Zwischen Glamour und Zersetzung

Robert Rotifer ist Journalist, Musiker und in Wien immer noch: Sohn. 1997 geht er nach London, um sich selbst zu definieren. Er taucht in die britische Kultur ein und findet seine Stimme als Musiker. 2010 kuratiert der 43-jährige erstmals das Wiener Popfest. Damit ist nun Schluss; das Popfest ist flügge geworden. Und Rotifer holt in Wien die Vergangenheit ein. David Baldinger hat ihn portraitiert.

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Freitag, Tag der Zeugnisverteilung im brütend heißen Wien. Das Wien Museum, Ort der Popfest Pressekonferenz, will sich nicht so recht füllen. Robert Rotifer scannt den Raum, er wirkt etwas müde. Zum letzten Mal präsentiert er heute das Programm des Popfests. Ab nun werden jährlich wechselnde Kurtoren das Festival prägen. Rotifer trägt ein Fred Perry Shirt, scharf umgekrempelte Levis, knallrote Socken und braune Lederschuhe. Seine Haare sind leicht angegraut – wie ein lebendiges Stichwort zum Thema: der Mod und das stilvolle Altern. Gefragt welches Albumcover seine aktuelle Stimmung am besten ausdrücke, fällt ihm „This is My Country“ von den Impressions ein. „Wo die Impressions in diesen super 70er Jahre Anzügen mitten im Slum stehen. Das ist so eine Mischung aus Glamour und kompletter Zersetzung."

Gewissenhafter Strandgut-Sammler

Im Gespräch wirkt er abgeklärt. Er spinnt seine Gedanken zu Ende, unaufgeregt. Wahrscheinlich eine Grundvoraussetzung, um im hyperventilierenden Strudel des Pop nicht unterzugehen. Rotifer ist ein Tüftler, er spricht, denkt und konstruiert gewissenhaft. Reflexion, politisches Bewusstsein und Wachsamkeit gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen sind ihm wichtig. „Ich bin ein Nachrichten-Junkie“, bekennt er offen. Er trinkt Espresso und kritzelt letzte Anmerkungen in sein Skript. Noch eine halbe Stunde bis zur Pressekonferenz.

Heartbeat

In Österreich schätzt man ihn hauptsächlich als smarten Popkenner, der auf FM4 in der wöchentlichen Sendung „Heartbeat“ Neues mit Altem, Interessantes mit Versponnenem aus der anglophilen Indie- und Gitarrenwelt mischt und auftischt. Seit dem ersten Sendetag sichtet er alle zwei Wochen „Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung“, wie es auf fm4.at heißt. Daneben schreibt er unter anderem für den Rolling Stone, die Berliner Zeitung, Falter oder Profil. Er selbst hat dabei das Gefühl, dass er „nur liefert, liefert, liefert“ inmitten eines Gewerbes, das „komplett korrupt und neben dem Reisejournalismus das dreckigste ist.“ Morgens der bezahlte Flug zum Interview mit dem Superstar, mittags Nahrungsaufnahme per Fingerfood vom exotischen Buffet, danach Gefälligkeit im Stakkato beim Interview – so stellt man sich das vor. „Ich hab das immer als korrumpierenden Einfluss empfunden, wenn man wo eingeflogen wird“, stellt Rotifer klar. Auch deswegen ging er nach England: kein Einfliegen bedeutet auch größere Unabhängigkeit. „Mittlerweile hat sich das aber von selbst erledigt, weil in der Musikindustrie niemand mehr fliegen kann“, schmunzelt er. Auch die Sache mit den Drogen hat sich verändert. „Bestimmte Labels haben früher immer Drogen besorgt. Vielleicht verkehre ich in den falschen Kreisen, aber das ist echt vorbei.“ Die Veränderungen im Pop-Biotop und der finanzielle Niedergang der Musikindustrie scheinen auf Rotifers internem Infoscreen ständig präsent zu sein. Ebenso wie sein eigenes Selbstverständnis als Journalist.

Legendärer Grantler

Als er vor kurzem Lou Reed interviewte war das eine Herausforderung. Gleichzeitig eine Chance, den Refresh-Button zu drücken, neu zu laden: wie weit will ich als Journalist gehen? Möchte ich jemanden interviewen, der als notorisch schwierig gilt? Rotifer entscheidet sich für das Interview. „Du setzt dich hin und denkst: ich bin nur das Gefäß dieses Gesprächs“, skizziert er seine Herangehensweise gegenüber dem legendären Grantler. „Wenn er mich beleidigt, ist das völlig uninteressant. Ich bin in meiner Funktion hier. Natürlich ist man verführt dazu, sich als Person zu sehen, die mit dem jetzt redet. Aber du bist nicht wirklich eine Person; du stehst als Person hinter dem, der da sitzt und die Fragen stellt und damit eine Geschichte erzählt haben will.“ Volle Konzentration auf das Gegenüber. Zuviel Aufmerksamkeit für sich selbst hat er nicht so gern. Dieses Sitzen am Podium des Popfests etwa. „Daneben spielt eine Band und ich erzähle danach etwas, da komme ich mir vor wie ein Vollidiot.“

