Eine Gruppe möchte ich sein – Ja, Panik und das neue Album »Die Gruppe«

Ja, Panik veröffentlichen nach siebenjähriger Pause mit »Die Gruppe« ein Album, das niemand mehr erwartet hat. Sie werfen darin einen Blick zurück und entwickeln gleichzeitig jene Themen weiter, die Andreas Spechtl schon immer beschäftigen. Zur Corona-Krise passt das Ergebnis fast zu gut.

© Max Zerrahn

Als am ersten Tag des Jahres 2021 eine neue Single von Ja, Panik auf allen Streamingplattformen auftauchte, hatte sich so lange niemand um das Spotify-Profil gekümmert, dass in manchen Metadaten aufgrund des Beistrichs im Bandnamen noch immer Chaos herrschte. Nach sieben Jahren Pause erscheint nun mit »Die Gruppe« das sechste Album der Exilwiener*innen. Es ist eine schöne Überraschung und trotz der langen Zeit mehr Weiterentwicklung als Neuerfindung.

Der Corona-Effekt

Die Kontinuität an sich ist schon eine Leistung, wie Andreas Spechtl, Sänger, Autor und Kopf von Ja, Panik, im Jitsi-Interview erzählt. Denn aus dem Ärmel geschüttelt wurde bei den Aufnahmen (auch pandemiebedingt) nichts: »Wir dachten eigentlich, dass wir das Album in relativ kurzer Zeit runterspielen werden. Im Endeffekt haben wir ein halbes Jahr daran gearbeitet.« Auf diese Weise ist daraus ein Werk geworden, das jahreszeiten­technisch ambivalent ist. Was sich im Jänner noch düster, kalt und metallisch angehört hat, offenbart sich bei wärmerem Wetter als Sommerplatte, deren musikalische Gelassenheit in den Vordergrund rückt. Das bestätigt auch Spechtl: »Die ganze Produktion über hat die Sonne geschienen. Es gibt also auf der Platte quasi keinen schirchen Tag.«

Wer 2020 an Musik gearbeitet hat, konnte sich dem Einfluss der Corona-Krise nicht entziehen. Wohin geht die Reise für die Pop- und Kunstproduktion? Taylor Swift ging statt auf Welttour waldbaden und schlug mit ihren beiden Pandemie-Alben einen introspektiven Weg ein, der im folkigen Gewand Authentizität performt. Bilderbuch – deren deutsch-englisches Wechselspiel es ohne Ja, Panik nicht geben würde – verabschieden sich von Autotune und leben ihren materiellen Hedonismus in Form von Tagträumen aus. Wo es die einen nach Zweisamkeit dürstet, üben Ja, Panik weiter Systemkritik und liefern mit der Betonung des Gruppengedankens einen anderen Vorschlag für den Umgang mit der neuen Realität.

Dabei ist die nun vorliegende Platte zu einem Großteil bereits 2019 und damit vor den weltweiten Lockdowns entstanden. Wie man sich Spechtls künstlerischen Prozess vorstellen muss? »Ich schreibe jeden Tag, aber nie einen fertigen Text. Das sind meistens Zweizeiler.« Um aus diesem Fundus zu schöpfen, verbrachte er die letzten Wochen der alten Normalität in Tunesien und fasste dort die Fragmente zusammen. Bei seiner Rückkehr per Fähre nach Genua befand er sich schon mitten in der zona rossa und sah sich mit geschlossenen Bahnhöfen konfrontiert: »Mit dieser Platte im Gepäck war es absurd.« Als zwei Wochen später im Burgenland die Studioaufnahmen beginnen sollten, konnte Keyboarderin Laura Landergott nicht mehr aus Berlin einreisen. »Sieben Jahre brauchen wir, um wieder ein Ja,-Panik-Album aufzunehmen, und am ersten Tag der Aufnahmen ist Lockdown«, erinnert sich Spechtl. »Am Ende sitzt man dann vor so einer Platte und denkt sich: Hä? Irgendwie passt es fast zu gut.«

Ein Schlüsselmoment des Albums ist der Song »The Cure«. Er beinhaltet den einzigen Text, den Spechtl während der Corona-Krise geschrieben hat. »Doktor, hilf mir, damit ich wieder rausgehen kann«, heißt es in der Strophe. Wenn in der vierten Minute der Chor zur Antwort einsetzt, wiederholt er mantraartig: »The only cure from capitalism is more capitalism.« Dass das vermeintliche Heilmittel gar keines ist, versteht sich von selbst. Wo das nämlich hinführt, hat schon die Vorabsingle »Apocalypse or Revolution« verdeutlicht.

Spätestens seit ihrem zweiten Album »The Taste and the Money« arbeiten sich Ja, Panik am kapitalistischen System ab, das immer auch ein individualistisches ist. Dem wird seit vielen Jahren die Betonung des Kollektivs entgegengesetzt, bestätigt Spechtl: »Aus Übermut und einem leicht humoristischen Größenwahn war es uns immer wichtig, dass wir nicht die Band, sondern die Gruppe Ja, Panik sind. Mit der nötigen Ernsthaftigkeit: Es war ein Lebensentwurf, und der ist es auch immer noch.«

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