Dominiks Musikjahrzehnt

Am Ende dieser langen Dekade der 2010er Jahre haben wir unsere Redaktion gebeten, ihre Top-Alben und Top-Songs der letzten zehn Jahre zu präsentieren. Das ist bei Dominik dabei rausgekommen.

© Michaela Pichler

Die 10 besten Alben der 10er Jahre

Die Sechziger, Siebziger, Achtziger, ja sogar die hässlichen Neunziger hatten zumindest etwas, das mit den Nullern, aber auch erst so richtig mit den Zehnern verloren ging: Einzigartigkeit. Die Zehner, in der Nachbetrachtung ein graues Jahrzehnt mit Turbokapitalismus, Turborechtsextremismus und Turboseximsus, hatten genau: Nur Beschissenes. Also im gesamtgesellschaftlichen Sinne. Persönlich, puh, ganz andere Geschichte. Diese Alben und Songs erzählen sie zumindest mit.

Platz 10: Christiane Rösinger – »Songs of L. and Hate« (2010)

Die Grande Dame des deutschen Indiepops führt bei ihrem ersten Solo-Album – wobei man auch sehr intensiv dem Andi Spechtl, es wird nicht das letzte Mal auf dieser Liste bleiben, zuhören kann – das weiter, was sie mit den Lassie Singers in den Neunzigern oder mit Britta in den Nullern schon begonnen hat: Auf nur 10 Stücken dekliniert sie das Wesen moderner GroßstädterInnen, vorzugsweise natürlich aus pessimistischer Sicht: Ob sie nun die »Technoleichen, die zur Afterhour schleichen« (»Berlin«) verfllucht oder mit »Benno Führmann in Afghanistan« herumturnt – man hört ihr wahnsinnig gerne zu, ergötzt sich an den sehr prominenten Anspielungen an Cohen und Dylan und weiß, dass man hier eine großartige Ansammlung an verquerer Popmusik auf den Plattenteller gelegt hat.

Platz 9: Kreisky – »Blitz« (2018)

Das größte Werk einer der aktuell wichtigsten österreichischen Bands: Kreisky. Wenngleich auch die anderen Alben des Jahrzehnts »Trouble« und »Blick auf die Alpen« hervorragend sind, ist doch der jüngste Wurf »Blitz« das bisherige Magnum Opus der Wiener/ Oberösterreicher. Selten waren Texte so scharf akzentuiert, die Gitarren so unglaublich schnittig und, ja, selten hat es sich so gelohnt, sich durch Sperriges zu kämpfen, um gar kathartische Momente der Offenbarung in einem zu erleben. Vom brennenden Schilift im Anti-Heimatlied »Saalbach-Hinterglemm« über das Mansplaining in »Autokauf ist Männersache« bis hin zur fadenscheinigen Geilheit auf gewisse Werte in gewissen Kreisen: »180 Gramm Vinyl – ich spritz ab« (aus »Mon General«). Kreisky halten einer zerklüfteten Gesellschaft den Spiegel vor – und das machen sie wahnsinnig eindrucksvoll.

Platz 8: Dagobert – »Afrika« (2015)

Mit ein Genre, das vor allem meine späten Zehnerjahre geprägt hat: Avantgardistischer Schlager. Und niemand hat dies so perfektioniert wie der gute Schweizer Dagobert. Auch das selbstbetitelte  und noch deutlich reduziertere Debüt ist es wert, für diese Liste bedacht zu werden, aber das zweite Album »Afrika« ist für mich persönlich das Highlight seines Schaffens, das die Transformation vom Kneipenmusiker zum Popstar zwar nicht abschließt, aber zumindest einleitet. Mit wunderbaren Stücken wie dem epochalen und auch hier inhaltlich sehr passenden Klassiker der Melancholie namens »Zehn Jahre«, aber auch mit »Angeln gehen«, »Moonlight Bay« oder dem Titel-Song wird die Emotionsklaviatur zwischen Tief und Hoch so exzellent bespielt, wie es nur wenige Künstler in diesem Jahrzehnt hätten schaffen können. Ein Glück, dass dieser Mann aus der gewählten Einsamkeit der Berge hinabgestiegen ist, um uns zu retten.

