Eine Dekade, aber als Lebensgefühl – Was bleibt von den 2010ern?

Zehn Jahre sind entweder sehr lange oder sehr kurz. Wenn es um eine popkulturelle Analyse geht: unfassbar lang. Um eine erschöpfende Einordnung aller relevanten Erscheinungen und Geschehnisse zu liefern, hätten wir einen mindestens 2010-seitigen Sammelband herausgeben müssen. Stattdessen wollen wir in unserem Dossier eine feine Auswahl an Themen bearbeiten, die das vergangene Jahrzehnt genauso wie uns geprägt haben. Illustriert wurden alle Texte von Lisa Schrofner. Wo warst du, als die 2010er vorbei waren?

Gekommen, um zu bleiben – Die Craft-Bier-Bewegung

von Manuel Fronhofer

© Lisa Schrofner

Und plötzlich stecken die Menschen die Nase in ihr Bierglas, bevor sie den ersten Schluck nehmen. Manch klassische/r BierfreundIn mag darüber das eigene Riechorgan rümpfen, doch die olfaktorischen Facetten gehören ge- nauso zum neuen, bewussteren Genuss des Traditionsgetränks wie das Austesten seiner Geschmacksvielfalt durchs Trinken. Ja, mit der Craft-Bier-Bewegung, die spätestens zu Beginn der 1980er-Jahre in den USA ihren Anfang nahm, ist auch ein anderer Umgang mit Bier in Österreich angekommen. Ein Umgang, der mit Respekt vor dem Produkt und seiner Diversität zu tun hat und den man in vergleichbarer Form auch vom Wein kennt, der beim Bier aber noch ein bisschen braucht bis zur Selbstverständlichkeit.

Ob IPA, der hopfig-fruchtige Klassiker unter den Craft-Bieren, spontanvergorene Sauerbiere oder mit Kakao und Kokosnuss verfeinerte Pastry Stouts – die Breite des Bierangebots hat sich hierzulande vor allem ab der zweiten Hälfte der 2010er-Jahre unglaublich weiterentwickelt, ein wenig sogar in den Filialen der großen Supermarktketten, insbesondere aber dank ambitionierter Fachgeschäfte, Craft-Bier-Bars (aber auch normaler Lokale mit erweiterter Bierkarte), einschlägiger Events, Brewpubs und Kleinbrauereien, in deren Taprooms auch vor Ort verkostet werden kann. »Vor Ort« ist überhaupt ein interessantes Stichwort. Von wenigen internationalen Flaggschiffen abgesehen, steht der Craft-Bier-Boom nämlich schon auch für eine Regionalisierung. Romantisch überzeichnet: weg von den paar fast alles dominierenden international kontrollierten Braukonzernen, deren Biere für den Weltmarkt geschmacklich nach unten nivelliert worden sind, und hin zu kleinen Kreativbrauereien in der Umgebung oder zumindest im Nachbarbundesland.

Handwerklich hergestelltes Bier ist immer noch ein überschaubarer, aber doch sehr feiner Markt. Letzteres auch deshalb, weil seine Zielgruppe weniger empfindlich auf hohe Preise reagiert. Und auch die großen Player haben längst begonnen, sich in diesem Segment zu engagieren – oder sich an der einen oder anderen kleineren Brauerei zu beteiligen. Es kann durchaus zum beiderseitigen Vorteil sein, wenn man die Vertriebsstrukturen der Großen ins Kalkül zieht. Ein Zurück in die Zeit, als man Bier zumeist nur in den Varianten klein oder groß bestellen konnte, braucht man deshalb jedenfalls nicht zu befürchten. Denn die neue Vielfalt und der neue Umgang mit Bier sind zumindest in einer wachsenden Nische, die übrigens auch weniger männerdominiert ist als der Gesamtmarkt, gekommen, um zu bleiben.

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