Zieh dir was Gscheites an! – Der Look von Bildung

Wir sind davon überzeugt, gebildete Leute anhand ihres Aussehens erkennen zu können. Warum das zwar nicht stimmt, aber trotzdem funktioniert.

© Anna Shvets / Pexels, Ziad Nr_ / Pexels, Bearbeitung: Markus Raffetseder

Es gibt keinen Look von Bildung. Einen gewissen Kanon an Wissen erworben zu haben, bedeutet nicht, dass man auf einmal anders aussieht. Das Wissen quillt nicht als das Sekret der Stildrüse Gehirn aus dem Kopf, um sich für den Rest der Menschheit sichtbar auf der Oberfläche des Körpers abzusetzen. Die Intelligenz ist keine Modeberaterin, der Geist kein Hair- and Make-up-Artist. Outfits stellen wir in der Regel nicht mit dem Brockhaus in der Hand zusammen und nur die wenigsten haben beim Shoppen die Mappe mit Maturazeugnis und Studienbestätigung dabei. Warum also glauben wir – und zwar oft zutreffend –, den Bildungsgrad einer Person an ihrem Äußeren und im Speziellen an ihrer Kleidung ablesen zu können?

Entweder Mode oder Bildung

Versucht man, sich Kleidung für gebildete Personen vorzustellen, tauchen verlässlich Klischees auf wie der über eine Schreibmaschine gebeugt an einer Pfeife ziehende französische Philosoph in schwarzem Rollkragenpullover und Hornbrille, die Kuratorin, deren ebenfalls schwarzes Kleid es in Geradlinigkeit mit einem Malewitsch aufnehmen könnte, oder der englische Professor, der ein bisschen zerzaust in Tweedjackett, Pullunder und verrutschter Krawatte über einen Campushof voller Herbstlaub eilt. Hier geht es in erster Linie um den verlockenden Gedanken, dass solche Leute doch Besseres zu tun hätten, als über Gewand nachzudenken, dass ein höherer Bildungsstand einen von den Oberflächlichkeiten befreien könne, die den Rest der Menschheit blenden.

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Die Vorstellung besagt, gebildete Menschen würden durch ihre tiefgehende, hochgeistige Auseinandersetzung mit den Urgründen der Welt ganz automatisch gegen abzulehnendes, oberflächliches Blendwerk immunisiert. So kämen sie gar nicht in die Verlegenheit, sich Gedanken über Mode zu machen oder würden derartige Nichtigkeiten sogar aktiv ablehnen. Vom Sackgewand des Diogenes, über monastische Kutten bis hin zu Slavoj Žižeks zerlumptem T-Shirt und Angela Merkels bleiernem Blazerreigen hat sich die Überzeugung gehalten, dass äußere Beschränkung innere Entfaltung bedeutet, ja dass das eine ohne das andere unmöglich sei. Gelehrigkeit, die sich aufputzt, ist nicht zu trauen. Ein solides Fundament könne nur ein Gebäude mit einer schlichten Fassade haben. Bestes Beispiel dafür ist, dass sich Frauen mitunter durch figurferne Kleidung in gedeckten Farben dem sexualisierten Blick entziehen, um ihre Meinung so erst für den professionellen, männlich dominierten Diskurs zu qualifizieren.

Dass das Vorhaltungen eines Patriarchats sind, das die Lust am Anziehen für weiblich und die Intelligenz für männlich hält, liegt auf der Hand. Und so ist die Geschichte des Looks der Bildung auch die der modernen Mens- wear: Wer seine Karriere auf Bildung baut, dem ist es nicht gegeben, sich wie der Krieger bunt und aufwändig mit Insignien und Trophäen zu schmücken. Daher entwickelt das aufstrebende Bildungsbürgertum aus dem aristokratischem Militärpomp ein ungleich schlichteres Gewand, dessen jüngste Ausprägung die heute ubiquitäre Kombination aus Hemd, Krawatte, langer Hose und Sakko aus dunklem Stoff ist – die Rüstung derer, die mit dem Kopf kämpfen und arbeiten. Nur ist ihr Entstehungsgrund nicht die Bildung, sondern die Klasse ihrer Träger.

Preppy cum laude

Zurück zu unseren Archetypen: Noch viel expliziter als der Rollkragenexistenzialist und der zerstrubbelte Professor ist eine Stilrichtung mit dem Bildungssystem verbunden, die unübersehbare Spuren im zeitgenössischen Komplex aus Bildung, gesellschaftlichen Aspirationen und Kleidungsnormen hinter- lassen hat. Im Laufe des 20. Jahrhunderts machten Studierende an den Preparatory Schools und Eliteuniversitäten im Nordosten der USA Elemente des Sport- und Freizeitgewands ihrer Väter zu ihrer Alltagskleidung. Aus Crewneck-Sweaters, Oxford-Shirts, Polo- leiberln, bunten Chinos, Boat-Shoes, Mokkasins und dergleichen schufen sie einen Kleidungsstil, der zum Emblem von Erfolg durch Bildung werden sollte.

Entspannte Autorität

Gewürzt mit nautischer, sportlicher und universitärer Heraldik ist dieser lockere Stil ein Dauerbrenner in bürgerlichen Kreisen. Auch für Epigonen der Ivy-League-Studierenden, etwa an der WU Wien, ist eine breite Auswahl an Kleidungsstücken aus dem preppy Spektrum in einschlägigen Geschäften erhältlich. Der Stil stellt eine praktische Mischung aus Entspanntheit und Autoritätsbehauptung dar.

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Er bedeutet ganz klar eines: Ich fühle mich wohl im Status quo – sei das der Golfclub oder der Arkadenhof. Gleichzeitig kriegt man eine mühelose Einbindung traditionsgebundener Narrative – ein bürgerliches Kerninteresse – hin, wenn man einen Kapuzenpulli mit Unilogo, heraushängendes Hemd oder Bluse, eine beige Chino und Segelschuhe anhat.

Mit Bildung hat all das ursächlich erst mal gar nichts zu tun, symptomatisch dann aber wieder alles Mögliche. Wenn die Kleidung Studierender in unserer Vorstellung voller bürgerlicher Codes steckt, wenn sie so exklusive Institutionen wie die neuenglischen Prep Schools zum Vorbild hat und sich Luxus wie Polo und Segeln als Metaphern hernimmt, dämmert einem, dass es hier nicht um die Kleidung der Gebildeten geht, sondern um die Kleidung derer, die privilegierten Zugang zum Bildungssystem haben. Was wir hier sehen, ist nicht, wie Wissen Aussehen verändert, sondern wie wir gesellschaftlichen Status anhand von Kleidung decodieren. Es gibt keinen Look der Bildung, es gibt einen Look von gesellschaftlicher Klasse.

Gabriel Roland schreibt sonst auch in der Modekolumne »Einteiler« über Kleidung und ihre gesellschaftlichen Implikationen.

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