»Die eigene Stimme hat Gewicht« – Katharina Rabl im Interview zu »Ich kann jeder sagen, aber wer sagt Wir?«

Ein Klassenraum wird zum kleinen Sitzungssaal, während das österreichische Parlaments­gebäude renoviert wird und die Corona­pandemie wütet. Katharina Rabl hat einen klugen Kurz­dokumentarfilm über die ständige Baustelle Demokratie gedreht. »Ich kann jeder sagen, aber wer sagt Wir?« ist neu in der Cinema Next Series kostenfrei zu streamen. Wir haben die Filmemacherin zum Interview gebeten.

© Caroline Spreitzenbart — Filmstill aus »Ich kann jeder sagen, aber wer sagt Wir?«

»Ich kann jeder sagen, aber wer sagt Wir?« ist die nächste Veröffentlichung in der Cinema Next Series, die regelmäßig auf der Streaming­plattform Kino VOD Club kostenlos spannende Filme von heimischen Filmtalenten präsentiert.

In deinen eigenen Worten: Worum geht es in »Ich kann jeder sagen, aber wer sagt Wir?«?

Katharina Rabl: Es ist ein Film über Eigennutz und Solidarität. Über Gemeinschaft und ihre Abwesenheit. Vor allem aber über die »demokratische Idee« und darüber, welche Mühen aufgebracht werden müssen, damit diese sowohl erlernt wird als auch erhalten bleiben kann.

Eine Schulklasse spielt während der Corona­pandemie im »Klassenrat« demokratische Prozesse durch. Wie kam es dazu, dass du das mitgefilmt hast?

Der Film ist noch im Rahmen meines Filmstudiums in München entstanden. Auf den ersten Blick ist es ja ganz überschaubar: zwei Ebenen, zwei Drehorte – was kann da schon passieren? Der Weg dahin war aber tatsächlich ziemlich kräftezehrend. Ich hatte ursprünglich ein anderes Projekt geplant, das schon sehr weit fortgeschritten war und letztlich wegen der Pandemie und zu vielen Risiken abgesagt werden musste.

Ich wollte trotzdem die aufgestaute Energie nutzen und weiterarbeiten. Somit plante ich kurzerhand ein längeres Dokumentar­film­projekt zum Thema Demokratie, das wir dann auch wiederum wegen zu viel Covid-Einschränkungen verkleinern mussten. Caroline Spreitzenbart, die Kamerafrau des Films, ist irgendwann kurz vor Weihnachten nur mehr ganz allein mit einer Kamera in einer Restaurierungs­werkstatt in Wien gestanden und hat ein paar Attikafiguren des Parlaments­gebäudes gefilmt. Ohne mich, weil ich damals nur schwer über die Grenze konnte. Am Ende waren da nur noch die Parlaments­baustelle und wir übrig. Zugleich hatte mir meine Schwester, die Lehrerin im Film, von ihren partizipativen Lernmethoden während ihres Geschichte­unterrichts erzählt. Ich hatte den Eindruck, dass es spannend wäre, das Erproben eines demokratischen Klassenrates, also etwas ganz Lebendiges, mit diesem alten, behäbigen Gebäude in Verbindung zu setzen, und habe sie dann gefragt, ob wir gemeinsam mit ihr und ihrer Klasse an einem Filmprojekt arbeiten können.

Demokratieübung in der Schule: eine Schülerin beim Klassenrat (Filmstill aus »Ich kann jeder sagen, aber wer sagt Wir?« © Caroline Spreitzenbart)

Im Film stellst du diese Versuchs­anordnung in die Kontexte der Parlaments­renovierung, die du in Bildern zeigst, sowie der Corona­pandemie, die du aus der Sicht eines Kindes erzählen lässt. Warum?

Ich hatte das Parlamentsgebäude immer als die Kulisse und das Klassenzimmer und seine Jugendlichen als mögliches Innenleben und Substanz dieses Ortes gesehen. Ich wollte den Ablauf eines basis­demokratischen Prozesses auf möglichst einfache, herunter­gebrochene Art und Weise zeigen, um seine Mechanismen offenzulegen und um darin auch möglicherweise auf kleinster Ebene zu einer Analogie zu finden, wie anstrengend und komplex solche Prozesse auch im Großen sein können.

