Ganzheitliches Glücksspiel – Major-Labels und ihr Domestic Repertoire

Parallel zum großen Erfolg österreichischer Popmusik hat das Thema Domestic Repertoire in den letzten Jahren auch bei heimischen Majors wieder an Stellenwert gewonnen. Was können und was wollen sie für KünstlerInnen aus dem eigenen Land leisten?

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© Sony Music Entertainment Austria — Platin für Conchita: Rene Berto (The Unstoppables Management) und Dietmar Lienbacher (Head of Sony Music Austria; rechts) packen mit an.

An die 60 Absagen lässt er jede Woche schreiben, erzählt Sasha Saedi im Büro von Universal Music Austria am Wiener Schwarzenbergplatz. Dort, beim Marktführer unter den Plattenfirmen, ist er für den Bereich A&R (kurz für Artists and Repertoire) zuständig und somit für das Entdecken jener Talente, die das Zeug zum ökonomischen Erfolg haben. »Ich würde es als extrem respektlos empfinden, wenn nicht jeder eine Antwort von uns bekäme«, ergänzt Saedi, »aber die meisten wollen halt auch Gründe für die Absage wissen – und das können wir nicht liefern.«

Den hochgerechnet 3.000 Zusendungen stehen ca. zehn Domestic Releases (drei Viertel davon aus den Bereichen Schlager und volkstümliche Musik und natürlich nicht alle von neuen Signings) gegenüber, die bei Universal Music Austria pro Jahr stattfinden. Viel mehr sei allein schon aus Kapazitätsgründen nicht sinnvoll zu betreuen, so Saedi.

Die Rolle des Domestic Repertoire – also all jener Acts, die eine globale Plattenfirma in ihrer nationalen Niederlassung direkt unter Vertrag nimmt und nicht über ihren Mutterkonzern oder über Zweigstellen in anderen Ländern – sei aber eine wichtige für Major-Labels wie Universal. Saedi: »Das Arbeiten an eigenen Künstlern ist auch eine Daseinsberechtigung. Wenn du am eigenen Markt nicht signst und versuchst, Künstler zu etablieren, dann bist du eigentlich als Label nur eine administrative Stelle. Das Hauptaugenmerk eines jeden Labels sollte daher auf der Domestic-Arbeit liegen.«

Das Um und Auf

Ein paar U-Bahn-Stationen entfernt, in der Mariahilfer Straße, wo sich die heimische Dependance von Sony Music befindet, schlägt Nuri Nurbachsch, seit einigen Jahren Senior Manager A&R, in eine ähnliche Kerbe: »Domestic Repertoire ist das Um und Auf für alle Majors. Mit ein Grund dafür, dass wir bei Sony Music im Vergleich zu anderen Firmen noch relativ viele Menschen sind, ist, dass wir beim Domestic Repertoire recht stark aufgestellt sind. Vor allem mit meinem Kollegen Peter Schilling als Head of Ariola, wo – salopp gesagt – Volkstümliches erscheint, und mit mir in einer erweiterten A&R-Position.«

Selbst bei Warner Music Austria, dem kleinsten der drei verbliebenen Majors, scheinen die A&R-Agenden wieder etwas aufgewertet worden zu sein. In die Karten wollte man sich bezüglich Zahlen, Struktur und Strategie aber nicht schauen lassen: Viel mehr als eine Liste mit aktuellen, teils durchaus erfolgreichen Signings – von Left Boy über Turbobier bis Robb – und die Bestätigung, dass man im Vergleich zu den Vorjahren schon aktiver geworden sei, wollte man bei Warner nicht verraten.

Ökonomisches Potenzial

Dass sich bei den Majors in Sachen Domestic Repertoire wieder etwas mehr tut, erkennt auch Hannes Tschürtz vom Indie-Label Ink Music an: »Gute zehn Jahre bestand das Thema gar nicht oder aus Casting-Shows und Schlager.« Nachdem Indies »von unten« mit einigen nennenswerten Erfolgen – von Ja, Panik über Soap & Skin bis Bilderbuch und Wanda – Schlagzeilen gemacht haben, sei mit dezenter Verzögerung, so Tschürtz, auch »oben« bemerkt worden, dass es da ein ökonomisches Potenzial geben könnte.

