20 Menschen der heimischen Kulturszene über definierende Momente – Teil 1

20 große Kulturensöhne und -töchter aus dem The-Gap-Umfeld erzählen von einschneidenden Erlebnissen und persönlichen Schlüsselmomenten ihrer Vergangenheit – und Zukunft. Teil 1.

Vergangenheit | Musik

Stefan Redelsteiner: Bowie im Jugendzentrum

Stefan Redelsteiner, Musik-Mogul, The Gap lesend

Der Tag, an dem sich mein Leben entscheidend veränderte, könnte ein Tag im März 2008 gewesen sein. Ich hatte im Jahr davor Problembär Records gegründet, ohne der Ambition oder der Hoffnung, davon leben zu können – es ging um den Spaß, Musik aus meinem undergroundigen Umfeld rauszubringen. Ende 2007 kontaktierte mich dann ein 20-jähriger Junge namens Nino via Myspace; ich hörte mir seine Demos an; sie waren sehr roh, mit verstimmter Gitarre und so lo-fi, dass Daniel Johnston im Vergleich wie »Dark Side Of The Moon« von Pink Floyd klingt. Aber das Songwriting war mega, da hatte ich wohl ein Riesentalent gefunden. Nach den ersten Treffen mit Nino war klar, das ist auch eine interessante Persönlichkeit, ein Popstar für eine »bessere« Welt, für »meine« Welt.

Wir einigten uns auf eine gemeinsame Vision. Der nächste Schritt war der erste Gig. Da ich mir sehr unsicher war, ob er es live bringen würde und ich ihm auch keinen großen Druck bei seiner ersten Show zumuten wollte, hab ich über einen Bekannten, der in einem Jugendzentrum in Purkersdorf arbeitete, dort dann das erste Nino-Konzert gebucht – fern der Augen einer damals wie heute missgünstigen Wiener Szene. Und was meine Augen und Ohren da erleben sollten, war der erste große Heureka-Moment meiner Musikmanagement-Karriere. Das Publikum bestand aus vier circa zehnjährigen, gelangweilten Jugendzentrum-Kids (von denen zwei nach ein paar Songs den trostlosen »Saal« verließen), aber ich war wie erschlagen, wie überrollt, wie auf einem anderen Planeten: Da steht dieser im Gespräch so schüchtern wirkende Typ und spielt ein 90-Minuten-Set mit Songs, die noch niemand zuvor gehört hatte, und alles war perfekt.

»Es geht immer ums Vollenden«, »Wo ist nur dein Leben«, also spätere Klassiker, aber auch Songs, die teilweise bis heute unveröffentlicht (aber brilliant) sind. Und er spielt sie mit einer Nonchalance, einem Gestus und einem Selbstvertrauen, das ich bis zu dem Zeitpunkt von – sonst oft so streberhaft-spießigen – österreichischen Indie-Musikern nicht erlebt hatte. Quasi: David Bowie im Jugendzentrum nebenan. Quasi: bestes Konzert meines Lebens. Ich glaub, ich hab während des ganzen Auftritts nicht geklatscht; zu sehr war ich mitgenommen, gefangen, wie in Trance. Nino hatte was von einem Schamanen, ein Schamane mit Hoodie und Nike-Schuhen. Ich erinnere mich: Auf dem Heimweg von Purkersdorf (Ninos Bruder fuhr uns) redeten wir darüber, wie sehr uns beiden der Song »Another Girl Another Planet« von The Only Ones gefalle. Auch wenn’s in Wahrheit in dem Lied um Heroin geht und darum, was es mit einem macht, fühlte ich mich nach dem Gig wie Peter Perrett in dem Song; wie auf einem anderen Planeten. Und ich wusste: Mein Leben wird sich ändern.

Stefan Redelsteiner ist der Gründer von Problembär Records und Musikverleger; momentan betreibt er die Management-Agentur Redelsteiner, ist Co-Betreiber von Lotterlabel und Hälfteeigentümer des Buchverlags Redelsteiner Dahimène Edition (verlegt unter anderem Stefanie Sargnagel). Redelsteiner managte den Nino aus Wien von 2007 bis 2015, Wanda von 2013 bis 2016 und ist seit einem Jahr Manager von Voodoo Jürgens sowie von einigen anderen coolen Acts. Dokumentation: Manuel Fronhofer

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