Körperliche Auseinandersetzung eines strukturellen Problems – »14.000 Kilo« im Kosmos Theater

Was ist ungesünder? Mehrgewichtig zu sein oder die tägliche Diskriminierung sowie der daraus resultierende psychosoziale Stress, den man durch Urteile über den eigenen Körper erfährt? Wenn die Materialität, aus der man gemacht ist, als Angriffsfläche verwendet wird – wie kämpft man da zurück? »14.000 Kilo« ist eine aus performativen Sequenzen bestehende Inszenierung, die nicht nur diejenigen, die es wirklich betrifft, ins Zentrum der Diskussion stellt, sondern ihnen das Narrativ überlässt.

© Ines Bacher

Wie auch Ahab, der von Moby Dick besessene Kapitän aus dem gleichnamigen Buch, zieht sich die Besessenheit um das Ab- und Zunehmen durch »14.000 Kilo«. Die vier Performenden – Johanna Sophia Baader, Ina Holub, Jesse Inman und Samantha Ritzinger – borgen im Kosmos Theater ihre Körper der Bühne, um den Zusehenden zu vermitteln, was der Diskurs um das Mehrgewichtig-Sein bedeuten kann. Angelehnt an den Roman stoßen die vier Seeleute, die auf Walfang sind, an die Grenzen ihrer psychischen sowie physischen Belastbarkeit. Diese zwei vermeintlich getrennten Handlungsstränge, zwischen denen die vier navigieren, müssen allerdings kaum aufeinander abgestimmt werden. Denn die darin vermittelten Emotionen sind dieselben. Die Sehnsucht nach dem Wal, der immer ein wenig schneller zu sein scheint, die Ambivalenz gegenüber dem Monster, das man zu töten versucht, ohne das man jedoch nicht leben kann, und die Unsicherheit, ob man am Ende des Tages diese ganze Mühe für sich selbst eingeht oder für die Stimmen von außen, die immer alles ein wenig besser wissen als man selbst.

»14.000 Kilo« (Bild: Ines Bacher)

Körperhumor statt peinlichem Schweigen

So verschwimmen die Grenzen zwischen der Jagd nach dem Monster und der inneren Jagd der Akteur*innen nach dem vermeintlichen Glück des Dünnseins. Ein Seemann spricht da über den Walfang, darüber, wie es ist, das Ungetüm vor sich zu sehen und es fangen zu wollen – und bald weiß man als Zuschauende nicht mehr so genau, ob der Seemann noch über das Tier oder schon über sich selbst redet.

Körperhumor gelingt selten auf der Bühne. Umso bemerkenswerter ist dies dann angesichts eines Themas, bei dem Betroffene sowie Nicht-Betroffene oft peinlich berührt schweigen. Wenn in »14.000 Kilo« geschwiegen wird dann, weil der Körper der Akteur*innen die Kommunikation übernimmt. Da darf dann auch ehrlich und herzlich gelacht werden, wenn statt des erwarteten Wals, der schwermütig aufs Deck gezogen wird, doch ein Mensch am Haken hängt. Beim Diskurs über Diskriminierungen ist es gefährlich, auf Eierschalen zu gehen. Denn dann sagt man oft lieber nichts, als etwas Falsches. Wo es Berührungsängste gibt, müssen Berührungspunkte her – das Stück stellt einen guten Zugang zu diesem vielschichtigen und historisch interessanten Thema her. Einen Zugang, den man sonst – egal ob auf der Bühne oder im Leben – selten hat.

»14.000 Kilo« (Bild: Ines Bacher)

Chemie hinter wie auf der Bühne

Die Art, auf die mit der toxisch-positiven Abnehmkultur abgerechnet wird, überrascht. Anfangs könnte man erwarten, dass hier Rache genossen würde. Stattdessen werden die ewig bekannten »Abnehm-Motivationen«, die »Wundermittel« und das »richtige Mindset« einfach für sich selbst stehen gelassen. Die größte Kritik ist das unkommentierte Kontextualisieren, wodurch sich diese ungesunde Abnehmkultur selbst ins durchtrainierte Bein schießt.

Bei allem verdienten Lob gelingt es dem Stück – trotz der performativen Sequenzen, die eine willkommene Abwechslung sind – jedoch nicht ganz, den Spannungsbogen durchgehend zu halten. Obwohl man immer etwas zu lachen, staunen und schauen hat, hängt das Stück zwischendrin etwas durch. Die anderthalb Stunden hätte man auf ein wenig mehr als eine Stunde herunterkürzen können, um das meiste aus der nichtsdestotrotz gelungenen Inszenierung herauszuholen.

Was das Tempo nicht hermacht holt die bemerkenswerte Chemie zwischen den Schauspielenden allerdings wieder ein: Die kleinen Blicke, das Schmunzeln und die liebevoll ausgeklügelten Bits, die zwischen den zum Nachdenken anregenden Monologen platziert werden, sprechen für ein durchdachtes Konzept, eine genaue Regie – aber eben auch für eine großartige Zusammenarbeit zwischen den an der Produktion beteiligten Menschen. Die persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema durch die Schauspielenden in einem Raum, in dem sie sicher vor äußerer Ablehnung und Objektivierung waren, war deutlich spürbar. Safer Spaces bei der kreativen Arbeit sind das A und O so einer Produktion – und von außen betrachtet, wurde ein solcher hier auch gelungen umgesetzt. »14.000 Kilo« bietet so ein niederschwelliges, humorvolles Herantasten an das Thema Mehrgewichtsdiskriminierung, die Betroffene wie Nicht-Betroffene nicht verpassen sollten.

»14.000 Kilo« (Bild: Ines Bacher)

»14.000 Kilo« feierte am 30. April 2025 im Kosmos Theater Premiere und ist dort noch bis 16. Mai 2025 zu sehen.

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