Platz 7: Voodoo Jürgens – »Ansa Woar« (2016)

Auf »Ansa Woar« hat man gefühlt ewig gewartet. Nicht nur, dass der Voodoo mit seinen Stücken schon eine Weile durch Wien getingelt ist, auch weil es endlich wieder ein Album gab, das so wirklich alle gebraucht haben. Direkt auf der Eins in Österreich eingestiegen, ist aus dem David Öllerer dann ein Star geworden. Hat er sich auch verdient: »Ansa Woar« ist womöglich das konsensträchtigste Album des Jahrzehnts in Österreich, das findet einfach ein jeder gut. Vom hypnotischen und karnevalistischen »Heite grob ma Tote aus« und dem kultigen »Gitti« mit der Schöbinger Evelyn bis hin zum vielleicht ehrlich-nostalgischsten Song überhaupt: »Tulln«. Dazwischen gibt’s auch reichlich Wiener Schmäh wie die »3 Geschichten ausn Café Fesch«. »Ansa Woar« ist ein pures Stück Musik, eines, das so viele komplett auswendig kennen werden und eines, das zurecht ganz neu im Kanon der österreichischen Musikgeschichte geführt werden muss.

Platz 6: Love A – »Jagd und Hund« (2015)

Musik für das Dagegensein im digitalen Zeitalter: Das dritte Album der Trierer Love A ist feinster Indie-Punk-Rock für alljene, die keinen Bock auf die Oberflächlichkeiten der Internet-Nulpen haben: »Auf meinem Jutebeutel steht ›Verpiss dich Adolf!‹, auf deinem: ›Hey Ho, Let’s Go!‹« ist nur eine Zeile, »Alles wurde schneller und alles wurde mehr / Und am neunten Tag erschlug Steve Jobs die Liebe«, eine zweite. Klar ist: Selten und eigentlich im gesamten Jahrzehnt ansonsten ungehört war Kritik so In-die-Fresse der eigenen Blase, die man sowieso am liebsten platzen lassen möchte, weil man es nicht mehr aushält. »Jagd und Hund« ist quasi das Album für die, die den ganzen Müll der Szene-Leute schon 2015 nicht mehr hören konnten. Zum Glück trifft man jene Phrasendrescher der Oberflächlichkeiten nicht mehr in der so genannten und mittlerweile aufgelösten »Indie-Szene«, sondern eh nur mehr am Kunstmarkt. Oder – natürlich: im Internet.

Platz 5: Die Heiterkeit – »Monterey« (2014)

Mir ist egal, was die anderen sagen. Die meisten meinen nämlich »Pop & Tod I&II« sei das definitive Album der Gruppe Die Heiterkeit, auch »Herz aus Gold« wird in dem Zusammenhang gerne genannt. Welch Frevel! Alleine eine Auswahl der Stücke auf dem Pferde-Album »Monterey« sollte schon für sich sprechen und das Album für alle zum Magnum Opus von Stella Sommer erklären: »Factory«, »Kalifornien«, »Daddy’s Girl«, »Wohin gehst du, Cary Grant« oder »Pauken und Trompeten« sind Lieder für eine ganze Generation an TexterInnen und MelancholikerInnen. Der sonore Gesang, diese transportierte Sehnsucht nach der Großartigkeit im Banalen, die Reduktion auf das Wesentliche in der Instrumentierung. Unvergessen auch, wie Hendrik Otremba himself beim Konzert in Berlin in der ersten Reihe seine Fäuste zu »Pauken und Trompeten« reckt. Unvergessen auch der letzte Besuch in der alten Heimat, zum letzten Mal am elterlichen Balkon an einem Novembertag mit dem Satz im Ohr: »Es ist so warm in Kalifornien«.

Platz 4: Der Nino aus Wien – »Bäume« (2014)

Der schönste Mann von Wien kann einfach alles. Viele mögen ja den poppigen Nino aus Wien, den man in den 10ern kennenlernen durfte, den »Praterlied«-Nino, den »Urwerk«-Nino, ich bevorzuge stets den ruhigen Nino, den Dylan-Nino. Während ersterer auf »Träume« zugegen ist, ist das Schwesternalbum »Bäume« die Quintessenz des Songwriters. Unsterbliche Texte und Lieder wie das unfassbare Titellied, vielleicht das schönste Liebeslied des Jahrzehnts, das voller ewiger Zitate nur so strotzt: »Wir vergessen unsere Jacken, Taschen, Handys, aber niemals unseren Film« oder »Dieses alte Kaffeehaus ist tausend sinnvolle Stunden und über fünf verschiedene Themen, die uns interessieren«. Und so geht es eigentlich das ganze Album über: »Davids Schlafplatz«, »Instrumental«, »2004«, »Jena« oder »Wiener Melange« sind Elegien der Sehnsucht und einfach perfektes Songwriting, eine absolute Großtat der österreichischen Musikgeschichte.

