Amour Fou: Der neue Film von Jessica Hausner eröffnet die Viennale und leistet so stillschweigend seinen Beitrag zur Debatte um die Frauenquote im deutschsprachigen Filmbusiness. Grund genug für uns, um großartige österreichische Regisseurinnen zu feiern und einen Einblick über ihre sehenswertesten Werke zu geben.
Filmemacherin Barbara Albert
Die Produzentin, Drehbuchautorin und Regisseurin Barbara Albert lieferte 1999 mit "Nordrand" ein emotional vertracktes Spielfilmdebüt, welches als erster Film aus Österreich seit einem halben Jahrhundert bei den internationalen Filmfestspielen in Venedig für den Goldenen Löwen nominiert worden war. Wien, Mitte der Neunziger: Die zwei ehemaligen Schulkolleginnen Jasmin und Tamara treffen unter "besonderen Umständen" wieder aufeinander, nämlich schwanger und in einer Abtreibungsklinik. Da ist Smalltalk irgendwie schwierig. Beziehungsdramen und Lebenskrisen, das Leben in den Wiener Randbezirken und das Ende des Bosnienkrieges sind wesentliche Thematiken des Films, die den sozialen Kontext politisch anheizen. Die Hausse des österreichischen Films der letzten Jahre beginnt hier. Das weiss sogar Wikipedia.
Filmemacherin Elisabeth Scharang
Elisabeth Scharang moderiert für FM4 sowie den ORF, schreibt und führt Regie. Als Tochter von Schriftsteller Michael Scharang, mit dem sie gemeinsam 2006 die Romy für das beste Drehbuch erhalten hat, scheint ihr das Schreiben also irgendwie in die Wiege gelegt worden zu sein. 2012 erschien ihr Film "Vielleicht in einem anderen Leben", der die letzten Wochen des Jahres 1945 aus der Perspektive eines kleinen österreichischen Dorfes zeigt. Eine Gruppe ungarischer Juden konnte sich weg von den Pfaden der Todesmärsche in einen abgelegenen Schuppen retten. Eine packende Geschichte über Menschlichkeit und Vernunft als Handlungsmotor. Aktuell startet ihr Film "Kick Out Your Boss" in heimischen Kinos, der am 21. November im Wiener Admiral Kino Premiere feiert.
Filmemacherin Katharina Muckstein
Die gebürtige Wienerin hat 2010 bei Michael Haneke ein Studium der Regie an der Filmakademie abgeschlossen und begeisterte das Publikum 2013 mit ihrem Spielfilm "Talea", bei welchem sie nicht nur Regie geführt, sondern auch beim Drehbuch mitgearbeitet hat. Ausgezeichnet wurde der Film u.a. mit einem der wichtigsten deutschen Filmpreise, dem Max Ophüls-Preis. "Talea" erzähl eine außergewöhnliche Mutter/Tochter-Geschichte, in der das Ringen um Aufmerksamkeit, Annäherung und die klassische Rollenverteilung innerhalb einer Familie zentrale Konflikte darstellen. Es ist keine dieser typischen "Coming of Age"-Stories, denn die Hauptfigur Jasmin, gespielt von Sophie Stockinger, sucht die Nähe ihrer Mutter Eva (Nina Proll), die gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde. Also "Coming of Age" bei Mutter und Tochter. Brisanter Stoff, den Mückstein mit Fingerspitzengefühl abhandelt, ohne in verklärte Sentimentalität abzudriften.
Filmemacherin Kurdwin Ayub
Das Mädchen mit den großen Augen, die Wienerin mit irakischen Wurzeln und diesen traumhaften Haaren dreht ziemlich abgefahrene Kurzvideos. Sie spielt mit Gender- und Rollenklischees und wird in ihren Arbeiten immer wieder selbst zum Handlungsobjekt: In "Sexy" räkelt sie sich zu "We Can't Stop" von Miley Cyrus auf einem Bettlaken, scheint einen Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Zuseher anzetteln zu wollen. Zwei junge Frauen, die eine perfekt inszeniert - ein Megastar - ihre sexuelle Ausstrahlung durch Models, Weichzeichner und inszeniert infantiles Plüschbären-Humping ins Millionenfache gesteigert - die Andere, etwas unsicher, fragil aber authentisch. Eine Parodie? Eine feministische Grundsatzdiskussion? Keep up the good questions.
Filmemacherin Lisa Weber
Die 1990 geborene Wienerin Lisa Weber ist, richtig, noch nicht einmal 30. Nach einem kurzen Intermezzo am Slawistik-Institut der Uni Wien studiert sie nun seit 2009 an der Filmakademie. Ihr Debütfilm "Sitzfleisch" feierte am Filmfestival in Rotterdam seine internationale Premiere, lief unter anderem in Montréal, La Rochelle, auf der Diagonale sowie beim Crossing Europe und erhielt zuletzt im Doku-Wettbewerb des internationalen Filmfestivals Karlovy Vary eine lobende Erwähnung. Der Film ist also ziemlich herum gekommen und bei uns ab 19.12 im Kino.
Filmemacherin Mara Mattuschka
Performancekünstlerin, Malerin, Schauspielerin, Regisseurin, Sängerin - Die Liste der Berufsbezeichnungen von Mara Mattuschka ist ziemlich lang. Mit 15 kam sie aus Sofia nach Wien und studierte bei Maria Lassnig und dreht seither unermüdlich Dutzende von Filmen. Preis hat sie dafür natürlich auch einige bekommen. 2013 sorgte sie mit ihrem Performance-Film "Perfect Garden" in Zusammenarbeit mit Chris Haring für Aufsehen: Es geht um Lust, Exzess und Jugend, Mafia und Puffgeschichten - Den Basiskomponenten für ein außergewöhnliches Werk, das ein bisschen an einen schrägen Trip erinnert.
