Ja, Panik veröffentlichen nach siebenjähriger Pause mit »Die Gruppe« ein Album, das niemand mehr erwartet hat. Sie werfen darin einen Blick zurück und entwickeln gleichzeitig jene Themen weiter, die Andreas Spechtl schon immer beschäftigen. Zur Corona-Krise passt das Ergebnis fast zu gut.
Die im Albumtitel beschworene Gruppe kann auf zwei Arten gelesen werden. In erster Linie geht es um Ja, Panik selbst. Eine weiter gefasste Lesart macht uns jedoch alle zu Gruppenmitgliedern: »Wir, die auf diese Kugel geworfen sind, sind zuerst einmal eine Gruppe. Es gibt zunächst nichts anderes. Die Subgruppierungen sind dann das Problem.« Wie kann ein solidarischer Lebensentwurf für Andreas Spechtl funktionieren? »Bei Staaten und sozialen Systemen geht es darum, dass du sowieso Teil dieser Gruppe bist. Du musst dich aber nicht gleich einbringen. Du entscheidest, wie du damit umgehst. Genauso ist auch potenziell jede*r Mitglied der Gruppe Ja, Panik.«
Was sich in der Theorie logisch anhört, benötigt in der Praxis noch detailliertere Überlegungen, stellte Spechtl während der Produktion der Platte fest: »Es stimmt nicht, dass alle gleichwertig beteiligt sein müssen, damit es keine hierarchische Form annimmt. Man muss den Leuten die Möglichkeit geben, so viel einzubringen, wie sie gerade können und wollen.« Im Interview fallen die Schlagworte Dezentralität, Offenheit und Durchlässigkeit. »Das Problem ist: Wer sich nicht genug beteiligt, darf oft nicht dabei sein.« Jemandem erst die Erlaubnis geben zu müssen, Teil von etwas zu sein, findet er paternalistisch: »Du bist erst mal Teil von uns. Du darfst gehen, wenn du willst.«
Schon früh im nun – rechnet man die Vorläuferband Flashbax mit ein – 20-jährigen Bestehen von Ja, Panik wurde dieser Lebensentwurf deutlich. Die Band-WGs in Wien und Berlin waren elementare Bestandteile des Selbstbilds. Wie viel hat sich im Lauf der Zeit verändert? »Wenn ich so zurückschaue, war es wahnsinnig wichtig, dass wir zusammengewohnt haben.« Die Gruppenmitglieder waren gemeinsam im Studio, gemeinsam auf Tour, gemeinsam daheim. »Das kennen wir wahrscheinlich alle aus dem Lockdown. Je mehr das Musikmachen unseren Alltag bestimmt hat, umso schwieriger wurde das gemeinsame Wohnen. Es war ein einziges Homeoffice.« Mit der Zeit zehrte das an den Kräften.
Es geht um den Blick zurück
So gesehen war die siebenjährige Pause zwischen dem Vorgängeralbum »Libertatia« und dem neuesten Werk eine wichtige Auszeit. »Ich bin froh, dass wir all die Platten nicht gemacht haben, die wir die letzten Jahre hätten machen können. In der Intensität hätte das implodieren können. Für die Nachhaltigkeit der Gruppe Ja, Panik war das gut«, ist Spechtl überzeugt. Gleichzeitig musste man sich nun erst wieder finden und einrichten. »Dass wir das überdauert haben und es einen anderen Zugang gibt, war mit die meiste Arbeit bei dieser Platte.«
»Memory Machine«, »On Livestream«, »Backup« – die Umstände ihrer Entstehung spiegeln sich auch in den Titeln und Inhalten der Songs, durch die sich ein retrofuturistisches Maschinenthema zieht. »Es ist auch eine Erinnerungsplatte. Es geht um den Blick zurück.« Spechtl, der sich selbst als Late Adopter bezeichnet und erst seit einigen Jahren ein Smartphone besitzt, nennt den Song »1998« als Beispiel. Darin heißt es: »I was a country boy afraid to go online.« Das Kramen in der eigenen Vergangenheit bringt hier auch den auf dem dritten Ja,-Panik-Album präsenten Begriff der Angst wieder zum Vorschein.
Wie sehr sich die Welt seit 1998 verändert hat und wie unsere alltäglichen Devices in das Musikmachen und Kunstschaffen hineinspielen, verdeutlichte sich für Spechtl bei der Arbeit am neuen Album: »Beim Produzieren und beim Schreiben habe ich gemerkt, wie sehr mich das alles ablenkt. Und wie schnell die Dinge passieren. In Wahrheit bekommt man mit einem guten Instagram-Post mehr Aufmerksamkeit als mit einem Artikel auf Spiegel Online.« Auch die kreative Produktion bei Ja, Panik lief diesmal anders ab: »Allein wie viele MP3s wir uns hin- und hergeschickt haben! In den letzten Jahren haben sich all diese Dinge krass geändert. Da sitzen wir davor wie so Boomer.«
Noch etwas anderes ist neu und anders an »Die Gruppe«, und das ist die tragende Rolle des von Rabea Erradi (Die Heiterkeit) eingespielten Saxofons, das sich in fast alle Nummern einfügt. Für Andreas Spechtl hat das Instrument eine erzählerische Form: »Es hat damit zu tun, dass die Luft zum Schwingen gebracht wird. Ich mochte den Raum, den es aufmacht.« Und wie ist das jetzt mit der Gruppendurchlässigkeit? »In gewisser Weise ist die Saxofonspielerin ein Bandmitglied auf der Platte. Mal schauen, wie sich das weiterentwickelt.«
2021 sind Ja, Panik Andreas Spechtl, Sebastian Janata, Laura Landergott und Stefan Pabst. Am Saxofon ist Rabea Erradi zu hören. »Die Gruppe«, das neue Album der Gruppe Ja, Panik, erscheint am 30. April bei Bureau B.
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