Behinderung im Film: Gar nicht so »Simpel«

Zu wenig repräsentiert, zu sehr bemitleidet oder verharmlost, zu klischeehaft – die Darstellung von Behinderung im Film ist kein einfaches Thema. Wir haben uns einige Streifen, in denen Behinderung eine zentrale Rolle spielt, genauer angesehen und präsentieren euch mit dem am Freitag in den Kinos anlaufenden »Simpel« einen weiteren Film, der sich dieser Aufgabe stellt.

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Es ist immer etwas heikel, wenn marginalisierte Gruppen in Filmen dargestellt werden und ihre Lebensrealität im Fokus der Handlung steht. Letztendlich bleibt den Machern meist nur der Blick von außen. Zudem stellen Spielfilme ohnehin kein realitätsgetreues Bild der Wirklichkeit dar. Keine leichte Aufgabe für Filmemacher also, aber eine wichtige, wenn man bedenkt, dass gerade Personen, die nicht hundertprozentig der Norm entsprechen, viel zu selten im Film repräsentiert werden. Die amerikanische Studie »Inequality In 900 Popular Films« zeigt etwa, dass Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen extrem unterrepräsentiert sind, gleichzeitig wird auch die Art und Weise der Darstellung oft kritisiert.

#MeBeforeEuthanasia

Ein Beispiel hierfür ist der Film »Me Before You« aus dem Jahr 2016, im deutschsprachigen Raum besser bekannt als »Ein ganzes halbes Jahr«. Sehr kurz zusammengefasst geht es um Will, der nach einem Autounfall im Rollstuhl sitzt und über Sterbehilfe nachdenkt, sowie um dessen Beziehung mit seiner Pflegerin Louisa. Durch den täglichen Kontakt kommen sich die beiden näher. Als Louisa Will schließlich ihre Liebe gesteht, ist dieser zwar gerührt, möchte jedoch trotzdem sein Leben beenden, weil er es nicht erträgt für den Rest seines Lebens im Rollstuhl zu sitzen. Eben diese Storyline war es dann auch, die nach der Veröffentlichung des Films sehr viel Kritik hervorrief. Unter dem Hashtag #MeBeforeEuthanasia kam es zu einem Aufschrei, da der Film den Zusehern suggeriere, dass das Leben mit einer Behinderung nicht lebenswert sei.

Doch wenn Figuren mit Behinderung in den Medien eine Rolle spielen, wie sollen sie dargestellt werden? Volker Schönwiese von der Universität Innsbruck, der sich schon länger mit diesem Thema beschäftigt, plädiert etwa dafür, dass Behinderte generell in den Medien nicht mehr dafür verwendet werden dürfen, auf Not und Elend in der Welt zu verweisen. Als Negativbeispiel nennt er auch die Hilfskampagne »Licht ins Dunkel«, bei der diese Form der Darstellung immer noch praktiziert wird. An diesem Grundsatz sollten sich auch Filme orientieren, vor allem da es mit Blick auf die Vergangenheit inzwischen eine Vielzahl von verschiedenen Produktionen gibt, die sich des Themas annehmen und deren Darstellung das Bild einer breiten Bevölkerung prägt.

Wir haben einige Filme zusammengestellt, in denen das Thema geistige Behinderung eine zentrale Rolle spielt. Neben dem Inhalt gehen wir auch auf die Kritiken und die Darstellung ein.

»Simpel« (2017)

Am 10. November startet der deutsche Spielfilm »Simpel« von Regisseur Markus Goller, basierend auf dem gleichnamigen Jugendbuch, in den österreichischen Kinos. Der Film erzählt die Geschichte des unzertrennlichen Brüderpaars Ben (Frederick Lau) und Barnabas (David Kross). Zweiterer, genannt Simpel, ist in Folge von Komplikationen bei seiner Geburt geistig beeinträchtigt. Als die Mutter der beiden stirbt, soll Simpel in ein Heim gebracht werden – um das zu verhindern, flüchten die Geschwister Richtung Hamburg, um dort ihren seit 15 Jahren verschollenen Vater David (Devid Striesow) zu finden, der Ben mit seiner Unterschrift das Sorgerecht übertragen könnte. Auf ihrer Reise treffen die beiden Brüder auf die Medizinstudentin Aria (Emilia Schüle) und den Sanitäter Enzo (Axel Stein).