Die Coronapandemie ist uns nicht nur visuell, sondern auch inhaltlich etwas in die Quere gekommen. Die Klasse ist während des Drehs in zwei Gruppen aufgeteilt worden. Dadurch hat aber eine noch stärkere Entsolidarisierung der einen Gruppe von der anderen stattgefunden. Was vorher zusammen war, war sich plötzlich fremd. Im Schnitt fanden wir dies dann die stärkste Entwicklung und haben uns dafür entschieden, dieses Sich-gegenseitig-Abhandenkommen durch einen »inneren« Monolog eines Kindes zu unterstützen. Wir sind sehr spielerisch mit den Erzählelementen umgegangen, haben gemeinsam mit meiner Schwester die Jugendlichen Briefe an ihr zukünftiges Ich schreiben lassen. Das hat geholfen, um auch ein Verständnis dafür zu bekommen, wie es den Jugendlichen in dieser Situation ging, und war zugleich für das Thema Demokratie interessant, weil die Briefe Wünsche und Sehnsüchte offenlegten, die noch in der fernen Zukunft lagen.

Baustelle Parlament (Filmstill aus »Ich kann jeder sagen, aber wer sagt Wir?« © Caroline Spreitzenbart)

Die Kinder im Film sind unter 16 Jahre alt, also im noch nicht wahlfähigen Alter. Hattest du das Gefühl, die Kinder haben das politische Wesen ihrer Versuchs­anordnung schon verstanden oder war es doch mehr Spiel als »erwachsene« Politik?

Ja, die Jugendlichen sind 13 bis 14 Jahre alt. Von außen betrachtet hatte ich schon den Eindruck, dass durch viel Reflexion und Kontextualisierung im Geschichte­unterricht das Prinzip des Klassenrates verstanden wurde. Gleichzeitig fand dies in einem strikten hierarchischen Schulsystem statt. Was passiert, wenn der Klassenrat sich endlich darauf einigt, einen Minikühlschrank anzuschaffen, es dann aber daran scheitert, dass die Schulleitung diesen aus Brandschutzgründen nicht genehmigen kann? In solchen Momenten stößt man schnell an die Grenzen dieses Übungsfeldes. Zudem herrschte wegen der Pandemie totaler Ausnahmezustand im Klassenzimmer und es war unklar, ob die Klassen­gemeinschaft vor ihrem Abschluss und dem Schulende wieder vereint sein würde. Trotz all dieser Widrigkeiten glaube ich, dass die Erfahrung wichtig war: Die eigene Stimme hat Gewicht, es ist erlaubt, sich etwas zu wünschen und mutig zu sein, und durch Verhandlung und Überzeugung kann man auch gemeinsam etwas bewegen. Dass es einem nicht egal wird, das ist wichtig.

2021 haben wir bereits einen anderen Film von dir (und deiner Ko-Regisseurin Rebecca Zehr) in der Cinema Next Series veröffentlicht, »Dead Sea Dying«, einen poetischen Dokumentarfilm über das Tote Meer. Was interessiert dich als Filmemacherin, als Dokumentarfilmerin? Welchen Themen gehst du nach?

Ganz allgemein bemerke ich oft, dass ich Interesse habe, einen neuen Blick auf gewohnte Narrative zu werfen. Meist sind es Orte, Menschen oder Erzählungen von Personen, die mich faszinieren und umtreiben. Auch große Umbrüche oder Risse in Biografien oder Weggabelungen und Situationen, in denen verhandelt werden muss, wie es weitergeht. Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn es mich länger umtreibt, dann habe ich auch wirklich Lust, »dahinter­zukommen«. Wenn dann klar wird, dass aus einer Idee ein Film wird, mache ich mich auf die Suche nach der Form, nach dem passenden filmischen Erzählmittel, der geeigneten Übersetzung.

Arbeitest du konkret an einem neuen Projekt?

Ja, das ist alles gerade sehr aufregend. Ich arbeite zurzeit an meinem ersten Langfilm­projekt, es wird mein Abschlussfilm an der Filmhochschule in München und zugleich mein Spielfilmdebüt sein. Das Projekt ist gerade noch in der Entwicklung, aber letztendlich ein Stoff, der mich seit Jahren beschäftigt. Es geht um eine junge Frau, die etwas erbt, das sich als Bürde herausstellt und einen Umgang damit finden muss. Daraus wird dann hoffentlich irgendwann ein Kinofilm – wenn man sich das wünschen darf, wo wir schon beim Thema sind.

Katharina Rabl, Jahrgang 1993, studierte zunächst Germanistik an der Universität Wien, bevor sie 2016 mit dem Studium Dokumentarfilmregie an der HFF – Hochschule für Fernsehen und Film München begann. Für ihren Kurzfilm »Dead Sea Dying«, den sie gemeinsam mit Ko-Regisseurin Rebecca Zehr realisierte, gewann sie 2020 den Preis der deutschen Filmkritik. Derzeit arbeitet Katharina an ihrem Abschlussfilm, der gleichzeitig ihr erster Lang- und Spielfilm sein wird. Im Video nennt sie Filmemacherinnen wie Alice Rohrwacher oder Céline Sciamma als ihre filmischen Inspirationen.

Eine Interview-Reihe in Kooperation mit Cinema Next – Junger Film aus Österreich.

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