Analoge Fotografien von vergangenen Urlauben, vergessenen Menschen und verlorenen Erinnerungsstücken wurden mit viel Liebe von den drei Kreativen gesammelt – über 100.000 Fotos um genau zu sein. Daraus sind jetzt zwei Bildbände entstanden …
Die Digitalisierung brachte eine neue Form von Kameras und Kameraequipment hervor. Speicherkarten, mit denen man beinahe unendlich viele Möglichkeiten hatte Momente festzuhalten; kleine portable Blitzgeräte die mit Batterien gesteuert wurden, Fernauslöser, Aufsätze, Laptops und Computer zur digitalen Bearbeitung der Fotos, Scanner und Drucker und weiß Gott noch wie viele andere Dinge.
Mit der Digitalisierung wurde die ehrliche und eigentliche Form der Fotografie beinahe völlig verdrängt: analoges Fotografieren. Ob Kleinbild, Mittelformat oder Großformat, man begab sich mit einer Kamera und ein paar Filmen mit begrenzten Aufnahmen ins Freie und hielt Menschen, Momente und Landschaften fest. In der Dunkelheit mit großer Sorgfalt wurde der Film dann herausgenommen, umgespult und mit sorgfältig angesetzter Chemie entwickelt. Im roten Licht der Dunkelkammer unter Lichtprojektoren auf lichtempfindlichen Papier wurden ausgewählte Bilder des Films vergrößert und mit chemischen Bädern entwickelt. Die Kunst der analogen Fotografie ist heutzutage nur noch wenigen Menschen bekannt. Umso schöner, dass der Hype um alles Alte-, Vintage- und Retro-Zeug zurückkehrt und immer mehr zur einfachen analogen- als zur überfunktionalen Digitalkamera greifen.
„Dieses Material vor dem Vergessen zu bewahren und auf eine künstlerisch-wissenschaftliche Art zu erforschen“, das ist die Idee von Orthochrome. Karl Ulbl, Claus Prokop und Roland Rust sind die drei kreativen Köpfe und Gründer von Orthochrome, das Archiv für analoge Alltagsfotografie. Mit Vorliebe für alte analoge Fotografien und dem Drang zum Sammeln dieser vergessenen Stücke, haben sich die Drei dazu entschieden, neben den beiden Pocket-Büchern auch Bildbände ihrer Sammlung herauszugeben.
„MOTIV FOTOGRAFinnen“ nennt sich das erste Bildband ihrer Sammlung, mit Texten von Daniel Wisser. Die Ambivalenz zwischen gleichzeitiger An- und Abwesenheit der Fotografierenden wird zum inhaltlichen Ausgangspunkt von Motiv und FotografInnen. In diesem Band findet sich eine spezielle Ansammlung von Aufnahmen, in denen die FotografIn, intendiert oder auch zufällig ins Bild gesetzt wird.
Frisch aus der Druckerei und gerade eben für das ViennaPhotoBookFestival wurde ihr zweiter Bildband: „CAT STATE“ fertig gestellt. Das neueste Exemplar ihrer Sammlung ist nach Schrödingers Katze benannt und besteht aus zwei diametral entgegengesetzten Bedingungen zugleich. Orthochrome fragt künstlerisch-konstruktiv, wie ein solcher „Katzen-Zustand“ aussehen könnte und was passiert, wenn ein sogenannter Fehler in einem Foto in das eigentliche Thema übergeht.
Wir haben den Begründern und Initiatoren des Archivs ein paar Fragen gestellt …
Welchen persönlichen Zugang habt ihr zu (analoger) Fotografie?
Wir sind alle mit analoger Fotografie aufgewachsen, ich überhaupt in einem Fotografen-Haushalt. Als Kind hatte ich zuerst eine Lucki und später eine Agfa Moto-Rapid C, einige Fotos, die ich damit fotografiert habe, sind auch in unseren Büchern. Später fotografierten wir natürlich auch mit professionellen Kameras wie einer Nikon F3. Allerdings gab es durch den professionellen Zugang zur Fotografie bei mir zu Hause eigentlich nichts, das man klassisch als Alltagsfotografie bezeichnet.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, Orthochrome zu gründen und mit welchem Ziel? Wann und wie entstand dann die Idee, ein Bildband zu machen?
Charles und ich haben unabhängig voneinander immer wieder am Flohmarkt Fotos gekauft. Wir haben uns bei einem Bier darüber unterhalten und beschlossen, daraus etwas zu machen, 2004 haben wir dann Orthochrome gegründet. Wir sammeln, archivieren und digitalisieren vorwiegend private Dias und Fotografien, die zum überwiegenden Teil aus den 1950er – 1970er Jahren stammen. Die Idee ist, dieses Material vor dem Vergessen zu bewahren und auf eine künstlerisch-wissenschaftliche Art zu erforschen. Ursprünglich stellten wir unsere Bestände KuratorInnen für historische Ausstellungen oder KünstlerInnen für Projekte zur Verfügung. Irgendwann haben wir beschlossen das Archiv nicht mehr öffentlich zugänglich zu betreiben und stattdessen eigene Projekte umzusetzen.
Welche Orte habt ihr für eure Sammlung besucht? Was sind die besten Orte dafür und nach welchen Kriterien wählt ihr die Fotos aus? Kann man euch auch einfach analoge Fotos zum Veröffentlichen zuschicken?
Die besten Orte, um Fotos zu finden, können wir leider nicht verraten. Wir sind natürlich permanent auf allen möglichen Flohmärkten, auch wenn wir auf Reisen sind. Ich habe auch schon Diasammlungen über Ebay aus den USA gekauft. Im Normalfall sind wir auf der Suche nach gesamten Foto-Nachlässen und kaufen so gut wie nie nur einzelne Fotografien. Manchmal kommen die Fotos aber auch zu uns. Direkt nachdem wir beschlossen hatten Orthochrome zu gründen, haben wir auf der Straße zufällig eine Diasammlung gefunden.
