Drama, Wahnsinn, Depression

Auf ihrem vierten Album »DMD KIU LIDT« zeigt sich die Gruppe Ja, Panik reflektiert und steht trotzdem zwischen den Orten. Wir haben Andreas Spechtl und Christian Treppo in einem kleinen Cafè in Berlin, Kreuzberg zu einem Gespräch über das Reisen, Vereinzelung und Songwriting getroffen.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

Die Platte beginnt mit dem Track »The Ship’s Ought To Sink«, in dem es heißt »Save the planet, kill yourself«, und auch weitere Songs kreisen um das Thema Selbstmord. Ist das so eine Art roter Faden?

Andreas Spechtl: Es gibt auf der Platte verschiedene Schattierungen von Drama, Wahnsinn, Depression und das ist halt so ein Blatt vom Ganzen. Es geht nicht grundsätzlich um Selbstmord, es geht um Verzweiflung und Vereinzelung.

Das Zitat stammt aus einem b>Track von Chris Korda, wie bist du da drauf gekommen?

Andreas Spechtl: Ich habe mich nicht ausführlicher mit Chris Korda beschäftigt, ich fand nur die von ihm begründete Kirche sehr interessant. Er hat einen angenehmen Umgang mit Humor, weil er einfach so bitterböse ist und trotzdem im tiefsten Inneren so wahnsinnig komisch, das hat ganz gut gepasst. Auch die Aussage aus einem Technolied zu nehmen und dann in einen Folk-Song zu transportieren hat mich sehr amüsiert.

Ich habe gelesen, dass du die Songs auf The Angst and The Money immer Vormittags geschrieben hast und davor immer nur Abends. Wie war das diesesmal? Es klingt als hättest du sie um vier Uhr morgens geschrieben…

Andreas Spechtl: Hauptsächlich sehr spät ja, obwohl es diesmal grundsätzlich ein ganz anderes Arbeiten war.

Was hat sich verändert im Arbeitsprozess?

Andreas Spechtl: Es gab auf jeden Fall vorher den Text, wir haben dann Demos mit der Schrammelgitarre aufgenommen und ganz schnell auf Mute gedrückt um zu schauen was man da und da noch machen kann. Was ist wirklich noch nötig, im Gegensatz zu früher, wo man immer noch was draufgepappt hat. Wie viel kann ich wegnehmen, dass die Grundidee erhalten bleibt, beziehungsweise dann im Umkehrschluss: Wie gut kann man die Idee herausschälen? Früher war da immer wahnsinnig viel Kosmetik und Kitt, diesmal war das Arbeiten auf Reduzierung angelegt.

Also weg von den überfrachteten Pop-Songs? Mehr so die Songwriter-Platte?

Andreas Spechtl: Es ist auf jeden Fall ein Bruch, den wir anvisiert haben. Es war klar, dass wir uns selbst gar nicht mehr zufrieden stellen können. Ich glaube, die Leute, die Ja, Panik verstanden haben, haben gewusst, dass es so nicht mehr weitergeht. Aber mit dem Begriff Songwriter tu ich mir ein bisschen schwer, es ist eher ein Antisongwriter-Album. Die Schrammelgitarre wurde soweit es geht ausgemerzt, die wollten wir gar nicht haben. Es ist in gewisser Weise unsere musikalischste Platte.

Christian Treppo: Der Ausgangspunkt war ein Songwriting-technischer, weil zuerst das Lied – sprich Strophe, Refrain, Melodie, Text – da war. Bei der letzten Platte war das nicht so.

Andreas Spechtl: Wir haben versucht, das zu brechen. Die Platte hat ja auch zwei Teile. Es ist ein Irrweg auf den man den Hörer mitnimmt, kurz mal 50 Minuten in den Arm nehmen um dann zu sagen: »Hey, du bist wieder mal drauf reingefallen.« Das letzte Stück ist in gewisser Weise die Zusammenfassung. Es erklärt sich für mich auch alles erst am Schluss, das war das Allerletzte, was ich gemacht habe, diese vagen Ideen noch einmal auf den Punkt zu bringen.