Platz 3: La Dispute – »Wildlife« (2011)

Würde man diesen großen Monolithen des Post-Hardcores mit nur einem Wort beschreiben, es wäre womöglich »intensiv«. Wahnsinnig dichtes Storytelling, gar genial-virtuoses Gitarrenspiel und diese Stimme, die Mark und Bein durchdrängt. In Europa zuerst nur als Magazin-Beilage erschienen, zieht dich »Wildlife« in diesen Bann, den du nicht mehr entkommst. Die extrem konzentriert verpackten und fast verzweifelten Lyrics – wer brauch schon Refrains? – über Waffengewalt, Amokläufe und generell die Entfremdung von Mensch und Menschlichkeit sind von gar überfordernder Beklommenheit, das desperate »Can I Still Get Into Heaven If I Kill Myself« aus dem Kernstück »King Park« hallt für Generationen nach. Es ist auf dieser Liste das inhaltlich geschlossenste Album, das am besten in einem Stück gehört werden muss, es warten zahlreiche Highlights, deren einzelne Nennung sämtliche Rahmen sprengen würde, nur: Wie gut ist bitte »Safer in the Forest / Love Song for Poor Michigan«?

Platz 2: Paul Plut – »Lieder vom Tanzen und Sterben« (2017)

Angst, Trauer und unendliche Sehnsucht: »Lieder vom Tanzen und Sterben« von Paul Plut ist ein Album, auf das viele gewartet haben dürften. Die tröpfchenweise Veröffentlichung des Albums via Newsletter trug ihr Übriges zu einer Erwartungshaltung, die zu keinem Zeitpunkt enttäuscht wurde, bei. Denn, was da Monat für Monat in die Inbox strömte, war schier genial: Nie zuvor war österreichischer – genauer: steirischer – Dialekt so existenzialistisch, so wunderbar reduziert, dass jedes Stück offene Wunden klaffen lässt. Selbst dem Suizid knapp entronnen, entspinnt Paul Plut traurige Lieder für die Ewigkeit. »Lärche«, vielleicht der größte »Hit« erzählt vom der großen Angst, »vor allem, was gut ist in der Welt«, das womöglich noch emotionalere »Sunn« entkleidet jeden auf die Basis seines Seins. Es ist das ehrlichste Album dieses Jahrzehnts, eines, das in den großen Kanon österreichischen Popschaffens gehört und sich dort gut neben »Dunkelgraue Lieder« macht. Nur, dass es ist nicht dunkelgrau ist. Es ist pechschwarz.

Zwischenspiel

Die Reduktion auf zehn Alben ist natürlich pure Blasphemie. Daher sollen auch Alben, die es knapp nicht in diese Liste geschafft haben, kurz erwähnt sein, in alphabetischer Reihenfolge:

Chuckamuck – »Chuckamuck«. Chuckamuck – »Jiles«. Die Heiterkeit – »Pop&Tod I&II«. Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen – »Rüttelt mal am Käfig, die Affen sollen was machen«. Die Nerven – »Out«. Die Regierung – »Raus«. Element Of Crime – »Lieblingsfarben und Tiere«. Frau Potz – »lehnt dankend ab«. Klez.E – »Desintegration«. Messer – »Die Unsichtbaren«. Messer – »Im Schwindel«. Messer – »Jalousie«. Polkov – »Polkov«. Stabil Elite – »Spumante«.

Platz 1: Ja, Panik – »DMD KIU LIDT« (2011)

Keine große Überraschung: Das Meisterwerk der wahrscheinlich wichtigsten österreichischen Bands des noch jungen Jahrtausends ist für mich auch gleich das beste in diesem Jahrzehnt: Getragen von der titelgebenden Übernummer – dessen Text vermutlich die herrlichste Poesie aus österreichischer Feder zumindest seit hunderten Jahren ist –, finden sich auf »DMD KIU LIDT« viele weitere Stücke, die Leben verändern können und auch taten: »Run From The Ones That Say I Love You«, »Nevermind« oder »Suicide« sind Lieder, die Generationen überdauern werden und auf keiner All-Time-Liste fehlen dürfen. Der denglische Mischgesang – im ikonischen verspiegelten Artwork umgekehrt abgedruckt – ist so einzigartig und so gut betextet und vor allem so wichtig, dass an »DMD KIU LIDT« einfach kein Weg vorbei führen könnte. Dass Ja, Panik sich nach diesem Kraftakt an Album kaum mehr zu guter Kunst aufraffen konnten, ist geschenkt: Denn »DMD KIU LIDT« ist das allergrößte Geschenk, das eine Band einer Zielgruppe machen kann.

Weiter zu: Die 10 besten Songs der 10er Jahre – ausgewählt von Dominik.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...