Willst du Kunst mit mir nehmen?

Carsten Höller gastiert gerade mit der Ausstellung "Leben" in Wien. Die Ausstellung wirft Fragen auf, was Kunst eigentlich ist und wer sie zu solcher macht. Kuratorin der TBA21 Daniela Zyman gibt Antworten.

Stell dir vor, du könntest eine Nacht in einer Kunstgalerie mit einem Koffer voller psychoaktiver Substanzen verbringen. Carsten Höllers Ausstellung "Leben" ermöglicht genau diese Erfahrung. Das Rahmenprogramm besteht aus einem 3,5 Meter hohem Bett, einem Floating Pool und einem Garten voller Magic Mushrooms. Denkst du wie wir gerade an eine Party, müssen wir dich leider enttäuschen. Denn der Nachtwächter schläft nebenan.

Die Carsten Höller Experience

Höller kam auf Umwegen zur Kunst, er habilitierte in Phytopathologie, beschäftigte sich mit der Geruchskommunikation von Insekten. Einen Namen machte er sich durch die Installation von zwei gigantischen Rutschen in der Londoner Tate Gallery. Heute ist er einer der gefragtesten zeitgenössischen Künstler. Höller hat einen besonderen Zugang zur Kunst, er will sie seine Besucher fühlen lassen. Höller stellt dabei die gewohnte Wahrnehmung in Frage und ermöglicht seinen Besuchern durch Selbstexperimente neue Grenzen auszuloten.

Es scheint, als hätte Carsten Höller gar nicht den Anspruch Kunst im eigentlichen Sinne zu schaffen, viel mehr will er den Besucher durch interaktive Erfahrungen bereichern. Im Jahr 2010 gab er im Zuge der Ausstellung "Soma", Rentieren Fliegenpilze zu fressen, er hoffte aus dem Urin den mythischen Somatrank extrahieren zu können.

Vielleicht kann man Kunst auch als Droge sehen, sie soll unsere Wahrnehmung verändern und neue Perspektiven aufzeigen. Dieser Zustand lässt sich durch mehre Hilfsmittel erreichen: Träume, Drogen, oder Meditation sind Chancen in diesen Zwischenzustand zu driften. Es geht darum, die gewohnten Filter abzulegen und die Welt mit anderen Augen zu sehen. Vielleicht mit denen eines Kindes. So gesehen bietet der, in der TBA21 geschaffene Mikrokosmos die Möglichkeit, sich für eine Nacht aus dem Alltag auszuklinken und die eigenen Ansichten zu überdenken. Wo denn da das Kunstwerk bleibt? Die Frage wurde auch bei der letzten Documenta häufig gestellt, lässt sich natürlich auch beantworten, ist aber erst einmal egal.

Eine Nacht im Museum "Leben"

Die Ausstellung wirkt wie ein riesiger Themenpark. In jedem der 3 Räume gibt es Sachen zu erleben. Die Nacht kostet zwischen 390 und 490€, auf Facebook gibt es immer wieder Angebote um 120€. Außerdem gibt es eine besondere Zahnpasta. Sie wurde gemeinsam mit der St. Charles Apotheke entwickelt und soll Träume sowohl verstärken als auch konservieren.

Außerdem verbringen 2 Dompfaffenpaare die Nacht mit dir. Dompfaffen geben über Generationen erlernte Lieder weiter. Mittels Lautsprecher soll diesen in der Auststellung ein altes Liebeslied antrainiert werden. Am Ende der Ausstellung sollen sie freigelassen werden und so die gelernten Lieder verbreiten. Die Gimpel in der TBA21 wirkten allerdings etwas gestresst. Während sich der eine Piepmatz anscheinend in einer Schleife befand – er flog kontinuierlich 2 fixe Punkte ab –, saßen die beiden anderen einfach nur lethargisch da. Es stellte sich aber heraus, dass sie schon ein Ei gelegt haben – war wohl nur die Eröffnungshektik.

Giant Multiple Mushrooms

Im Garten der TBA 21 befinden sich 2 riesige Pilze, einer im jungen, der andere im ausgewachsenem Stadium. In den künstlichen Schwammerln finden sich 2 wissenschaftliche Prinzipien wieder. Das Kleinste beinhaltet das Größte und das Prinzip der Teilung. Eine Hälfte des Pilzes ist stets ein Fliegenpilz. Die verbleibende Hälfte wird in jeweils andere 3 Pilzarten aufgeteilt. Hier wird der Moment der Teilung aufgegriffen. Was passiert wenn man einen Kreis immer weiter zerteilt – Bleibt am Ende ein Stück über? Und wie sieht das aus? Die Mathematik setzt sich im Prinzip der Teilung damit auseinander.

