"Ich werde immer wieder mit Mutter Teresa verglichen"

Der FM4 Ombudsmann hielt sich bisher von Journalisten fern. Für uns hat er eine Ausnahme gemacht und – anlässlich seines zehnjährigen Jubiläums – ein ausschweifendes Interview der Extraklasse gegeben.

Eine lockere Einstiegsfrage für Ihr allererstes Interview, Herr Ombudsmann. Beschwerden der österreichischen Bevölkerung nehmen Sie ja täglich bei einem recht bekannten Radiosender entgegen – bei diesem Arbeitsplatz liegt die Frage natürlich nahe: Welche Musik hört eigentlich der FM4 Ombudsmann? (Und sagen Sie jetzt nicht "alles von Tocotronic" wegen deren Album "Wir sind gekommen, um uns zu beschweren".)

Heute weiß jedes Kind: Die einzig relevante westliche Populärmusik nach 1945 war der Rap. Das haben wir beim Rundfunk leider viel zu spät begriffen. Ich war ja 1968 ein leidenschaftlicher Verfechter von Gerd Bachers Schnulzenerlass. Leider waren wir damals nicht konsequent genug. Wahrscheinlich, weil keiner von uns ordentlich Englisch konnte. Sonst hätten wir sicher auch die fremdsprachigen Schnulzen als das erkannt, was sie offensichtlich waren: bequeme Ausflucht der herrschenden Klasse.

Die Jugend von 2016 sieht glasklar: Ausnahmslos alles, was wir im selbsternannten Westen als "Wohlstand" bezeichnen, gründet auf Sklavenarbeit, Frauenhass und Völkermord. Aber Sie müssen sich vorstellen, Frau Redakteurin, das hat sich ja damals erst langsam herumgesprochen. Im Rückblick mutet es lächerlich an, wie wir seit den 60ern die Schuld des weißen Mannes in Form von selbstmitleidig grüblerischem Kitsch vertanzt haben. Wir haben uns edel und gut gefühlt und konnten trotzdem Chef bleiben. Vorerst. Weil, einer global vernetzten Gegenwart kommt man mit derart autoritären kulturellen Strategien naturgemäß nicht mehr bei. Es wird nicht reichen, dass wir hinter unseren Zäunen sentimentale Lieder singen. Der moralisch zerknirschte Kolonialist ist keine zukunftsfitte Figur. Ich glaube, der Heller Franzi hat das seinerzeit schon begriffen, aber wir haben leider nicht auf ihn gehört.

Und heute wird das intellektuelle Potenzial von Radio FM4 in der Öffentlichkeit unterschätzt. Ich werde nicht müde, in den Redaktionssitzungen warnend zu mahnen: Diese eindimensional arrangierte Unterhaltungsmusik nimmt unseren Wortbeiträgen jede Tiefe! Stellen Sie sich vor, es spielt eine Reportage von einem Musik-Festival, man hört die minderjährige Beute der Konsumgesellschaft entselbstet grölen "Uähhh! Spass!" und im Anschluss ertönen Ligetis Hölderlin-Fantasien, ein Bartok, oder Olga Neuwirths Settori! Das wäre Wirkung! Das wäre Formung! Das wäre Bildung!

Wer die Menschen nicht besser machen will, macht sie schlechter. Der Austrofred, Frank Spilker und die Band Nowhere Train arbeiten streng nach dieser Maxime. Drum habe ich sie zu meinem Dienstjubiläum in den Stadtsaal eingeladen.

Ganz allgemein gefragt: Was würden Sie als Fachmann sagen, wieviel Beschweren braucht das Leben?

Das Leben selbst ist sehr genügsam. Es braucht nicht einmal den Menschen. Aber Mensch wird man vor allem aus Protest. Wer sich mit den Worten "Ja, ich fliege, weil ich’s kann. Ich bin ein Vogel!" zuversichtlich in die Tiefe stürzt, wird Matsch. Wer sich aber entschlossen weigert, obwohl er kein Vogel ist, nicht fliegen zu können, wird Erfinder oder Erfinderin.

Wie darf man sich eigentlich einen typischen Tagesablauf bei Ihnen vorstellen?

Sie dürfen sich vorstellen, was Sie wollen, Frau Redakteurin.

"Der FM4-Ombudsmann bereinigt Widerstände", heißt es ja berechtigterweise. Wenn man Ihr Schaffen verfolgt, ist recht auffällig, dass Ihre Lösungsansätze im Radio nur um die zwei Minuten lang sind – Wie wird man so effektiv?

Ich höre selbstverständlich den Sarkasmus aus Ihrer Frage heraus. Aber wenn Sie mit dem ironischen Hinweis auf die Länge meines, also meiner Beiträge andeuten wollen, ich wäre einer von jenen Erfüllungsgehilfen, die Tag für Tag frohgemut die milliardenschwere Infrastruktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nützen, um mit pfiffig portioniertem Edutainment jenes System der leistungsgerechten Entsolidarisierung stützen helfen, das uns Sicherheit für Freiheit halten lässt und Streben für Glück – wenn Sie das andeuten wollen –, dann brauchen wir gar nicht weiterreden!

Pardon, ich wollte sie wirklich nicht kränken.

Das wird Ihnen auch nicht gelingen, Frau Redakteurin! Ich bin dieses ständige Katz-und-Maus-Spiel mit der Obrigkeit ja gewöhnt. Sie müssen sich vorstellen, jedes Mal, wenn ich versuche, den Mächtigen in ihrem Streben nach totaler Kontrolle durch Volksaufklärung ein Bein zu stellen, bin auch ich durchaus nicht frei von Existenzangst und fange an, stark zu schwitzen. Doch dieser Kampf muss geführt werden. Das ist mir klar. Außerdem zahlt Radio FM4 sehr sehr gut und ich kann mir die modernsten Herzmittel leisten, die momentan am Markt zu bekommen sind.

Normalerweise fragt man ja nicht nach dem Alter, aber Sie verzeihen uns sicher diese Ausnahme: Wie lange sind Sie schon auf der Welt?

Geboren wurde ich am 1. Mai 1945 im Rahmen einer routiniert abgewickelten Hausgeburt in Österreichs frisch aufgebackener Hauptstadt. Die Nabelschnur wurde ohne viel Aufhebens durchtrennt, die Kindsdirn hat mich sicher aufgefangen, meine Eltern sprangen vom Wochenbett empor und eilten zum Theater an der Wien. Unten auf der Gasse hat schon das Taxi gewartet. Meine frisch von mir entbundene Mutter wäre in dem Trubel fast noch über die Nabelschnur gestolpert, hat sie dann aber behände als Accessoire über die Schulter geworfen. Die Nachgeburt hat sie sich einpacken lassen, damit die Eltern in der Pause nicht zum teuren Theater-Buffet gehen mussten. Es waren harte Zeiten.

Ich kann über meine Eltern generell wenig Schlechtes sagen. Sie haben mich meine gesamte Kindheit hindurch stets gefordert, aber auch gefördert. Sie haben zum Beispiel vier lupenrein entnazifizierte Waldhornisten engagiert und einen Schlagwerker, die mir den ganzen Tag auf Schritt und Tritt gefolgt sind. Der Trommler hat durchgehend einen sanften Wirbel gespielt und wenn mir einmal etwas gelungen ist, also ein Gaga-Wursti oder ein Bäuerchen, dann haben die Waldhornisten eine erbauliche Fanfare geblasen.

Von dieser Erziehung zu Demut und Bescheidenheit profitiere ich noch heute.

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Bild(er) © Ingo Pertramer
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