Im Vergleich zu den Indies erfordert der große Apparat, der Majors nun mal ausmacht, aber andere Erträge, damit ein Signing überhaupt in Betracht gezogen wird. »Wenn wir nicht davon überzeugt sind, dass wir mit einem Projekt den nötigen Umsatz machen können«, erläutert Saedi, »dann machen wir es erst gar nicht. Nicht, weil wir so arrogant sind und es für Peanuts halten … Aber wenn du von einem Major gesignt wirst und es geht los, dann arbeiten hier acht oder neun Leute an dem Projekt, nicht nur zwei.«

Dass man so in Sachen »nötiger Umsatz« schnell jenseits der 100.000-Euro-Marke zu liegen kommen kann, wird klar, wenn man bedenkt, dass Releases im Normalfall für ein bis zwei Jahre angelegt, dass neben den Aufnahme- und Produktionskosten auch Management, Booking-Agentur, Equipment, vielleicht sogar Bühnenoutfits, Stylisten / Stylistinnen oder FitnesstrainerInnen zu berücksichtigen sind. Und dann sollen natürlich auch MusikerInnen und Plattenfirma selbst etwas verdienen.

© Amadeus Awards / Andreas Tischler — Universal-A&R Sasha Saedi freut sich mit seinem Künstler Nazar über den Amadeus Award 2015 in der Kategorie »Hip-Hop / Urban«.

Saedi versteht die Majors dabei als Dienstleister für die KünstlerInnen und nicht umgekehrt: »Ich sehe es in meiner Verantwortung zu sagen: Wenn du deine drei X unter unseren Vertrag setzt, dann muss es unser gemeinsamer Ehrgeiz sein, dort hinzukommen, auch wenn es verdammt viel Geld ist. Wenn wir das nämlich nicht schaffen, wird deine Performance und Kreativität darunter leiden. Wer bis 18 Uhr in irgendeinem Shop steht und Kleider verkauft oder Chips-Sackerl einordnet, wird um 20.30 Uhr nicht mit der gleichen Energie auf die Bühne latschen – und sei es nur eine Bretterbude beim Feuerwehrfest in Gramatneusiedl.«

Musterbeispiel Nazar

Als Musterbeispiel für ein erfolgreiches Universal-Signing gilt der Rapper Nazar. Dem Vertragsabschluss ist dabei ein langer Arbeitsprozess vorausgegangen: sich über Jahre hinweg immer wieder mit dem Künstler treffen, um Möglichkeiten auszuloten – weil es auch ein schwieriges Genre mit einem etwa im Vergleich zu Schlager und volkstümlicher Musik niedrigen Marktanteil sei, so Saedi. Man habe es geschafft, Nazar trotz seiner kontroversiellen Aussagen in der österreichischen Gesellschaft salonfähig zu machen. »Seine Verkäufe sind stark angestiegen und wir haben mit ihm vor allem auch in den Abteilungen Testimonial und Synchronisation einen Artist, der für Brands richtig interessant geworden ist. Die Zeiten, in denen du als Künstler mit Musikverkäufen über die Runden gekommen bist, sind definitiv vorbei. Du musst heute ganzheitlicher denken.«

Ganzheitlich zu denken, das heißt – nicht nur, aber mitunter auch – 360-Grad-Deals abzuschließen, also als Label an allen Einnahmen des Künstlers / der Künstlerin beteiligt zu sein, ob aus dem Verkauf von Tonträgern, Sync-Rechten (etwa für Werbespots), Merchandise-Artikeln oder Konzerttickets. Auch bei Warner gibt es dieses Modell, genauso wie die von Universal ebenfalls angebotenen klassischen Künstlerverträge, Bandübernahmeverträge, Lizenzverträge oder Vertriebsdeals. »Wir sind zum Glück sehr flexibel und auch bereit, uns etwas einfallen zu lassen, solange wir das im Rahmen der Firma sinnvoll darstellen können«, erläutert Nuri Nurbachsch. Je nach Projekt seien so bis zu sechsstellige Budgets möglich – ein Beispiel dafür ist wohl Conchita Wurst –, aber eben auch vierstellige. »Ich bin im Gespräch mit Künstlern immer sehr direkt und frage auch immer: Was stellt ihr euch vor? Wo wollt ihr hin?« Die finanzielle Belastung, die diese Wünsche bedeuten würden, und was dem an Einnahmen gegenüberstehen müsste, führe dann oft zu Ernüchterung – und einem realistischeren Plan B, so Nurbachsch.

Der richtige Schritt?

