Toni Patzak hakt dort nach, wo es wehtut. Heute erklärt sie, warum sie manchmal kein feministischer Girlboss ist – und warum das okay ist.

Der Begriff »Gaze« poppt aktuell meist auf, um zu beschreiben, wie eine Gruppe von Menschen von der gesellschaftlich hegemonialen Gruppe gesehen und medial dargestellt wird. Und wie dieses verzerrte Bild in der Folge das kollektive Gedächtnis aller Menschen prägt – gleich ob sie Teil der hegemonialen, der betroffenen oder irgendeiner anderen gesellschaftlichen Gruppe sind.
Der Male Gaze ist somit das feministische Konzept, das beschreibt, wie Männer Frauen nicht nur wahrnehmen, sondern eben auch darstellen, in Filmen, Büchern und Geschichten. Diese »women written by a man« sind meist übersexualisiert beschrieben, gutgläubig und den extrem attraktiven, aber missverstandenen Hauptcharakteren – die sicherlich überhaupt nichts mit den Autoren selbst zu tun haben – natürlich wohlwollend zugetan. Frauen sind in diesen Geschichten wandelnde Sammelbehälter für Adjektive und passive Verbkonstruktionen, in denen man sie »zu Wort kommen lässt«, anstatt dass sie sprechen. Sie können auch nicht einfach in den Raum gehen, sondern müssen mit ihren langen Beinen einen Raum betreten, der so runtergekühlt ist, dass man ihre Nippel durch ihre Kleider sieht.
Feministische Stirnfransen?
Ich als Feministin bin selbstverständlich für die Aufarbeitung des Male Gaze. Er steht für eine furchtbare Infantilisierung von Frauen oder weiblich gelesenen Personen, er ist geschmacklos … Aber irgendwie habe ich manchmal so eine kleine Stimme in meinem Kopf, die mir sagt, dass ich auch so beschrieben werden will. Ich will auch einmal die Sie sein, die es schafft, für dreißig Seiten nichts Wertvolles beizutragen und trotzdem im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Die Sie, die mit dezentem Make-up in der Früh aufwacht und durch ihre drapierten Stirnfransen in die Kamera schaut. Herrgott noch einmal, kann ich nicht die Sie sein, die mit den Beinen zuerst den Raum betritt und keinen Dialog bekommt?
Das mag sarkastisch rüberkommen, aber ich merke, dass ich zu einem gewissen Grad nach dieser Art, wahrgenommen zu werden, strebe. Wieso ist das so? Es kann ja nicht sein, dass ich eine sozialwissenschaftliche Definition eines feministischen Konzepts wiedergeben kann, ohne es zu googeln, aber mir trotzdem die unbequemere Hose anziehe, weil der Arsch darin geil aussieht und ich den Männaz gefallen will. Allein das zu schreiben, fällt mir schwer, weil ich ja eigentlich diejenige sein will, die sich nicht für den Male Gaze kleidet, sondern diejenige, die sich »for the gurls, the gays and the theys« dressed. Aber leider ist die Realität viel komplizierter, denn an denselben Tagen, an denen ich mich in die unangenehmen Jeans quetsche, denke ich mir in der U-Bahn: Oh Gott, ich will nicht von euren ekelhaften Blicken ausgezogen werden, mein Körper ist kein Laden, bei dem du Windowshopping betreiben kannst. Ein paar Stunden später überlege ich dann, mir die Augenbrauen abzurasieren, damit ich mich zwinge, mich mit meinem eigenen Schönheitsbild auseinanderzusetzen. Ein wenig habe ich mich da sogar schon rangetastet und sie neulich blondiert – hat aber leider extrem scharf ausgeschaut. Naja, egal.
Wie kann ich all diese Standpunkte in mir vereinen, ohne zu zerreißen? Bei solchen Gedanken erinnere ich mich gerne an die Szene in »Fleabag«, in der die männerkritische, von einer Frau geschriebene Hauptfigur mit ihrer Schwester bei einem feministischen Vortrag sitzt und die Vortragende die rhetorische Frage stellt, wer gerne Lebenszeit gegen ein paar Kilos weniger auf der Waage eintauschen würde. Der ganze Saal bleibt ruhig, während die Hände der beiden Schwestern hinaufschnellen. Im Anschluss fragt sich die Protagonistin, ob sie eine schlechte Feministin sei.
Nachdem ich letzten Sommer zugenommen hatte, wollte ich das machen, was ich zuvor immer gepredigt hatte: meinen Körper lieben, egal wie sehr er sich verändert. Body Neutrality zelebrieren und eins sein mit meiner Weiblichkeit. Ja … das funktionierte nicht. Ich schmiss alle meine Röcke weg und bekam eine komplette Krise. Irgendwie ist mir das rückblickend peinlich, weil ich eigentlich ein feministischer Girlboss sein will. Das ist aber in der Umsetzung komplizierter als in der Vorstellung. Ich bin ein Produkt des frauenfeindlichen Weltbildes, das mir meine Gesellschaft mitgegeben hat. Dagegen zu arbeiten, während man Selbstwertprobleme hat und die Wäsche aufhängen muss, kann überfordernd sein.
Romantisierte Feministin
Also: Wie weitermachen, wenn man merkt, man ist doch nicht die glänzende, aus dem Ei gepellte Feministin? Naja, ich denke, zunächst ist es einmal hilfreich zu verstehen, dass es diese Art von Feministin in Wirklichkeit gar nicht gibt: eine unbelastete Frau, die sich entgegen jeder gesellschaftlichen Erwartung niemals auf persönlicher Ebene hinterfragt und niemals kritisiert; eine, die mit den Büchern von Angela Davis und bell hooks unterm Arm als Erste in jeden Raum schreitet und keinen Dialog, sondern nur Reden hält; eine, die immer das Wort ergreift und nicht einfach spricht; eine, die immer Funktion und Bequemlichkeit vor Ästhetik in ihrer Kleidung bevorzugt; kurz gesagt: eine absolut romantisierte Version meiner Ansprüche an mich selbst.
Der feministische Kampf scheint mir nicht nur einer, der nach außen geht, auf die Umwelt bezogen ist. Genauso wichtig ist die interne Auseinandersetzung, die nicht mit Frustration und Selbstkritik gewonnen wird, sondern mit Geduld und Zuneigung sich selbst gegenüber. Vielleicht schaffe ich es irgendwann, die unbequemen Jeans im Schrank zu lassen. Aber bis dahin werden sie im Stapel meiner nicht aufgehängten Wäsche neben jenem meiner feministischen Bücher liegen.
Toni Patzak organisiert diverse größere und kleinere Kulturevents, studiert Kultur- und Sozialanthropologie und setzt sich für die Aufarbeitung systematischer Diskriminierung ein – mit Fokus auf die Schwarze Community in Österreich.