Gender Gap: Consent, Sex und Selbsthass

Toni Patzak hakt dort nach, wo es wehtut. Diesmal fragt sie sich, was alles hinter einem Ja stecken kann.

© Michael Schulte

Es wäre ja nicht so, als böte meine Kolumne hier immer etwas zum Lachen. Selbst, wenn ich versuche, ernste und düstere Topics mit realitätsbezogenem Humor aufzufrischen, gelingt mir das nicht immer. Diesmal schon gar nicht. An dieser Stelle möchte ich eine fette Triggerwarnung bezüglich sexualisierter Gewalt aussprechen. Falls jemand selbst Erfahrungen mit diesem Topic sammeln musste und heute einmal nicht damit konfrontiert sein will, würde ich vorschlagen, diese Seite lieber zu überblättern.

Thema dieser Kolumne sollen allerdings nicht die konstant unveränderten und konstant deprimierenden Statistiken zu sexualisierter Gewalt an Frauen in Österreich sein – laut Amnesty International betrifft das jede dritte Frau. Stattdessen geht es um eine Problematik, die ich erst seit Kurzem in meinem Freundinnen- und Bekanntenkreis bespreche und bei der ich traurigerweise auf Verständnis sowie ähnlich gelagerte Geschichten treffe. Etwas salopp beschreibe ich diese Situationen als »Selbstvergewaltigungen«. In Studien findet man für eine ähnliche Problematik auch den Begriff »sex as self-injury«.

Für mich geht in dieser Wissenschaftsformulierung allerdings etwas verloren: ein Gefühl zwischen Nähe, Faszination und Ekel. Der Begriff Selbstvergewaltigung fühlt sich hingegen wie ein Schlag in die Magengrube an und sorgt sofort für Ambivalenz: Kann man sich überhaupt selbst vergewaltigen? Braucht es dafür nicht mindestens eine zweite Person, die entweder ein Nein absichtlich ignoriert, auf kein Ja gewartet oder in einer Situation ein Ja herausgelockt hat, in der man nicht Herrin seiner eigenen Sinne war? All dem gebe ich recht und trotzdem sage ich: Es fühlt sich genau so an.

Grenzen von Consent

Doch was meine ich überhaupt mit dem Begriff? Selbstvergewaltigungen sind für mich Situationen, in denen sich Menschen – bewusst und aus freien Stücken – auf Sex einlassen, obwohl sie diesen von Anfang an nicht wollen. Nicht nur nicht wollen, sondern wissen, dass sie ihn aktiv hassen werden. Das mag paradox klingen für Menschen, die diese verzwickte psychische und physische Situation nicht kennen. In meinem Bekanntenkreis ruft es regelmäßig zumindest drei separate Reaktionen hervor. Die erste und häufigste ist: »Großer Gott, wieso machst du das dann?« Gute Frage. Wieso geht man eine Situation ein, die man nicht haben will, und fügt sich somit körperliche und seelische Schäden zu, die man weit länger aufarbeiten muss, als der Akt an sich dauert? Ich bin keine Psychologin oder Psychiaterin und kann hier auch keine Wahrheiten aussprechen, sondern nur eine Vermutung: Autoaggression im Erwachsenenalter kann ganz unterschiedlich aussehen. Und wenn die Themen, mit denen man ringt und die so sehr schmerzen, dass der Körper es seelisch nicht aushält, sexueller Natur sind sowie Gewalt beinhalten, dann ist Selbstvergewaltigung wohl eine Möglichkeit, sich wieder und wieder in ähnliche Situationen zu bringen, wie man sie bereits durchleben musste. Entweder als Versuch, etwas zu begreifen, oder schlicht aus Selbsthass. Klingt furchtbar, oder? Ist es auch.

»It Is What It Is«

Die zweite Reaktion ist: »Ja, das kenne ich auch. Das habe ich besonders in meinen Teenagerjahren oder Anfang zwanzig gemacht.« Immer wieder erwähnen meine Bekannten dann, dass sie sich in einem jüngeren Alter in diese Notlage begeben hätten, während sie ihre Sexualität entweder gerade ausprobierten oder festigten. Das Gespräch geht anschließend meistens so weiter, wie man es sich von der Gen Z erwartet: eine Abfolge von zynischen Witzen gegen sich selbst oder die Situation, gepaart mit dem frequenten Verwenden der Beifügungen »lol«, »naja egal« oder »it is what it is«. Auch wenn das merkwürdig klingen mag: Ich freue mich dann immer, nicht alleine zu sein, zu wissen, dass es anscheinend kein individuelles Problem ist, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Die Witze helfen, über Erlebtes zu lachen und bieten ein Medium, um Informationen weiterzugeben, die zu schmerzhaft für eine normale Konversation sind. Wir lachen, wir weinen, wir reden – das Wichtigste ist, dass wir es gemeinsam tun.

Die letzte Reaktion ist die, über die ich am meisten grüble. Sie kommt von Männern in meinem Bekanntenkreis. Meistens taucht sie auf, nachdem sie fragen, wieso, weshalb, warum, ob es jetzt besser gehe und wie man helfen könne. Dann kommt lange nichts – und schließlich doch noch die Frage: »Glaubst du, das hat eine bei mir auch schon einmal gemacht?« Gemeint ist, ob eine ehemalige Sexualpartnerin auch einmal mit dieser Intention etwas Sexuelles eingegangen ist. Ich will jetzt nicht zu viel Fokus auf die Männer legen, sie bekommen sonst eh genug Aufmerksamkeit. Aber das ist die Reaktion, die mein Herz am schwersten macht. Sie fragen, ob der Typ das nicht bemerkt habe. Ich antworte: Nein, wie auch – ich wollte ja nicht, dass er es bemerkt. Dann reden sie sich ein, dass sie es bestimmt gemerkt hätten – am Atmen, an den Bewegungen, an der Stimme. Ich versichere ihnen, dass sie es nicht bemerkt hätten. Und dann schaue ich ihnen zu, wie sie ihre Aufrisse, Exfreundinnen und Schmusis durchgehen und sich überlegen, ob da eine darunter war, der es genauso ging wie mir. Ich fühle mich dann meistens etwas schuldig, dass ich die Typen instrumentalisiert habe, um mein komplexes psychisches Gaga zu verarbeiten. Das hatten weder ich noch sie verdient.

Ich frag mich manchmal, ob das in meinem Umfeld immer noch passiert. Ob Freundinnen mir strahlend und zwinkernd von ihrem Aufriss erzählen – und dahinter eigentlich die Tatsache steht, dass es für sie alles andere als lustig war und ihnen das bereits zuvor bewusst gewesen war. Und dann frage ich mich, wieso ich nicht die Einzige bin, sondern eine von vielen, die diese Dinge tun? Wieso vergewaltigen wir uns selbst? Wieso inszenieren wir unseren eigenen sexualisierten Übergriff? Wieso casten wir uns als Akteurinnen und schreiben die Szene, nur damit wir, wenn der Vorhang fällt, die Scherben aufklauben können?

Vielleicht, weil der weibliche Körper eine Ware ist, die wir als Frauen verwalten, aber nie wirklich besitzen? Vielleicht, weil wir denken, dass wir das verdient haben? Oder vielleicht, weil wir sonst keine Nähe bekommen? Trotz mehrfachem Zerdenken finde ich einfach keine gute Antwort darauf. Well, I guess, it is what it is.

Toni Patzak organisiert diverse größere und kleinere Kulturevents, studiert Kultur- und Sozial­anthropologie und setzt sich für die Aufarbeitung systematischer Diskriminierung ein – mit Fokus auf die Schwarze Community in Österreich.

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