffel von »RuPaul’s Drag Race«, einer Cas- tingshow, bei der es sich der namensgebende RuPaul Charles zur Aufgabe gemacht hat, Amerikas nächsten »Drag-Superstar« zu küren, noch nicht in die 2010er-Jahre. Für den internationalen Durchbruch der Kunstform in den Mainstream ist die Sendung jedoch maßgeblich mitverantwortlich. Knapp 150 KandidatInnen haben seit 2009 über den Studiohintereingang den »Werk Room« betreten und damit nicht selten den Schritt zur Dragqueen als Fulltime-Job geschafft. Für einige war die Sendung Sprungbrett zu Karrieren in Mode (Naomi Smalls), Musik (Adore Delano), Tanz (Alyssa Edwards) oder Film (Bianca Del Rio).

So wundervoll Fernsehsendungen sind, die Drag als Kunstform feiern, so eindimensional ist aber leider auf Dauer das enge Korsett der Castingshow, in der Regeln für »gutes Drag« festgelegt werden. Selbst RuPaul scheint immer öfter die Bandbreite von Drag zu vergessen und musste unlängst daran erinnert werden, dass Drag nicht automatisch »Mann in Kleid« bedeutet. Von Dragkings, Trans* sowie non-binary Kings und Queens bis hin zu weiblichen Dragqueens sind den künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten von Drag – vor allem was Gender-Identity betrifft – keine Grenzen gesetzt. Androgynität und Gender-Bending sind in den 2010er-Jahren mit Mode und Musik und neuer Intensität in der Populärkultur angekommen. Miley Cyrus und Katy Perry holen sich Dragqueens mit auf die Bühne, Sänger, wie Troye Sivan oder Miss Benny treten mit Blumenkrone und rotem Lippenstift auf, während der*die genderfluide Popstar Dorian Electra mit Schnurrbärtchen einen Macho mimt.

© Lisa Schrofner

Spätestens seit Dragqueens zu Werbege- sichtern geworden sind – hierzulande Conchita Wurst für eine Bank, Tamara Mascara für Autos – , ist die Verschiebung hin zur Massentauglichkeit nicht nur offensichtlich geworden, sondern sie wirft auch die Frage nach dem Sellout einer Kunstform auf. Drag als politischen Ausdruck, als Teil einer Gegenkultur gibt es auch in Österreich noch. Zum Beispiel bei Drag Menu, dem jährlich veranstalteten Tuntathlon, oder Events der Kings Of Vienna (@dragkings- vienna). RuPaul hin oder her: Support your local drag scene!

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