Filmemacherin Maria Lassnig
Eine der wohl bekanntesten österreichischen Künstlerinnen war und ist Maria Lassnig. Die Malerin und Medienkünstlerin wurde bis zu ihrem Tod im Mai 2014 nie müde, zu experimentieren und Neues zu schaffen. Nach Wien und Paris zog es Lassnig Ende der Sechziger nach New York, wo sie sich fernab von jeglichem Faschismus entwickeln konnte und auch ihre erste Filmkamera kaufte. Die "Maria Lassning Kantate" zählt wohl zu den bekanntesten ihrer Animationsfilme: Lassnig besingt acht Minuten lang in 14 Strophen ihr Leben. Dudelsackklänge als Soundtrack und Lassnig, mal cool als Freiheitsstatue mit Coladose in der Hand, mal très parisienne mit 30-cm-langem Zigarettenhalter, bringt dem Zuseher ihr Leben näher und macht abschließend klar: "Es ist die Kunst jaja, die macht mich immer jünger, sie macht den Geist erst hungrig und dann satt!"
Filmemacherin Mirjam Unger
Mirjam Unger ist als Regisseurin, Moderatorin und Modefotografin tätig. Ihre Ausbildung an der Filmakademie unter Wolfgang Glück schloss sie 2001 ab und produzierte in dieser Zeit zahlreiche Kurzfilme. "Ternitz, Tennessee" war ihr erster Spielfilm, den sie 2000 fertigstellte. 2007 gewann ihr Werk "Vienna's Lost Daughters" den Publikumspreis bei der Diagonale. Zurecht: Ein bewegender Dokumentarfilm, der die Geschichte von acht jüdischen Frauen im Alter von Achtzig Plus erzählt, die 1938/39 von Wien nach New York geflüchtet sind. Zahlreiche Geschichten werden erzählt, die Vergangenheit wird diskutiert, Fragen werden gestellt: "Spricht man noch Wienerisch in Wien?"
Filmemacherin Clara Stern
Mit Clara Stern findet sich eine weitere Absolventin der Filmakademie in die Reihe vielversprechender, österreichischer Regisseurinnen ein. Die Macherin von Kurzfilmen wie "Erntezeit" oder "Inseln, die wir sind" setzt sich mit Themen wie Jugend und Kindheit (so auch in unserem Interview) auseinander. Große Sehnsüchte und ein bisschen Weltschmerz gehören eben dazu, wenn man groß wird.
Filmemacherin Valie Export
Feminismus und Aktionismus prägen den frühen Stil der gebürtigen Linzerin Waltraud Lehner, deren Künstlername VALIE EXPORT dadurch entstand, weil sie Zigarettenschachteln der Marke "Smart Export" mit "VALIE" überklebte. Eine Künstlerin ohne Berührungsängste, die auch mal Schaulustige im Rahmen eines Projekts für das Expanded Cinema an ihre Brüste ließ - "Tapp- und Tastkino" nannte sich diese zwölfsekündige Interkation. Und überhaupt sind die Frau, geschlechtliche Identitäten und das menschliche Zusammenleben häufig Thema bei Valie Export. In "Menschenfrauen" bestimmt ein Beziehungs-Pentagon die Handlung: Vier Frauen, ein Mann, Drama. Ein Film, der kein Interesse an Lösungen und Happy Endings hat. Dass Valie Export die Preisskulptur des Österreichischen Filmpreis gestaltet hat, ist da nur konsequent.
Jessica Hausners "Amour Fou" spielt in Berlin um 1800 und handelt von Dichter Heinrich, der durch Liebe die Unausweichlichkeit des Todes zu überwinden versucht. Love beats death also. Dass der Film nun die Viennale eröffnet, ist einerseits ein Statement für den Wert des österreichischen Films auf Österreichs größtem Filmfestival, der letztes Jahr ja eskaliert war, als Ulrich Seidl zwei Filme zurückgezogen hatte. Heuer wird alles anders.
Hausners "Amour Fou" führt aber auch unweigerlich die aktuelle Debatte um die Gleichberechtigung von Regisseurinnen fort. 170 deutsche Filmemacherinnen und zahlreiche prominente Unterstützer, darunter Doris Dörrie, Veronica Ferres und Senta Berger, setzen sich nämlich für den Verein "ProQuote Regie" ein und versuchen so auf die Ungleichverteilung von Förderungsgelder der staatlichen Filmförderungsanstalt (FFA) aufmerksam zu machen.
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Und ganz unrecht haben die Damen eben nicht: Laut dem Aufruf auf taz.de hat die FFA 2013 insgesamt 56 Spielfilme unterstützt, in sieben davon führten Frauen Regie. "ProQuote Regie" soll also nun zu einer Gleichstellung von Regisseuren und Regisseurinnen beitragen. Primär sehen die Vereinsgründer und -unterstützer (zu denen auch Berlinale-Direktor Dieter Kosslick, der Geschäftsführer der deutschen Filmakademie Alfred Holighaus und die Produzentin Maria Köpf gehören) die kulturelle Vielfalt durch den geringen Anteil weiblicher Filmemacherinnen gefährdet.
In Österreich ist die Situation nun ein bisschen besser. Auf der Filmakademie wird seit Jahren versucht, gleich viele Frauen wie Männer aufzunehmen. Zudem gibt es mit Maria Lassnig und Valie Export zwei Frauen im Kunstbereich, die dort Pionierarbeit geleistet haben.
Wir nehmen dieses Thema ernst und präsentieren euch deshalb in unserer Galerie Regisseurinnen im österreichischen Film, deren Filme man sich spätestens jetzt auch die To-Watch-Liste setzen sollte.