„Die wirklichen Heldinnen hier sind Gabi und Elisabeth“ – Bendl-Betreiber Jürgen Bauer im Interview

Bierdeckel schwirren durch die Luft. Aus Würfelzucker, Kaffeebohnen und Schnaps wird Koks. Der Wurlitzer schmettert unermüdlich vor sich hin. Das Café Bendl ist Legende und Betreiber Jürgen Bauer der Bewahrer eines Stücks Beislgeschichte.

© Katharina Jauk

Sie haben ja ursprünglich Techno-Clubbings in Wien organisiert … 

Ich bin eigentlich Eventgastro-Spezialist. Ich habe früher große Techno-Clubbings im Gasometer organisiert. Technopartys waren meine Welt. Alles was Rang und Namen hatte, war bei mir. Das war eine schöne, aber sehr anstrengende Zeit. Im Vergleich zum Kaffeehaus war das richtiges Business. Da heißt es: Alle feiern Party, nur ich bleibe bis acht Uhr in der Früh nüchtern.
Ich hab später mit einem Partner das Lokal Die Liebe in der Marktwirtschaft eröffnet, das dann grandios gescheitert ist, und habe durch Zufall das Café Bendl auf Willhaben entdeckt. Mich hat nicht gewundert, dass es zum Verkauf stand, weil es niemand wirklich verstanden hat. Der frühere Besitzer Watzek war in den 70ern Jockey und hat das Lokal vom ursprünglichen Namensgeber, dem Herrn Bendl, gekauft. Nach 30 Jahren musste Watzek es verkaufen, weil er so ein starker Raucher war. Mit ihm habe ich lange über den Preis verhandelt, weil das Lokal vor allem im Sommer immer leer war. Nach langem Hin und Her habe ich es dann im März 2016 gekauft und mir vorgenommen, ein Jahr lang gar nichts zu verändern. Ich hab das Lokal quasi nur beobachtet.

Wenn ich hier drinnen sitze, habe ich das Gefühl, das Lokal ist wie ein Organismus, der seit 1886 so besteht.

Ja. Das Innere ist tatsächlich komplett durch den Zigarettenrauch patiniert. Ich versuche diesen Spagat hinzubekommen und das Lokal einerseits zu erhalten, andererseits muss man im Hintergrund aber ein paar Dinge in Schuss bringen. Ein paar Kleinigkeiten wie die Kühlanlage müssen jetzt neu gemacht werden. Aber alles im Sinne des Lokals.

Aber das Lokal an sich sieht heute so aus, wie es damals eröffnet wurde?

Es sieht schätzungsweise seit den 30er Jahren so aus. Ich kann mir schon vorstellen, dass einige Veränderungen angedacht wurden, aber die sind nicht dokumentiert.

© Katharina Jauk

Wie lange gibt es den Wurlitzer mit seiner Musikauswahl schon?

Seit 30 Jahren. Der Herr Watzek hat den Wurlitzer eingeführt und ich habe das so übernommen. Es sind 50 Platten drinnen, die man auch herausnehmen kann. Es gibt für alles einen Spezialisten. Ich habe einen rumänischen Ingenieur, der die alte Faema-Kaffeemaschine serviciert, und jemanden aus Niederösterreich, der den Wurlitzer betreut.

Wie ist der Ritus des Bierdeckelwerfens entstanden?

Das kann ich leider nicht sagen. Da müsste man die Gabi fragen. Es darf nur in diesem Raum geworfen werden und die zwei Damen, die hier arbeiten, passen auch höllisch darauf auf, dass das so eingehalten wird.

Und sollte man die Kellnerin treffen, muss eine Barrunde ausgegeben werden?

Wahrscheinlich. (lacht) Gabi und Elisabeth, die haben das fest im Griff.

Ihr müsst ja auch einen unglaublichen Verschleiß an Bierdeckeln haben.

Ja, das haben wir. Gott sei Dank wissen das unsere Bierfirmen und wir kriegen einfach laufend welche zugeliefert. Ich kann nicht sagen, wie viele es sind. Ich weiß es wirklich nicht. Mal krieg ich einen großen Stapel, mal einen kleineren. Wie man sieht, da oben in der Wand bleiben immer welche stecken, die muss man dann herunter holen.

© Katharina Jauk

Eure Zielgruppe ist sehr divers. Es gibt Studenten, politisch links Gesinnte, aber auch Burschenschafter. Einmal habe ich die Ursula Stenzel hier gesehen, dann auch mal die Neos-Gefolgschaft. Wie funktioniert das? 