Der Film schafft es, dass Simpel beim Zuseher kein Mitleid erregt, viel mehr taucht man in ein Roadmovie mit gewissen Besonderheiten ein. Wichtig war den Machern vor allem, dass Behinderung nicht als Leid dargestellt wird, wie auch der Schauspieler David Kross in einem Interview mit der DPA betont: »Ich habe für mich auf jeden Fall gelernt, dass es behinderten Menschen nichts bringt, wenn man ihnen mit Mitleid begegnet. Wenn man ihnen dagegen auf Augenhöhe begegnet, dann bringt ihnen das mehr und einem selber auch, weil man dann auch von ihnen lernen kann.«

»Ich bin Sam« (2001)

Der Film handelt von Sam Dawson (Sean Penn), der sich auf dem geistigen Niveau eines Siebenjährigen befindet. Trotz allem erwarten er und seine Freundin ein Baby. Nach der Geburt von Lucy (Dakota Fanning) trennt sich die Mutter schlagartig von Sam. Dieser kümmert sich fortan gemeinsam mit Freunden um das Kind. Bei ihrem späteren Schulbesuch weigert sich das Mädchen zu lernen, weil es auf dem selben Niveau wie ihr Vater bleiben möchte. Das Jugendamt schaltet sich ein und Lucy kommt in ein Pflegeheim. Auf der Suche nach Rechtsbeistand stößt Sam auf die Anwältin Rita Harrison (Michelle Pfeiffer), die sich ohne Honorar für die Rechte von Sam einsetzt.

Im Film kommt besonders die spezielle Thematisierung von Behinderung à la Hollywood zum Tragen: Gerade wegen seiner Behinderung ist die Hauptfigur der Sympathieträger und Held – und eben menschlicher als die anderen Personen. Insgesamt stieß das Drama der Regisseurin Jessie Nelson auf gemischte Kritiken. Dies betraf vor allem die durchschaubare Geschichte und die Bedienung von platten Klischees.

»Ich bin Sam« © Metropolitan Film Export

»Adam – Eine Geschichte über zwei Fremde. Einer etwas merkwürdiger als der andere.« (2009)

Hauptprotagonist des Films ist Adam (Hugh Dancy), der am Asperger-Syndrom leidet und ständig gleiche Rituale wiederholt. Als Adams Vater stirbt, bleibt ihm nur einer von dessen alten Kriegskameraden als Bezugsperson – bis er seine neue Nachbarin Beth (Rose Byrne) kennenlernt … Trotz aller Unterschiede nähern sich die beiden langsam an.

Adam wird im Film meist als liebenswerte Person dargestellt, der es an Einfühlungsvermögen sowie Verständnis für Ironie und mitschwingende Untertöne mangelt, was zu zum Teil als witzig, zum Teil als klischeehaft wahrgenommenen Szenen führt. Genau daran scheiden sich die Meinungen vieler Kritiker.

»Adam – Eine Geschichte über zwei Fremde. Einer etwas merkwürdiger als der andere.« © Twentieth Century Fox France

»Rain Man« (1988)

Im Mittelpunkt des Films aus dem Jahr 1988 steht Charlie Babbitt (Tom Cruise), ein oberflächlicher und karrierefixierter Egoist. Als sein Vater, zu dem er jahrelang keinen Kontakt hatte, eines Tages stirbt, erfährt Charlie, dass er einen älteren Bruder namens Ray (Dustin Hoffman) hat. Dieser soll drei Millionen Dollar erben, während Charlie lediglich des Vaters Rosen sowie einen 49er-Buick abbekommt. Charlie wittert seine Chance, denn Ray lebt in einem Heim für psychisch Kranke und leidet an Autismus. Er steht unter der Obhut von Dr. Bruner (Gerald R. Molen), einem alten Freund des Vaters, der das Vermögen Rays nun treuhändisch verwalten soll und der Charlie nie über Ray informieren wollte. Charlie spekuliert: Wenn er Ray mitnimmt und Bruner unter Druck setzt, hätte er Chancen auf die Hälfte der Summe, und falls er die Vormundschaft für seinen Bruder bekommen würde, vielleicht auch auf das ganze Geld. Eine Reise beginnt, bei der sich die beiden unterschiedlichen Brüder Stück für Stück näherkommen.