Inwiefern?

Andreas Spechtl: Gerade diese ganze Innerlichkeit, dieser Vereinsamungswahnsinn. Ich sitze in meinem Zimmer, bin fertig und habe diese ganzen Probleme, alles fällt mir auf den Kopf. Ich komme da nicht mehr raus und bin ja so alleine.

Das Problem liegt aber wo anders – alles arbeitet daran, dass du in deinem Zimmer sitzt, dass du dich zurückziehst, du glaubst die Probleme, die du hast, sind hausgemacht. Jede Lebensäußerung – auch die Popmusik – alles arbeitet daran dich so fühlen zu lassen.

Da geht es jetzt auch gar nicht so drum, ob einzelne Teile Zitate sind, sondern die ganze Thematik arbeitet eine Pop- bzw. Kulturgeschichte der letzten 60 Jahre auf. All diese Lieder arbeiten daran, dass wir immer glauben es geht um uns selbst.

Am Schluss des letzten Songs kommt dann dieser Turn, wo das Lied jemandem vorgespielt wird und jemandem erklärt wird. Da bekommt die Platte dann so einen arg politischen Moment, vielleicht den politischsten den die Gruppe Ja, Panik jemals gehabt hat. Diesen Turn zu verstehen ist glaub ich ganz grundsätzlich für das Verständnis der ganzen Platte. Es hat dann einerseits einen sehr pädagogischen, aber auch einen sehr beschreibenden Wert.

Also thematisiert die ganze Platte ihren eigenen Produktionsprozess?

Andreas Spechtl: Es gibt zwei Wege das zu verstehen, glaube ich. Man kann sich das einfach so anhören und sagen o.k., das ist jetzt so, oder man lässt sich darauf ein. Das klingt jetzt vielleicht prätentiös, aber die Platte ist nicht wirklich dazu gemacht, dass man sie sich nebenher anhört. Das Ganze ist eine Einladung zur Entschleunigung. Lass dich darauf ein oder nicht.

Also auch eine Art Stillstand? Eine gewisse Ruhe im Gegensatz zur letzten Platte, die ja sehr von einer Aufbruchsstimmung gezeichnet war?

Andreas Spechtl: Wir haben diesmal versucht, richtige Songs zu schreiben, ohne großartiges Drumherum. Auch ging es darum, Sachen, wenn man sich einmal hinsetzt, fertig zu machen und nicht irgendwas zusammenzuschustern. Es war uns von vornherein klar, dass wir Songs schreiben und dann schauen wie wir das im Nachhinein zerstören können.

Auf dem letzten Album war irgendwie alles so durcheinander. Dieses ganze Sloganizing und all die Kritik. Ist das jetzt eine reflektiertere Kritik? Eine Rückschau?

Andreas Spechtl: Es gab den Punkt an dem wir dachten, lass uns mal ein bisschen klarer werden. Aber die Ideen und unsere grundsätzliche Einstellung hat sich eigentlich nicht geändert. Es ist eine Reaktion auf die alten Dinge und auch eine Korrektur. Weil man vielleicht auch einige Leute unterschätzt und manche überschätzt hat. Wenn man immer so vage bleibt, macht man es sich auch einfach, weil man gar nicht so klar werden muss und dann muss der Gedanke auch gar nicht so gut sein. Ein brillanter Gedanke verträgt Einfachheit. Und an diesem Punkt sind wir so ein bisschen angelangt. Nicht, dass das brillant ist, wir trauen uns einfach die Einfachheit zu.

Und auch irgendwie Postion zu beziehen? Kann man das postironisch nennen um dieses Buzzword zu bemühen?

Andreas Spechtl: Ja, kann man vielleicht machen.