Aus der Sicht des Künstlers / der Künstlerin handelt es sich wohl immer um eine Einzelfallentscheidung, ob ein Major sein Geld wert und welche Form der Zusammenarbeit die richtige ist. Das zeigen auch Aussagen von denjenigen, die es mit ihren Acts schon einmal mit einem Major probiert haben. »Ein Major nimmt einem viel Arbeit ab, und wenn der Deal passt, dann ist das im richtigen Moment auch der richtige Schritt«, meint etwa Bernhard Kaufmann vom Label Karmarama, das für die Band Granada »nur« einen Vertriebsdeal mit Sony Music eingegangen ist. »Zu früh bei einem Major zu unterschreiben, kann mehr blockieren, als es bringt, weil man nicht so unabhängig agieren kann und in kreativen Entscheidungen weniger frei ist. Solange man den Künstleraufbau selbst finanzieren kann, ist Unabhängigkeit also sicher das Richtige. Fremdkapital ist schön, aber es muss einem bewusst sein, dass die investierende Partei ihr Investment irgendwann wieder zurückhaben will.«

© Andreas Jakwerth — Nuri Nurbachsch (Sony Music): »Was bei der ganzen Sache gerne vergessen wird, ist, dass fast das gesamte Risiko bei der Record Company liegt.«

Viel Realitätssinn auch bei anderen Befragten: Die Möglichkeiten heimischer Majors, einen Künstler / eine Künstlerin im Ausland, vor allem jenseits des deutschsprachigen Raums, zu platzieren, seien eher gering, heißt es immer wieder. Stefan Redelsteiner, der Acts wie Wanda und Voodoo Jürgens aufgebaut hat, hat seine Fühler deshalb gleich nach Deutschland ausgestreckt. Sein Erfolg dabei mag eher die Ausnahme bleiben, für ihn leisten österreichische Major-Dependancen aber nichts wesentlich anderes als die zwei, drei professionell aufgestellten Indies des Landes. Aber immerhin: »Ich denke, dass da zuletzt auch ein Umdenken stattgefunden hat, es also nicht mehr nur um Filialarbeit (fürs internationale Headquarter; Anm. der Red.) geht. Es bildet sich bei Majors in Österreich gerade so etwas wie ein ernstgemeintes A&R heraus, das über Schlager und volkstümliche Musik hinausgeht. Kein österreichischer Major will sich wohl die nächsten Wanda oder Bilderbuch durch die Lappen gehen lassen …«

Geldgierig, schwerfällig

Dass Universal beispielsweise den Vertrieb für Las Vegas Records übernommen hat und dem Wiener Label bei einzelnen Themen auch seine durchschlagskräftigere Marketing- und Promo-Infrastruktur zur Verfügung stellt, ist als Beleg dafür zu sehen, dass das Interesse der Majors an den Indies bzw. an deren Acts gestiegen ist. Andreas Jantsch, Geschäftsführer von Las Vegas Records: »Vor ein paar Jahren gab es Christina Stürmer, Andreas Gabalier und dann lange nix. Die Majors haben immer noch mit ihrem Image als geldgierige, schwerfällige Säcke zu kämpfen, die junge Künstler sofort fallen lassen, wenn die Verkaufszahlen nicht stimmen. In dem Bereich hat sich aber einiges getan und man versucht diesem Image bewusst entgegenzuarbeiten. Es hat zuletzt ja auch ein paar spannende Signings gegeben und es werden noch einige dazukommen, was man so hört.«

Bleibt eine Frage: Was braucht es eigentlich, um als Artist für einen heimischen Major interessant zu sein? Vor allem Authentizität, meint Sasha Saedi – aber: Ob man mit einem Artist richtig liege, das sei ohnehin wie Pokerspielen. Laut der Website von Sony Music wiederum sollte, wer ins Musikbusiness einsteigen will, Talent, Kreativität, Überzeugungskraft, Mut und – als am wenigsten kalkulierbaren Faktor auf dem Weg zum Erfolg – Glück mitbringen. Über Letzteres würde man sich bei den Plattenfirmen wohl besonders freuen, denn, so Nuri Nurbachsch: »Was bei der ganzen Sache gerne vergessen wird, ist, dass fast das gesamte Risiko bei der Record Company liegt. Wenn also ein Release baden geht, dann verlieren wir richtig viel Geld.«

Die heimischen Majors freuen sich über Demo-Zusendungen. Details unter universalmusic.at, sonymusic.at und warnermusic.at.

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