»The Lodge«, der neue Horrorfilm des Regieduos Veronika Franz und Severin Fiala, eröffnet das diesjährige Slash Filmfestival. Im Interview haben die beiden mit uns darüber gesprochen, wie der Erfolg von »Ich seh, ich seh« Türen nach Hollywood für sie geöffnet hat, welche kulturellen Unterschiede sie zwischen den Filmlandschaften sehen und welche Herausforderungen das mit sich gebracht hat.
»What in the fuck was that?!« Eine junge Frau schlägt angeekelt die Hände vor den Mund. Neben ihr sitzt ein bärtiger Mann mit weit aufgerissenen Augen, der seine Arme vor Schreck hochgerissen hat. Beide blicken gebannt auf einen Monitor direkt vor sich, während eine Kamera jede ihrer Gesichtsregungen einfängt. Ein sogenanntes »Reaction Video« inklusive eines Resümees: »I wanna watch that movie, that movie looks cool!«
Der Film »Ich seh, ich seh« war in vielerlei Hinsicht ein Erfolg. Nicht nur, dass er zahlreiche positive Kritiken auf sich vereinen konnte – er erlebte seine Premiere bei den Filmfestspielen von Venedig, räumte eine Reihe von Filmpreisen ab (darunter den großen Diagonale-Preis, mehrere Auszeichnungen beim Österreichischen Filmpreis und eine Ehrung beim Europäischen Filmpreis für die beste Kamera-arbeit) und wurde als österreichischer Beitrag für die Oscar-Verleihung 2016 eingereicht. Doch ein Box-Office-Hit war der Film vorerst nicht.
Dazu, dass »Ich seh, ich seh« über Österreich hinaus ein Publikum finden würde, kam es beinahe zufällig, als ein internationaler Trailer auf Youtube hochgeladen wurde und in kürzester Zeit Hunderttausende (mittlerweile zusammengerechnet über 20 Millionen) Klicks generierte. Als viraler Trend machte der Clip in den USA und Südamerika die Runde. UserInnen begannen, sich beim Ansehen des angeblich »scariest movie trailer of all time« zu filmen, und ein Hype war geboren, der dann zumindest so groß wurde, dass sich das Regieduo knapp ein Jahr nach der ersten Vorführung des Films und ein halbes Jahr nach dem offiziellen Kinostart wiederholt die Frage gefallen lassen musste: Wann kommt denn euer neuer Horrorfilm bei uns in die Kinos? Und sie mussten stets antworten: Er war schon da.
Der Sprung nach Hollywood
Die Aufmerksamkeit, die »Ich seh, ich seh« aus dem US-amerikanischen Raum zuteil wurde, schlug sich auch in Angeboten nieder, die das Regieduo erreichten. Jetzt beinahe fünf Jahre später stellen Veronika Franz und Severin Fiala ihren neuen Film »The Lodge«, eine US-amerikanisch-britische Koproduktion, beim Slash Filmfestival vor. Angesprochen auf ihren Erfolg und auf die Implikationen, was es bedeute, dass die Finanzierung ihres neuen Spielfilms durch einen viralen Trailer gesichert werden konnte, zeigen sich die beiden skeptisch, ob eine solche Vermarktungsstrategie eine Chance für andere europäische FilmemacherInnen sein könnte: »Da sind wir natürlich auch etwas hineingestolpert. So was hätte man in diesem Ausmaß gar nicht planen können«, meint Severin Fiala, während Veronika Franz einwirft: »Was sich aber natürlich schon sehr verändert hat und was auch spannend ist, ist, dass man mit den Trailern, die ins Internet gestellt werden, die ganze Welt erreichen kann. Wie man das genau macht, weiß ich auch nicht, da habe ich auch kein Rezept. Aber es ist zumindest theoretisch möglich.«
In ihrem neuen Film »The Lodge« spielen mit Riley Keough (»Mad Max: Fury Road«, »Logan Lucky«) und Jaeden Martell (»Es«, »Es: Kapitel 2«) zwei durchaus bekannte amerikanische SchauspielerInnen mit. Verhandelt wird das Verhältnis der Geschwister Aidan und Mia zu der neuen Freundin ihres Vaters, mit der sie in der verlassenen Familienlodge eingeschneit werden. Ähnlich wie in »Ich seh, ich seh« geht es also auch in »The Lodge« wieder um eine Familiendynamik. Im Programm des spanischen Filmfestivals Sitges, wo der Film ebenfalls gezeigt wird, heißt es dementsprechend, das Regieduo benötige wieder einmal lediglich zwei Kinder und eine Frau, um einen verdammt guten Horrorfilm zu drehen.
