200 000 000 Euro soll das angeblich teuerste Spiel der Welt in der Entwicklung gekostet haben. »Grand Audio Theft 5« hat Freunde und Freundinnen von mir in den Weihnachtsferien in die Knie oder besser aufs Sofa gezwungen. Über den Ernst im Spiel und das Spiel beim Ernst machen.
Das Gegenteil des Spiels ist nicht der Ernst, sagt Sigmund Freud, sondern die Wirklichkeit. Wer sich daran erinnert, wie man als Kind bei »Mensch ärgere dich nicht« im Zorn die Figuren vom Brett gefegt hat oder bei einem wichtigen Fußballmatch abschweifende Bemerkungen in die Fachrunde wirft und dafür mit einer Bierdusche bedroht wird, weiß, dass man sich Spielen mit fanatischem Eifer widmen muss, damit man sie überhaupt genießen kann.
Der Philosoph Hans Georg Gadamer hat das Verhältnis von Spiel und Ernst pointiert: »Nicht der aus dem Spiel herausweisende Bezug auf den Ernst, sondern nur der Ernst beim Spiel lässt das Spiel ganz Spiel sein. Wer das Spiel nicht ernst nimmt, ist ein Spielverderber.«
Die Regeln des Spiels sind das Gegenteil von spielerisch, sondern unverrückbar. Sie definieren die Grenzen des magischen Zirkels, in dem das Spiel seine eigene Wirklichkeit gegen oder parallel zur sogenannten harten Realität behauptet. Wer sie überschreitet, sabotiert die Übereinkunft der Spieler und kann nicht so einfach zurück. Er wird zum Spielverderber. Nicht nur beim streng geregelten »Mensch ärgere dich nicht«, sondern auch in der spielerischen, als sozial subversiv geltenden Gegenwelt Fasching. Das Prinzip Karneval verträgt viel, nur nicht das Tabu, sich nicht zu verkleiden und also die temporäre Umwertung der Werte im Maskenspiel nicht mitzumachen.
24/7-Zocken
Realitätsverderber hingegen sind kaum vorstellbar. Denn die sogenannte Wirklichkeit muss Mittel und Wege ihrer eigener Distanzierung ohnehin immer schon bereitstellen, damit sie sich überhaupt als verbindliches Realitätsprinzip behaupten kann. Der graue Alltag ist ohne kleine Fluchten nicht vorstellbar: von der Zigarettenpause bis zum rituellen Freak-out im Urlaub, vom romantischen Dinner bis zur Sexorgie, vom Kino bis zum Computerspiel. Der moderne Eremit erlebt sein Update in der Figur des Spiele-Nerds. Der Nerd navigiert zwischen Kommunikationsverweigerung und Kommunikationssucht und sucht dort den Flow, der dem Leben in der nerdigen Zwischenwelt zwischen Überforderung und Unterforderung eine Richtung gibt.
Multiplayer-Killergames wie »World Of Warcraft« vernetzen die Internationale der Eskapisten. Geschätzte 15 Millionen Kriegsherren und -herrinnen weltweit sitzen oft lange Tage und Nächte vor dem Schirm und versuchen sich an den tausenden kleinen Missionen. Die Belohnung dafür, das virtuelle Geld in dieser Second World, heißt »Gold«. Dieses Gold wirkt auf die erste Welt zurück. In chinesischen Gefängnissen, berichtete der britische Guardian schon 2011, wurden Insassen dazu gezwungen, virtuelle Vermögen anzuhäufen. Das Gold wurde dann von den Wärtern um reales Geld zum Beispiel an brave Familienväter verkauft, damit diese mit ihren Kindern am Wochenende in der Welt des Kriegshandwerks reüssieren konnten.