20 Menschen der heimischen Kulturszene über definierende Momente – Teil 2

20 große Kulturensöhne und -töchter aus dem The-Gap-Umfeld erzählen von einschneidenden Erlebnissen und persönlichen Schlüsselmomenten ihrer Vergangenheit – und Zukunft. Teil 2.

Zukunft | Karriere

Ali Mahlodji: Ja, wir schaffen das

Whatchado-Gründer Ali Mahlodji © Privat

Die Welt steht an einem Scheideweg und die Emotionen ihrer Bewohner schwanken zwischen gefühltem Endzeitdenken und einer Energiedrink-getränkten »Wir schaffen das«-Mentalität. Und es sind immer diese Phasen, die mich daran erinnern, dass wir Menschen nicht besonders gut darin sind, mit Bedacht und Ruhe unsere Situation aus der Ferne zu betrachten.

Als ich als Flüchtling nach Österreich kam, wuchs ich die erste Zeit in einem Flüchtlingsheim vor den Toren Wiens auf. Traiskirchen, eine Gratwanderung zwischen Hoffnungslosigkeit und dem Versuch, es doch zu schaffen. Ich war immer ein Fremder in einem fremden Land. Der Beginn meiner Karriere sollte auch das widerspiegeln, glaubte man den Experten am Arbeits- und Bildungsmarkt:

Als Flüchtling die Schule hinzuschmeißen und dabei auch noch den falschen Nachnamen zu haben, machte mich zu einer Zahl einer Statistik, die nichts Gutes erahnen lassen sollte.

Heute habe ich mit Whatchado ein Unternehmen mit über 50 Mitarbeitern aus 20 Nationen, das tagtäglich daran arbeitet, den Berufsorientierungsmarkt neu zu definieren. Uns gibt es schon das fünfte Jahr, auch wenn uns eine Vielzahl von Menschen daran erinnern wollten, dass wir ja keine Experten sind und daher das Ganze nichts werden kann. Heute bin ich EU-Jugendbotschafter und berate zusätzlich Politik und Unternehmen dabei, mit den Herausforderungen der Zukunft umzugehen.

Bin ich besonders stark oder intelligent? Nein, wohl eher bin ich mit meinem Lebenslauf ein Fehler im System. Doch für mich war es ein Privileg, das mich mein Leben lang dazu brachte, Wege zu gehen, die sich heute als die richtigen erweisen.

Wusste ich damals, wie mein Leben verlaufen wird, wenn ich als Jobhopper über 40 Jobs versuche, weil mir nie einer zusagte und ich nirgends hineinpasste? Nein, doch ich war mir bewusst, dass dies alles für etwas gut sein musste.

Ich besuche regelmäßig Schulen in Europa und was mir dabei oft auffällt ist, dass Kinder – wenn sie noch nicht vom Gesellschafts-Denken verdorben sind, viel flexibler, offener und (positiv gemeint) naiver über die Zukunft denken. Sie sind es, die das Element der Überraschung in ihr Leben lassen und jeden Tag offen für neues Wissen und die Wunder der Welt sind. Die Erwachsenen, also die Experten der heutigen Zeit, sind es hingegen, die oft den positiven Ausblick auf die Zukunft vermissen lassen, da sie allen Ernstes denken, dass das Wissen um die Vergangenheit auch unsere Zukunft voraussagt.

Wir wissen aber nicht, wie die Welt in zehn Jahren aussieht. Und genau deshalb denke ich, dass wir beginnen sollten, den Dingen, die wir nicht kennen, eine Chance zu geben. Als Flüchtling kam ich nach Österreich, als Ausländer ging ich in die Schule, als Europäer habe ein Unternehmen gegründet und als Österreicher lebe ich jeden Tag mein Leben. Wir haben uns alle unsere Herkunft, unser Alter, unser Geschlecht und unseren Vornamen nicht ausgesucht und auch nicht, wann wir geboren werden und wann wir diese Erde verlassen. Und doch erlebe ich eine Welt, in der wir auf Basis dieser Faktoren in unsere Schranken gewiesen werden und in der manche denken, ein Vorrecht auf ihre Kultur zu haben.

Die Flüchtlingskrise, die eigentlich eine Krise unserer Gesellschaft und ihres Mangels an Zusammenhalt ist, bedeutet die größte Chance für Europa, sich zu einen. Damit meine ich nicht nur die Integration von Menschen auf der Flucht, sondern eher die Chance, als Europäer zu wachsen und uns selbst zu beweisen, dass wir entwicklungsfähig sind.

Ob wir das schaffen? Ja, wir schaffen das.

Ali Mahlodji gründete vor fünf Jahren mit Whatchado ein Unternehmen, das besonders jungen Menschen dabei hilft, Orientierung in der Berufswelt zu finden. 2013 wurde er zum EU-Jugendbotschafter ernannt. Dokumentation: Thomas Weber, Amira Ben Saoud

Weiter zu: Lorenz Seidler (eSeL): Meine erste E-Mail-Adresse. Datum: irgendwann anno 1998

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