Toni Patzak hakt dort nach, wo es wehtut. Diesmal fragt sie sich, warum sich Gender manchmal wie Zuckerwatte anfühlt.

Ein queeres Leben wird nie langweilig. Da kommst du mit dreizehn, vierzehn Jahren drauf, dass du vielleicht doch nicht so ganz hetero bist. Dann kommt eine Zeit, in der du dir denkst: Scheiße, und was mach ich jetzt damit? Vielleicht folgt eine verwirrende und halb geheime erste Beziehung, aus der du mit dem Bewusstsein herauskommst, dass du in fact ganz sicher nicht hetero bist. Und dann denkst du dir erneut: Scheiße, und was mach ich jetzt damit?
Ein paar Jahre Selbstfindung später, nach der Erkenntnis, dass du nicht alleine mit dieser Frage bist, sondern Teil einer großen, diversen Community, stehst du am Ende da und kannst laut sagen: Ja, ich bin bi! Ja, ich liebe es! Ja, ich bin stolz darauf! Und was machst du dann damit? Naja, alles! Du bist on top of the game, schaust »The L Word«, hast eine neue Beziehung, die nicht verwirrend oder geheim ist, und alles schaut durch die Regenbogenbrille unfassbar gut aus. Und dann verknallst du dich eines Tages neu in eine Person, die aber nicht – wie die vorherigen Personen – eine Frau ist, jedoch auch kein Mann, sondern halt irgendwas dazwischen oder darüber hinaus. Und dann hast du zwei große Fragen. Erstens: Soll ich mein Branding jetzt auf pansexual umschreiben und für immer mindestens fünf Minuten meine Sexualität erklären müssen? »Ja, pan. Nein, nicht Pfannen, sondern Menschen. Ja, alle Menschen. Nein, nicht mit allen Menschen. Ja, egal, es ist so wie bi, nur ein bissi anders.« Zweitens: Wenn Gender keine Rolle mehr spielt, spielt Sexualität dann eine? Was heißt es, sich zu Männern und/oder Frauen hingezogen zu fühlen, wenn dir diese Begriffe an sich beim genaueren Hinschauen in den Händen zerfallen?
Und dann bist du Anfang zwanzig, stehst vor dem Scherbenhaufen deiner mühsam aufgebauten queeren Identität und blickst wieder einmal auf die Frage: Scheiße, und was mach ich jetzt damit?
Es gibt ein Video im Internet von einem Waschbären, der ganz stolz darauf ist, dass er – aus irgendeinem Grund – Zuckerwatte bekommen hat. Er ist so stolz auf seine Zuckerwatte, dass er sie waschen will, bevor er sie genießt. Ist ja quasi seine Berufsbezeichnung. Nur ist das – und hier zeigt sich, dass Zuckerwatte eindeutig nicht für Waschbären gemacht ist – natürlich der Tod für diese pinke, flauschige Zuckerwolke. Und so muss der Waschbär zuschauen, wie sie sich vor seinen Augen auflöst. Er versteht nicht ganz, wohin sie verschwunden ist – denn da war doch gerade noch etwas in seinen kleinen Händchen.
Plötzlich in der Genderkrise
Und auch wenn das jetzt ein wenig lang ist für eine verkürzende Metapher, fühlt sich das manchmal genauso an, wenn man nach einem langen Selbstfindungsprozess plötzlich vor dem Thema Gender steht. Bin ich eine Frau? Was heißt es überhaupt, eine Frau zu sein? Wie viel Frau bin ich, wenn niemand hinschaut? Bin ich wirklich eine Frau – oder weiß ich nur, dass ich kein Mann bin und dass mir deshalb keine andere Möglichkeit gegeben wurde, als eben das zweite Geschlecht zu nehmen, das unser binäres System zu bieten hat?
Wie wäre es, wenn ich keine Frau wäre – also wenn ich nie als eine sozialisiert worden wäre? Würde ich mit Anfang zwanzig trotzdem wählen, als Frau zu leben? Oder würde ich einfach desinteressiert abwinken und mir denken, dass es gar keinen Grund gibt, überhaupt etwas zu wählen, wenn man jeden Tag etwas anderes sein kann? Oder sich einfach gar keinen Kopf darum machen muss? Und anstatt, dass einem diese Freiheit erlauben würde, in der eigenen Community so zu leben, wie man eigentlich möchte, ist sie plötzlich unfassbar hemmend, weil man in ihr keine Selbstdefinition findet. Man kommt auf ganz komische Gedanken und hinterfragt plötzlich sogar das, was man als Kind schon wusste: dass man nicht hetero ist.
Wäre ich auch bi, wenn ich ein Mann wäre? Oder wäre ich dann hetero geblieben, weil es meiner Meinung nach mitunter schwieriger ist, als Mann bi zu sein als als Frau? Und wenn ich ab heute ein Mann wäre, wäre ich dann auf die gleiche Art bi wie bisher? Und dann beginnt der Strudel von vorne. Und all die Menschen im Internet, die so stolz und so klar sagen, »Ja, ich bin trans«, »Ja, ich bin nicht-binär« oder »Ja, ich bin einfach das, was ich bin«, scheinen so bewusst zu wissen, was das für sie heißt. Die kaufen sich Kleidung, die zu ihnen passt, geben sich einen Namen, den sie auch wirklich mögen, lösen sich von der Geschlechtsidentität, die nie zu ihnen gepasst hat, und wissen genau, was sie tun. Und man selbst schaut zu und fragt sich, ob man das auch so genau wissen sollte. Man denkt sich, ob es valide ist, aus Unsicherheit sein Gender zu hinterfragen, oder ob man solche Dinge einfach wissen sollte – à la »The queers who know, know, the queers who don’t, won’t«?
Mein Platz im Regenbogen
Und dann wacht man eines Tages auf und denkt sich: Scheiße, und was mach ich jetzt damit? Und plötzlich hat man eine Antwort: gar nix. Man macht gar nix damit. Man labelt das mit einem ganz großen Fragezeichen in seinem Kopf und denkt sich: Zwischen den vielen schönen Farben am Regenbogen und zwischen den vielen Buchstaben der zahlreichen Akronyme (siehe FLINTA* oder LGBTQIA*) stehe auch ich irgendwo. Ich, die nicht ganz weiß, ob sie jetzt bi, lesbisch oder gar keine Frau ist. Ich, die nicht weiß, ob das ein Leben lang so bleibt oder sich doch als Phase entpuppt. Ich, die sich trotzdem traut, das Leben einfach so zu leben und zu schauen, was weiter passiert. Und dann fragt man sich viele Dinge: was man heute zu Abend isst oder was man morgen Früh anzieht, zum Beispiel. Aber man fragt sich nicht mehr, was man damit macht. Weil man weiß, dass es okay ist, auch einmal nichts zu machen.
Toni Patzak organisiert diverse größere und kleinere Kulturevents, studiert Kultur- und Sozialanthropologie und setzt sich für die Aufarbeitung systematischer Diskriminierung ein – mit Fokus auf die Schwarze Community in Österreich.