Das liegt daran, dass der Wiener an sich subversiv ist. Dieses Subversiv-Sein als Untertan wirkt unter der politischen Gesinnung nach außen. Dadurch entsteht ein solidarisches Unterbewusstsein. Da trinkt man zusammen und alle Differenzen lösen sich auf. Ich glaube, der Herr Watzek hat auch jahrelang darauf geachtet, dass es hier friedlich zugeht. Trinken und diskutieren okay, aber streiten bitte draußen. Es funktioniert und die Damen achten sehr drauf.
Mich selbst langweilt die Burschenschafter-Sache eher, als dass sie mich verärgert. Wir halten es im Prinzip neutral, aber es gibt die Regel: Alles, was Uniform anhat, wird nicht bedient. Das gibt es nicht. Wir sind kein Vereinslokal. Aber wenn man ganz normal kommt, kriegt jeder was.

Wo sitzen denn die „Kokstrinker“? Das Bendl ist ja bekannt für das „besondere“ Stamperl Stroh 80 mit Würfelzucker und Kaffeebohnen.

Die sitzen eher im hinteren Bereich, wo es eher studentisch zugeht. Unser Lokal hat auch sehr hohe Beliebtheit bei ausländischen Studenten: Amerikaner, Engländer, Iren und ein hoher Anteil an Deutschen, die das total cool finden. Vorne sitzen die Kampftrinker. Für einen richtig festen Trinker ist das Koks auch nichts, das kann man nicht saufen. Die trinken eher Jägermeister oder Fernet-Branca.

Wie schwierig ist es, mit den Kampftrinkern umzugehen? 

Ich denke, da gehört auf jeden Fall etwas Affirmatives dazu, wenn man hier arbeitet und die Leute spüren auch, dass das so ist. Ich habe hier noch keinen einzigen Vorfall gehabt, seitdem ich da bin. Ich bin zwar der Chef, aber wir sind hier ganz familiär – von der Putzfrau bis zum Servicepersonal. Ich ordne mich dem ganzen über, stülpe aber nichts von mir selbst hier hinein. Es muss einem gutgehen hier und es ist hart genug, hier zu arbeiten. Ich krieg’ das ja manchmal mit. Freitag oder Samstag, da gehen die letzten um 6 oder 7 Uhr nachhause, das ist schon ein Wahnsinn. Meine größte Hochachtung vor den Kellnerinnen. Das sind echt gestandene Frauen. Die wirklichen Heldinnen hier sind Gabi und Elisabeth.

© Katharina Jauk

Das Café Bendl ohne Raucherbereich – ein unvorstellbarer Zustand, der sich 2018 mit dem Rauchverbot in der Gastronomie bewahrheiten könnte. Wie wird sich das neue Gesetz auf das Lokal auswirken?

Das weiß ich nicht. Wenn es für alle gilt, sollte es funktionieren. Ich bin natürlich gespalten und habe verschiedene Möglichkeiten, hier Raucherbereiche zu machen. Hinten im Freien, im Hof zum Beispiel. Es gibt den ganzjährigen Gastgarten, da darf man auch draußen konsumieren. Es kann aber auch sein, dass ich dadurch ein neues Publikum bekomme: die Nichtraucher. Ich selbst rauche heute nicht mehr, ich bin Yogalehrer. (lacht) Früher habe ich schon sehr viel geraucht. Manchmal gleichzeitig eine Zigarre für den Geschmack und eine Zigarette zum Inhalieren. Rauchen war meine totale Leidenschaft. Aber irgendwann geht das einfach nicht mehr. Rauchen ist eines dieser wirklich blöden Dinge, die körperlich schwere Schäden verursachen. Das Trinken geht noch irgendwie.

Versuchen wir noch einmal das Geheimnis zu lüften. Was macht den Reiz des Café Bendl aus?

Es gibt eines, was hier extrem stark wirkt, und das sind diese drei Stufen, die man hinuntergeht, bevor man hineinkommt. Das ist wirklich der Gang ins Unterbewusste. Ich bin hier schon mit meiner Yogakollegin Anne aus Berlin gesessen. Nach zehn Minuten bestellt sie schon ihr erstes Bier. Zwei Stunden später gehen wir vollkommen betrunken raus. Sie raucht, trinkt und fühlt sich total wohl. Das steckt hier drinnen. Ich geh mit Leuten, die normalerweise nicht viel trinken, hierher. Die schauen sich um und sagen: „Da trinken wir jetzt mal ein Bier.“ Es ist unglaublich. Das Trinken ergibt sich hier von ganz allein. Diese drei Stufen wirken einfach.

© Katharina Jauk

Das Café Bendl hat übrigens sowohl eine Facebook-Seite als auch eine Homepage. Und wir haben hier auch schon mal eine Ode an das Bendl aus Tripadvisor-Bewertungen geschrieben.

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