»Familie ist der Ursprung des Krieges, das sage ich jetzt mal so kühn«, erklärt Franz. »Wenn eine Familie wunderbar funktioniert, alle einander lieben, alle Konflikte gut bereinigt werden, man respektvoll miteinander umgehen würde; wenn das in allen Familien der Welt der Fall wäre, dann gäbe es vielleicht keinen Krieg«, so ihre Vermutung. »Aber das wären dann vielleicht auch keine Menschen. Menschen sind abgründig, Menschen haben Geheimnisse und Menschen wollen manchmal auch Konflikte.«
Die Themen, die Veronika Franz und Severin Fiala eigentlich interessieren, sind eben eher Traumata und wie Menschen mit diesen umgehen. Das sei in einer Familie im Kleinsten gut abbildbar, erklärt Fiala: »Da arbeiten wir natürlich mit mehrfacher Zuspitzung. Zum einen, indem wir die Familie betrachten und sie zum anderen an diesen kleinen Ort, abgeschnitten vom Rest der Welt, bringen.«
Kosten versus Vision
Bis der Film beim Sundance Filmfestival – dem womöglich trendigsten amerikanischen Filmfest – erstmals aufgeführt werden konnte, gab es jedoch auch genug Konfliktpotenzial hinter den Kulissen. Die Dreharbeiten von »The Lodge« fanden Anfang 2018 in Kanada statt. Dabei legten Fiala und Franz großen Wert darauf, dass tatsächlich vor Ort in einer kleinen Lodge gedreht wurde; mit der Voraussetzung, dass diese auch wirklich abgeschieden sein sollte. Obwohl die beiden gleich zu Beginn diese Bedingung gestellt hatten, versuchte man sie zuerst von einem Studiodreh zu überzeugen und präsentierte ihnen anschließend beim Location-Scouting Lodges, die so gar nicht abgeschieden wirkten. »Da mähte links vom Haus ein Nachbar den Rasen und rechts nebenan sprang ein Kind in einen Pool. Und trotzdem meinte man, das sei ja alles nur eine Sache davon, wie man eben filmisch arbeite, um die Lodge abgeschieden wirken zu lassen«, erzählt Franz.
Das hat natürlich mit dem Versuch der Kostenminimierung zu tun, der auch in anderen Diskussionen immer wieder zum Vorschein kam. So mussten die beiden fortwährend darauf bestehen, mit nur einer Kamera und anhand der Handlung chronologisch drehen zu wollen. »Wir haben schon immer wieder den Satz strapazieren müssen: Ja, ihr habt’s ja uns engagiert. Die wollten ja, dass wir das machen und daran mussten wir sie in dem Prozess immer mal wieder erinnern. Sie wollen eh, aber die Courage verlässt sie dann am Weg«, so Franz. Fiala pflichtet ihr bei: »Sie müssen uns – wenn sie uns ja schließlich auch wollen – glauben, dass so künstlerisch das beste Ergebnis dabei herauskommt und ansonsten die schauspielerische Leistung darunter leiden wird. Sie glauben einem und trotzdem diskutieren sie es jeden Tag neu.«
Nach Einschätzung der beiden holt man prinzipiell gern europäische FilmemacherInnen, auch aus einer Liebe zum Film und dem Versuch heraus, dem Medium spannende neue Seiten abzugewinnen. Nur hänge man dann doch häufig in der eigenen Vorstellung davon fest, was ein Horrorfilm zu sein habe und welche Parameter dieser erfüllen müsse. Ob sie deswegen anders an eine solche Produktion herangehen würden, sofern sich noch mal die Chance ergäbe? Es sei zu bedenken, so die beiden, dass beim Filmdreh allgemein immer wieder neue Herausforderungen zu bewältigen sind. »Alles Learning by Doing«, meint Franz, »da wächst man mit jeder neuen Aufgabe«. Auch Fiala erklärt: »In fast keinem Vertrag stehen Dinge wie ein Final Cut genau festgeschrieben. Wichtiger ist es, mit Menschen zusammenzuarbeiten, denen man vertraut. Man schaut, ob man eine gemeinsame Vision hat und versucht, da hinzukommen. Dabei gibt es dann noch immer Missverständnisse, aber so funktioniert es am ehesten.«
»The Lodge« von Veronika Franz und Severin Fiala eröffnet am 19. September 2019 mit zwei Vorstellungen das diesjährige Slash Filmfestival. Der reguläre Kinostart ist für 2020 geplant.