Giant Psycho Tank

In einem Floating Tank soll man außerkörperliche Erfahrungen machen. Es geht um das Gefühl des Schwebens, die Wassertemperatur gleicht der Körpertemperatur. Das Wasser ist stark mit Salz angereichert, dadurch berührt man den Beckenboden nicht und es entsteht ein Gefühl der Schwerelosigkeit. Hemmungen sollte man keine haben, denn ins Pool darf man nur nackt. Gutes Immunsystem sollte man außerdem haben, in New York behaupten zwei Besucher des Tanks sie hätten davon einen Ohreninfekt bekommen.

"Y"

Im Belvedere führt dagegen ein illuminierter Weg mit einem Eingang und zwei Ausgängen. In "Y" begibt man sich auf einen Y-förmigen Laufsteg. In der Mitte angekommen, kann man entweder nach links oder nach rechts. Eine grundlegende alltägliche Entscheidung, die aber vielleicht gar nicht aktiv getroffen werden muss.

Die Installationen bietet einen starken Kontrast zum Marmorsaal des Oberen Belvedere und der dort eingebetteten klassischen Kunst – ein surreales Gefühl. Wir haben ein Video gedreht um den Eindruck zu veranschaulichen.

Interview mit Kuratorin der TBA21 Daniela Zyman:

Carsten Höller beschäftigt sich in seinen Arbeiten oft mit stark symbolbehafteten Themen. In "Y" könnte man eine Anspielung auf das Unendliche sehen. In "Leben" geht es eher um Traum, Schlaf und Zeit. Warum werden so grundlegenden Themen aufgegriffen?

Als symbolisch würde ich die Arbeiten von Carsten Höller nicht beschreiben. Die Werke entwerfen ein präzise zusammengestelltes Szenario an Versuchsanordnungen und haben "Werkzeugcharakter", wie Höller sagt. Als "Werkzeuge" sind sie für den persönlichen Gebrauch bestimmt, nützlich, orientierend, aber auch beirrend in ihrer Andersartigkeit. Sie zeigen andere Möglichkeiten der Nutzung, Darstellung und neue Formen der Aufmerksamkeit und Wahlmöglichkeiten. Sie erlauben und fordern auf zu Interaktionen, sind "ungesättigte" Werke, wie Höller es bezeichnet.

Gewisse Begriffe – wie zum Beispiel Leben, Glück, Zeit, Freiheit lassen sich ja schwer behandeln, beschreiben, da sie als "toxisch", verseucht gelten – und so stellt sich die Frage: wie können Begriffe, die ihre Unschuld, wenn man so will, verloren haben mittels künstlerischer Versuche zurückerobert werden?

Was genau sind toxische Begriffe?

Toxische Begriffe…. verwende ich hier in Anlehnung an Marcus Steinweg um Begriffe – im Gegensatz zu Wörtern – zu beschreiben, die philosophisch, historisch, politisch, sozial usw dermaßen "belastet" sind, also schon so oft, so viel, so übermäßig konsumiert, kommentiert, verwendet und entwendet wurden, dass wir eigentlich nicht mehr mit ihnen umgehen wollen. Sie tragen eine große Last mit sich.

Man kann ja im Zuge der Ausstellung eine Nacht in der TBA21 verbringen, welche Erfahrung soll der Besucher erlangen wenn er allein im Museum ist?

Jeder und jede ihre bzw. seine eigene natürlich. Die Ausstellung und das ganze Areal im Augarten steht den Besucherinnen und Besuchern zur Verfügung. Es gibt keine Anleitung, keine Beobachtung und auch keinen vorbestimmten Ablauf. Die Entscheidungen liegen bei den einzelnen Akteurinnen und Akteuren: zu kongolesischer Musik tanzen, im Bademantel in der Nacht durch den Park wandern und geteilte Pilze suchen, im hohen Psychotank schweben und einen Theta-Zustand erlangen. Oder pfeifen, Vogelpaare beobachten, träumen… Stimulationen gibt es der unterschiedlichsten Art.

Das Thema der Wahl stellt sich besonders eindringlich bei der Verwendung von Insensatus, jener Triade an Zahncremes, die wir mit der St Charles Apotheke entwickelt haben: Möchte ich, so hier die Versuchsanordnung, die männlichen, weiblichen oder kindlichen Aspekte meiner Traumwelten aktivieren? Glaube ich überhaupt daran, dass eine Zahncreme meine Träume beeinflussen kann und dann noch nach "Geschlechtseigenschaften".

Carsten Höller hat Agrarwissenschaft studiert, dies spiegelt sich immer wieder in seinen Arbeiten, etwa das Antrainieren bestimmter Melodien an die Gimpel oder auch das Prinzip der Teilung welches sich in den Giant Mushrooms wiederfindet. Wo sehen sie den Unterschied und die Überschneidung zwischen Kunst und Wissenschaft?