The Artist

Während der Sympathiebarometer bei Rotifer dem Journalisten fast immer ins Positive ausschlägt, weckt der Musiker Rotifer gemischte Reaktionen. Im Januar 2012 bespricht der Guardian Music Weekly Rotifers Single „Ernst Jandl at the Albert Hall“: von „wunderschön produziert“ über schmerzhafte Erinnerungen an „schlimme Britpopbands“ bis zum Prädikat „clever“ reicht die Bandbreite. Für den Wahl-Briten selbst ist seine Musik vor allem eine Möglichkeit durchzuatmen. Dass dann in seiner Band die richtigen Leute mit von der Partie sind, ist entscheidend. „Mir ist das unglaublich wichtig“, nickt er. „Dass etwa Edwyn (Collins, Anm.) das mag und auf meiner Plattenpräsentation in London spielt. Dann ist mir auch egal ob das gar nichts verkauft.“ Mit 14 Jahren gründet Rotifer seine erste Band. In der Wiener Mod-Szene der späten 1980er arbeitet er als DJ und spielt bei den Losers. Als deren Sänger die Band verlässt (um mit The Ballyhoo die 1990ern durchzurütteln) beginnt Rotifer solo aufzutreten. Er legt sich seinen Künstlernamen zu. Nachdem auch der nächste Bandversuch mit den Electric Eels nicht überzeugt, nimmt er 1996 – unter Mithilfe der späteren Sofasurfers – eine Solosingle auf. Nach der Übersiedelung nach England 1997 dauert es vier Jahre bis er das Album „A Different Cup of Fish“ veröffentlicht. Danach steigt die Frequenz seines Outputs. Mittlerweile sind es sechs Alben, zuletzt 2011 „The Hosting Couple“. Sein Video zu „Frankfurt Kitchen“ wurde nach der Ausstellung 2011 heuer in die Sammlung des MoMA in New York aufgenommen. Darauf ist er stolz.

Das Vaterspiel

Zurück bei der Popfest Pressekonferenz am Karlsplatz. Wenn Bekannte ihn ansprechen, fällt seine Höflichkeit auf. Er winkt, nickt jemandem zu, ist aufmerksam. Das gilt auch für seine Arbeit. „Es ist wichtig, die Künstler zu respektieren. Viele Musikjournalisten sehen die Musik als ein Ding, das der Künstler eben herstellt. Da sitzt aber schon ein Mensch, der ein Jahr damit verbracht hat, diese Platte zu machen.“ Ohne es auszusprechen, wünscht er sich diese Haltung wohl auch gegenüber ihm selbst. Es hat ihn gekränkt, dass die Wiener Stadtzeitung Falter schrieb, er habe sich beim Popfest zu sehr in Szene gesetzt. Dass Leute in Postings zischten, er habe den Popfest-Job nur weil sein Vater einst SPÖ Grande war. Der Vater. Ferdinand Lacina war sozialdemokratischer Finanzminister, ein einflussreicher Mann. „Jeder, der so eine dominante Vaterfigur hat, hat damit ein Problem“, überlegt Rotifer. Sein Blick fokussiert sich auf den Kugelschreiber vor ihm. „Andererseits bin ich froh darüber. Du bist gezwungen, dir darüber Gedanken zu machen, wer du eigentlich bist.“ Suche scheint ein wesentlicher Antrieb in Rotifers Biographie zu sein.

Refresh

So wurde aus Lacina Rotifer, aus dem kleinen Wien der 80er und 90er die pre-millenium tension Metropole London. Inzwischen zog er mit seiner Frau und den beiden Kindern weiter nach Canterbury. „Ich fühle mich jetzt angekommen wo ich bin“, meint er zustimmend und ergänzt: „Das spielt ja mit beim Aufhören mit dem Popfest. Dass mich hier Leute auf meine Familie anreden und dann glauben, ich hätte das Popfest bekommen, weil ich der Sohn bin. Ich dachte nicht, dass das je wieder zurückkommt. Das hat mich extrem gekränkt und ist unglaublich deprimierend.“

Zwei Tage nach der Pressekonferenz sitzt er im Flieger nach England. Sein Gezwitscher klingt irgendwie erleichtert: „Last day Vienna. Announced popfest line-up (here it is http://www.popfest.at), played at friend’s wedding, recovered from hangover, all good.”

Vielleicht war auch das Popfest Wien ein Refresh-Button für Robert Rotifer.

Robert Rotifer war u.a. drei Jahre lang Kurator des Popfest Wien. 2012 wurde das Popfest in den Hochsommer verlegt. An diversen Locations auf und um den Wiener Karlsplatz spielen von 26. bis 29. Juli u.a.: Mile Me Deaf, Kreisky, Konea Ra, Anbuley, Der Nino Aus Wien, Wolfram, Texta, Sixtus Preiss, Patrick Pulsinger, Elektro Guzzi, Ernst Molden, A Thousand Fuegos, The Beth Edges, Brenk, usw.

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