Uns interessiert nahezu alles an analogen Fotografien, vor allem Sammlungen in denen Menschen ihr alltägliches Leben dokumentiert haben. Wenn eine Sammlung nur aus Fotografien von Baudenkmälern besteht nehmen wir sie nicht.
Zur Zeit haben wir leider nicht die Kapazität einzelne Fotos, die wir bekommen zu veröffentlichen, wir übernehmen aber gerne gesamte Nachlässe, behandeln diese aber dann so wie jede andere Sammlung in unserem Archiv.
Was war die billigste und was die teuerste Fotografie, die ihr für eure Sammlung erstanden habt?
Wir kaufen nichts, das teuer ist, eher das wofür sich sonst niemand interessiert. Die Preise bewegen sich zwischen € 0,- für geschenktes oder gefundenes Material und € 50,- für eine Bananenkiste voll mit Dias.
Wie siehts mit den Urheberrechten und Copyrights der Fotografien aus? Habt ihr den Menschen gesagt, was ihr mit den Fotografien vorhabt als ihr die gekauft habt?
Wir sehen das, was wir tun, nicht als kommerzielle Verwertung. Wir suchen in den von uns archivierten Fotos nach künstlerisch-wissenschaftlichen Kriterien, wiederkehrenden Motive und Bildsprachen. Die Ergebnisse dieser Suche veröffentlichen wir dann in Form von Ausstellungen oder Büchern. Dies geht natürlich nicht, ohne die jeweiligen Fotografien zu zeigen. Der Großteil unserer Sammlungen sind komplette Nachlässe, die wir von Händlern erworben haben, die in keiner Beziehung zu den Fotografen stehen. Wir gehen aber davon aus, dass allfällige Nachfahren kein Interesse an den Bildern haben. Wir bekommen aber auch immer wieder Nachlässe geschenkt, weil die Erben wissen, dass das Material bei uns gut aufgehoben ist. Uns ist es ganz besonders wichtig abgebildete Personen in ihrer Würde nicht zu verletzen oder bloßzustellen.
Wie werden Fotografen in eurem Bildband inszeniert? Welche Motive sind in eurem ganzen Archiv am häufigsten vorhanden und was ist eure Lieblingsaufnahme (Archiv und/oder Bildband)?
Zum Großteil unserer Archivbestände haben wir keine Informationen, außer der Bilder selbst. Das Paradoxe ist, dass oft das gesamte Leben eines Menschen in Bildern dokumentiert ist, aber wir nicht wissen, wie der Fotograf aussah, weil es von ihm kein Foto gibt. Diesen Umstand wollten wir dokumentieren.
Wir haben versucht in den FotografInnen-Fotos Systematiken zu finden.
FotografInnen
• präsentieren sich selbst als Bildobjekt, sind Modell.
• fotografieren FotografInnen in Ausübung ihrer Tätigkeit.
• machen ein Selbstportrait im Spiegel, eine analoge Forme des Selfies.
• geraten selbst ins Bild, entweder als unbeabsichtigte Spiegelung oder als Schattenwurf.
• die ganz zufällig als Randfigur im Bild auftauchen.
Davon gibt es dann noch jede Menge Variationen und Untergruppen.
Die häufigsten Motive betreffen im weitesten Sinn Urlaub, vor allem Sommerurlaub mit dem Auto. Bei über 100.000 Fotos ist es natürlich nicht möglich ein wirkliches Lieblingsfoto zu haben. Es gibt natürlich Fotos, die uns mehr am Herzen liegen als andere, dies kann aber auch damit zu tun, dass eine besondere Geschichte dahinter steckt wie ein Foto seinen Weg in unser Archiv gefunden hat.
Wie sieht die Finanzierung dieses Projekts aus? Habt ihr Sponsoren und/oder freiwillige Helfer? Und wie viel Menschen stehen hinter diesem Projekt?
Karl Ulbl und ich, Claus Prokop, haben gemeinsam mit Roland Rust das Archiv gegründet. Roland ist mittlerweile – zumindest temporär – wieder ausgestiegen.
Bis jetzt finanzieren wir das Projekt großteils aus eigener Tasche und investieren vor allem jede Menge Arbeit. Wir haben aber immer wieder Freunde und Bekannte, die uns auf unterschiedlichste Art tatkräftig unterstützen. So hat Daniel Wisser zu unseren Fotos wunderbare Texte geschrieben, die Präsenz am ViennaPhotoBookFestival wurde zum Beispiel von der Hackl Moser OG, Steuerberatungsgesellschaft gesponsert.
Ihr wart auf dem „ViennaPhotoBook-Festival“ vertreten. Wie läuft die Zusammenarbeit in Wien generell? Wo kann man diese Fotos noch bestaunen außer im Bildband? Wird es eine weitere Ausstellung dazu geben?
Nachdem wir erst letztes Jahr damit begonnen haben, eigene Projekte umzusetzen, sind gewisse Dinge erst am Anfang. Wir hatten diesen Winter im Eikon-Schaufenster im MQ eine kleinere Ausstellung, und haben gerade unser neues Buch „Cat State“ fertig gestellt. Ich war dann vor allem über die positive Resonanz auf dem ViennaPhotoBook-Festival und darüber, wie viele Besucher das Projekt bereits kannten, sehr erfreut. Einiges ist in Planung, aber nichts davon so konkret, dass man darüber Genaueres verlautbaren könnte.
Mehr Informationen zu Orthochrome findet man hier, die Bildbände kann man hier erwerben.