Die Wissenschaft, vereinfacht gesagt, stellt einen universalen Konsistenzanspruch. Sie ordnet, beobachtet und beschreibt die Tatsachenwelt nach konstanten, überprüfbaren, systemischen Kriterien. Kunst ist immer eine Umformung, Befragung, Übersetzung. Höllers Werke haben keinen Wahrheitsanspruch, sie basieren auf der Möglichkeit der Subjektivität und Singularität, dem Ausdenken neuer Regeln, die zwar auf logischen Prinzipien aufbauen, aber andere, neue Regeln bilden. Das Prinzip der Teilung, der Zweiheit, Symmetrie, algorithmische Folgen sind dabei Methoden, ein Regelwerk aus dem wissenschaftlichen Fundus, die Höller konsequent einsetzt, aber vielleicht zur Erzeugung von Verwirrung und Konfusion.

Er benannte es ganz wunderbar als die "hinterlogischen Bereiche", die natürlich was mit Logik und Vernunft zu tun haben, aber wie diese Begriffsfindung es an sich zeigt, im Sinne einer Doppelung außerhalb oder dahinter steht. "I’m trying to cultivate a certain doubleness in how I think, not just in my work. Linear thinking brings a lot of difficulties."

Höller scheint Kunst zum Anfassen machen zu wollen. Es soll eine Parcours-ähnliche Erfahrung geschaffen werden. Das steht im Gegensatz zu klassischer Kunst. Was genau ist zeitgenössische Kunst und welche Funktion hat sie in der Gesellschaft?

Über Höller haben wir ja nun viel gesagt: Entwürfe unterbreiten, Materialisierung von Gedankenkonstrukten, Versuche und Selbstversuche, Rauscherfahrung, Experiment…

Man spricht von "zeitgenössisch" als eigene Kategorie in der Kunst, mittlerweile sogar schon als historische Kategorie. Das Zeitgenössische bringt einen ganzen Apparat des Wissens, der Produktion, Verbreitung, des Verkaufes und der Vermarktung mit sich. Es schreibt sich in unsere Realitäts- und Gesellschaftsformen ein. Es ist pluralistisch, planetär, hat Warencharakter und verleiht der Künstlerin und dem Künstler eine völlig neue Stellung in der Gesellschaft – diese unterscheidet sie gänzlich von allen anderen Bewegungen, Stilen und Kunstformen.

Noch nie war die KünstlerIn so stark IN der Gesellschaft – also kein spleeniger Außenseiter oder hungernder Avantgardist, hier stimmt auch die rein männliche Form, waren es ja nur Männer – und Produkt des Gesellschaftlichen und seiner Wissens,- Produktions- und Vertriebsformen.

In Carsten Höllers Installationen geht es oft um Bewusstseinserweiterung. Kann man durch Kunst einen bewusstseinserweiternden Wahrnehmungszustand erreichen?

Bewusstseinserweiterung wäre kein Wort, das bei Höller vorkäme. Rausch und Erfahrung hingegen schon. Erfahrung ist immer auch eine Übersetzung eines Bedeutungshorizontes in einen anderen, und beinhaltet daher eine Befragung von Autorität und Tatsachen oder zumindest das Potenzial dafür. Das Tatsachenuniversum, das als unsere Wirklichkeit verkauft wird, bietet ein Übermaß an Ordnung und Struktur – es schreit regelrecht nach Konfusion, Neusichtung und Erfahrung. Das lässt sich nicht nur mittels Drogen erreichen.

Die Installation "Y" bildet einen starken Kontrast im Marmorsaal des Belvederes – sicher nicht unbeabsichtigt.

Y kann sich überall einschreiben, aber natürlich scheint das barocke Universum Fischer von Erlachs dazu prädestiniert. Der Marmorsaal ist eine Sehmaschine, es ruft den Eindruck der totalen Bewegung hervor, die Steigerung aller Effekte, Spiegelungen und Lichterscheinungen. Der Blick aus dem Fenster öffnet sich in eine Landschaft der totalen Symmetrie, die geometrische Gliederung der Haupt- und Nebenachsen, das Spiel der weiten Wasserbecken. Bei all dem Zauber stellt "Y" die Frage nach der Wahl, der Kontingenz jeder Entscheidung.

Für was steht die TBA21 und welche kommenden Projekte sind geplant?

TBA21 steht für Thyssen-Bornemisza Art Contemporary und ist eine Stiftung für Gegenwartskunst mit Sitz im Augarten in Wien. Im Sommer zeigen wir die Performancereihe Ephermeropteræ – jeden zweiten Freitag auf der Freilichtbühne mit Dichtung, Film, Philosophie, und Musik. Im kommenden Jahr geht es dann weiter mit Rare Earth, einer Gruppenausstellung zur Bedeutung der 18 Edelmetalle, die aufgrund ihrer Verwendung im Hochtechnologiesektor Konjunktur haben; danach der Brasilianer Ernesto Neto und der Künstler der Superlative Olafur Eliasson.

"Leben", in der TBA21-Augarten und im Oberen Belvedere bis 23. November.

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