Vorbild für den Film war der Austist Kim Peeks, mit dem Dustin Hoffmann vor Drehbeginn einige Zeit verbrachte. So ist es auch nicht besonders verwunderlich, dass die Darstellung der autistischen Hauptperson durchwegs gelobt wurde und Dustin Hoffmann dafür den Oscar als bester Hauptdarsteller erhielt. Das Lexikon des internationalen Films schreibt dazu: »Während die Geschichte recht langatmig und unkonzentriert entwickelt ist, weckt die Figur des Behinderten dank der ebenso sensiblen wie verblüffenden Darstellung Dustin Hoffmans in tragischen und komischen Situationen menschliches Interesse und Anteilnahme.«

»Rain Man« © United Artists

»Verrückt nach Paris« (2002)

Bei einem Ausflug ihres Behindertenheimes in Bremen machen sich Hilde, Philip und Karl aus dem Staub und fahren nach Köln. Dort erleben sie einige Abenteuer zwischen Dom und Bahnhofsmission. Als die drei Freunde am nächsten Tag den Zug nach Hause verpassen, starten sie kurzerhand in Richtung Paris. Ein Roadmovie über die Probleme Behinderter in der deutschen Gesellschaft.

Auch »Verrückt nach Paris« konnte viele Zuseher und Kritiker überzeugen. Gelobt wurde vor allem, dass die Bedürfnisse von behinderten Menschen sehr gut und frei von Mitleid dargestellt wurden.

»Verrückt nach Paris«

»Snow Cake – Der Geschmack von Schnee« (2006)

Alex Hughes (Alan Rickman) leidet unter dem Verlust seines Sohnes. Als er die junge Anhalterin Vivienne (Emily Hamdshire), die auf dem Weg zu ihrer Mutter Linda (Sigourney Weaver) ist, im Auto mitnimmt, kommt es zu einem Unfall. Vivienne stirbt. Alex, unschuldig und fast unverletzt, überbringt Viviennes Mutter Linda die schlechte Nachricht. Linda ist Autistin und nimmt diese irritierend gelassen auf. Alex zieht spontan bei Linda ein, um ihr zur Hand zu gehen und kommt ihrer Nachbarin Maggie (Carrie-Ann Moss) näher.

Grundsätzlich wurde der Film als sehr authentisch gesehen und auch dementsprechend positiv bewertet, der Schriftsteller und Filmemacher Axel Brauns, der selbst Autist ist, schreibt etwa: »Es ist ein gutes Drehbuch, es ist authentisch.« Die Süddeutsche Zeitung hingegen kritisierte, es werde ein »Liebenswerte-Marotten-Autismus« gezeigt.

»Snow Cake – Der Geschmack von Schnee« © Kinowelt

»Temple Grandin – Du gehst nicht allein« (2010)

Schon in jungem Alter wird bei Temple Grandin (Claire Danes) Autismus diagnostiziert. Ihre Mutter (Julia Ormond) versucht trotzdem, ihr Leben so normal wie möglich zu gestalten. Doch Temple leidet an Berührungsängsten und, als Folge dessen, unter Panikattacken. Eben dieses Wissen lässt sie später in ihre Studien als Verhaltensbiologin einfließen und revolutioniert so die Nutztierhaltung.

Insgesamt wurde der Film, der auf einer wahren Geschichte basiert, von vielen Kritikern als sehr positiv bewertet. Auch die »echte« Temple Grandin lobte die schauspielerische Leistung von Claire Danes.

»Temple Grandin – Du gehst nicht allein« © IMDB

»Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa« (1993)

In Endora, mitten in Iowa, gibt es weder Aufregung noch Abwechslung und die Jugend hat keine Ahnung, was sie mit ihrer Zeit anstellen soll. Gilbert Grape (Johnny Depp) ist einer der jungen Gefangenen dieser Einöde. Seine übergewichtige Mutter Bonnie (Darlene Cates) vegetiert seit dem Tod ihres Mannes auf dem Fernsehsofa dahin. Seit Jahren hat sie das abgelegene Haus der Familie nicht verlassen. Es bleibt Gilbert überlassen, sich um seinen geistig behinderten Bruder Arnie (Leonardo DiCaprio) zu kümmern, der ihn mit allwöchentlichen Versuchen, auf den Wasserturm zu klettern, auf Trab hält und für ein wenig Aufregung in der sonst so schläfrigen Ortschaft sorgt. Doch vieles ändert sich, als plötzlich die interessante und abenteuerlustige Streunerin Becky (Juliette Lewis) in Gilberts Leben tritt.

Die Kritiken zum Film waren fast ausschließlich positiv. Die Darstellung des geistig behinderten Arnie durch Leonardo DiCaprio bescherte dem damals noch jungen Schauspieler viel Zuspruch und eine Oscar-Nominierung. Filmstarts diesbezüglich in seiner Kritik: »Gemeinsam gelingt den Beteiligten dabei ein unaufdringliches Plädoyer für die Gleichstellung und Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen, die in der sozialen Wirklichkeit allzu oft als Sonderlinge abgetan und ausgegrenzt werden.«

»Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa« © Paramount

»Simpel« läuft am 10. November 2017 in den österreichischen Kinos an.

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