Diedrich Diederichsen schreibt in “Freiheit macht Arm”: “Nicht mehr meine Fragen produzierten brauchbare Antworten, sondern meine Entlassung aus der Notwendigkeit meine Existenz zu rechtfertigen.” Ist das jetzt für euch in gewisser Weise auch ein Ankommen in der Stadt Berlin, wo man freier seine Position beziehen kann ohne überall anzuecken?

Andreas Spechtl: Sicherlich, nur ich weiß nicht, wie lange das so bleibt, weil das Soziotop in dem man sich bewegt sowieso Überhand nimmt, egal wie groß die Stadt ist. Sich immer wieder gewisse Nullpunkte zu schaffen ist wichtig, auch einmal gar nichts zu haben an dem man sich abarbeiten muss. Das werden wir aber bei der nächsten Platte auch nicht mehr haben, aber daran will ich noch gar nicht denken.

Noch keine neuen Songs geschrieben?

Andreas Spechtl: Ich schreibe nie Songs. Das ist bei uns glaube ich überhaupt nicht so, dass man sich mal eben hinsetzt und einen Song schreibt.

Also ist es ein richtiger Arbeitsprozess gezielt auf die Platte hin?

Andreas Spechtl: Ja und das ist auch gut so. In der Zeit, wo nichts passiert, sammelt man ja trotzdem und sei es nur im Kopf.

Christian Treppo: Wenn es dann ans Arbeiten geht, schaltet man ohnehin ab.

Andreas Spechtl: Man muss immer zuerst das erleben, worüber man dann nachher schreibt, sonst fehlt der Abstand.

Also ist das neue Album eure Berlin Platte?

Andreas Spechtl: Ich will nicht sagen, dass es die Platte ist auf der wir wirklich in Berlin angekommen sind, sondern eher die Platte der Stille, die man hat, wenn man in einer neuen Stadt sitzt. Man kennt noch nicht allzuviele Leute und ist auf sich selbst angwiesen – wo wir wieder bei der Vereinzelung wären. Das ist sozusagen die Tabula Rasa Platte, wir hätten sie aber auch in den Anden aufnehmen können, Berlin war da nicht so wichtig. Die nächste Platte wird vermutlich unsere erste echte Berlin Platte.

Andreas, was bedeutet für dich die Zusammenarbeit mit Christiane Rösinger? Hat dich das sehr beeinflusst?

Andreas Spechtl: Wir haben natürlich ähnliche Themen, aber Christiane ist dann doch weitaus persönlicher und beschreibender, während wir viel mehr Schlüsse ziehen. Ich hatte bei ihrer Platte allerdings sehr wenig mit den Texten zu tun, ich habe mich das erste Mal seit langem wieder als Musiker gefühlt. Ja, Panik war ja immer eher “der Andreas mit seinen Texten”. Ich fand das angenehm da mal runterzukommen und die Selbstsicherheit als Musiker wiederzugewinnen. Für mich gab es immer die Band und die Texte, doch das ganze jetzt als gleichberechtigte Partner zu verstehen, ist für mich die größte Veränderung an unserer neuen Platte. Da hallt für mich die Arbeit mit Christiane nach.

Welchen Einfluss hatte das Reisen und das Unterwegssein auf die Musik und die Texte?

Andreas Spechtl: Irgendwie hat sich das als bestimmender Moment herauskristallisiert in meinem Leben in letzter Zeit. Der Umzug nach Berlin, dieses Leben unterwegs. Dieser Reisegedanke, dieses absolute zur Wehr setzen gegen ein irgendwo zuhause sein. Ich merke dann jedesmal, wie sich in meinem Kopf Dinge auftun, die da sonst nicht möglich wären. Einfach schauen, dass man on the road bleibt. Das kann man schwer beschreiben, das sind eben so die Erfahrungen die ich gemacht habe.

"DMD KIU LIDT" von Ja, Panik erscheint Mitte April auf Staatsakt.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...